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Mit einem heftigen Grunzlaut riss Arch das kleine Mädchen – wenn es das war – hoch und schubste es Ian stolpernd entgegen. Dann ließ er seine Faust auf Vermins Kopf niedersausen und betäubte ihn. Er schüttelte das Kind von seinem Bein ab und trat den Jungen im Rückwärtsstolpern in die Rippen, dann machte er kehrt und rannte davon.

»Trudy, Trudy!« Herman rannte zu seinem – nein, ihrem – Bruder, der im Laub lag und nach Luft schnappte wie eine gestrandete Forelle.

Ian zögerte. Zu gern hätte er Arch verfolgt, hatte aber gleichzeitig Angst, Vermin könnte schwer verletzt sein – doch Arch war ohnehin schon fort, verschwunden im Wald. Zähneknirschend hockte er sich hin und tastete Vermin rasch ab. Kein Blut, und das Kind kam jetzt wieder zu Atem, auch wenn es keuchte wie ein löchriger Blasebalg.

»Trudy?«, sagte Ian zu Herman, der sich fest an Vermins Hals klammerte. Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er Vermins zerschlissenes Hemd hoch, zog das Taillenband seiner viel zu großen Hose heraus und blickte hinein. Hastig ließ er los.

Herman sprang auf, die Augen weit aufgerissen und die Hände schützend vor ihre – ja, ihre! – Scham gepresst.

»Nein!«, sagte sie. »Ich lasse nicht zu, dass Ihr Euren dreckigen Schwanz in mich steckt!«

»Für kein Geld der Welt«, versicherte Ian ihr. »Wenn das hier Trudy ist« – er wies kopfnickend auf Vermin, der – nein, die – sich auf alle viere hochgerappelt hatte und sich ins Gras übergab –, »wie zum Teufel heißt du dann?«

»Hermione«, sagte das Mädchen trotzig. »Sie heißt Ermintrude.«

Ian fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte, diese Angaben zu verdauen. Wenn er jetzt hinsah … Nein, sie sahen immer noch eher wie kleine schmutzige Dämonen aus als wie kleine Mädchen, und ihre Schlitzaugen lauerten brennend im fettigen, verklebten Gestrüpp ihrer Haare. Man würde ihnen wohl die Köpfe rasieren müssen, und er hoffte, dass er nicht in der Nähe war, wenn das geschah.

»Aye«, sagte er, weil ihm nichts Vernünftiges einfiel. »Nun denn.«

»Ihr habt Gold?«, sagte Ermintrude, die sich jetzt hinsetzte, sich mit der kleinen Hand über den Mund wischte und gekonnt ausspuckte. »Wo denn?«

»Wenn ich es ihm nicht gesagt habe, warum sollte ich es dir dann sagen? Und das kannst du gleich vergessen«, versicherte er ihr, als er ihren Blick zu dem Messer an seinem Gürtel huschen sah.

Verdammt. Was sollte er jetzt tun? Er verdrängte den Schreck, den ihm Arch Bugs Erscheinen eingejagt hatte – darüber konnte er später nachdenken –, und fuhr sich langsam mit der Hand durch die Haare, während er überlegte. Durch die Tatsache, dass die beiden Kinder Mädchen waren, änderte sich eigentlich nichts; durch die Tatsache, dass sie jetzt wussten, dass er Gold versteckt hatte, schon. Er konnte es jetzt nicht mehr wagen, sie irgendwo zu lassen, denn wenn er das tat …

»Wenn Ihr uns im Stich lasst, erzählen wir von dem Gold«, sagte Hermione prompt. »Wir wollen nicht in einer stinkenden Hütte wohnen. Wir wollen nach London.«

»Was?« Er starrte sie ungläubig an. »Was weißt du denn schon von London, zum Kuckuck?«

»Unsere Mama kommt aus London«, sagte Herman – nein, Hermione – und biss sich auf die Unterlippe, um zu verhindern, dass sie zitterte, als sie von ihrer Mutter sprach. Es war das erste Mal, dass sie überhaupt von ihrer Mutter sprach, stellte Ian mit Interesse fest. Ganz zu schweigen davon, dass sie eine Spur von Verletzlichkeit an den Tag legte. »Sie hat uns davon erzählt.«

»Mmpfm. Und warum sollte ich euch nicht einfach selbst umbringen?«, wollte er gereizt wissen. Zu seinem Erstaunen lächelte Herman ihn an; das erste Mal, dass Ian einen halbwegs freundlichen Ausdruck in ihrem Gesicht sah.

»Der Hund hat Euch gern«, sagte sie. »Er hätte Euch nicht gern, wenn Ihr Menschen umbringen würdet.«

»Das glaubst du«, murmelte er und stand auf. Rollo, der in eigener Sache unterwegs gewesen war, wählte just diesen passenden Moment, um geschäftig schnüffelnd aus dem Unterholz zu schlendern.

»Und wo bist du gewesen, als ich dich gebraucht hätte?«, wollte Ian wissen. Rollo beschnüffelte die Stelle, an der Arch Bug gestanden hatte, in aller Sorgfalt, dann hob er sein Bein und urinierte an einen Busch.

»Hätte der böse alte Mann Hermie umgebracht?«, fragte das kleinere Mädchen plötzlich, als er es hinter seiner Schwester auf das Maultier hievte.

»Nein«, sagte er überzeugt. Doch als er sich dann selbst in den Sattel schwang, musste er darüber nachdenken. Er hatte das äußerst unangenehme Gefühl, dass sich Arch Bug viel zu gut mit der Natur der Schuldgefühle auskannte. So gut, dass er ein unschuldiges Kind getötet hätte, nur weil Ian deswegen ein schlechtes Gewissen bekommen hätte? Und das hätte Ian, das wusste er.

»Nein«, wiederholte er noch einmal mit mehr Nachdruck. Arch Bug war sowohl nachtragend als auch rachsüchtig – und er hatte jedes Recht dazu, das musste er zugeben. Doch Ian hatte keinen Grund, den Mann für ein Ungeheuer zu halten.

Dennoch ließ er die kleinen Mädchen vor sich herreiten, bis sie an diesem Abend ihr Lager aufschlugen.

Sie sahen keine Spur mehr von Arch Bug, obwohl Ian hin und wieder das unheimliche Gefühl hatte, beobachtet zu werden, wenn sie Rast machten. Folgte ihm der Mann? Sehr wahrscheinlich, dachte Ian – denn sein plötzliches Auftauchen war gewiss kein Zufall gewesen.

Aha. Er war also nach Onkel Jamies Aufbruch zur Ruine des abgebrannten Hauses zurückgekehrt, um das Gold an sich zu bringen, doch es war nicht mehr da gewesen. Ian fragte sich flüchtig, ob es Arch wohl gelungen war, die weiße Sau umzubringen, doch dann verwarf er den Gedanken. Sein Onkel sagte, sie sei eindeutig eine Kreatur aus der Hölle und daher unzerstörbar, und er neigte dazu, das zu glauben.

Er warf einen Blick auf Rollo, der dösend zu seinen Füßen lag, doch der Hund benahm sich nicht so, als ob irgendjemand in der Nähe war, selbst wenn seine Ohren halb gespitzt waren. Ian entspannte sich ein wenig, behielt aber das Messer bei sich, auch im Schlaf.

Und das nicht nur aus Angst vor Arch Bug, vor Marodeuren oder vor Raubtieren. Er blickte zur anderen Seite des Feuers hinüber, wo Hermione und Trudy zusammen in seine Decke gewickelt lagen – oder auch nicht. Die Decke war mit List und Tücke so zurechtgelegt, dass es aussah, als läge jemand darunter, aber ein Windstoß hatte sie an einer Ecke gelöst, sodass er sehen konnte, dass sie leer war.

Er schloss entnervt die Augen, dann öffnete er sie wieder und sah den Hund an.

»Warum hast du dich nicht gemeldet?«, fragte er. »Du musst doch gesehen haben, wie sie gegangen sind!«

»Wir sind doch gar nicht fort«, sagte ein raues Stimmchen hinter ihm, und als er herumfuhr, hockten sie zu beiden Seiten seiner offenen Satteltasche und durchsuchten sie eifrig nach Essbarem.

»Wir hatten Hunger«, sagte Trudy und stopfte sich beiläufig die Überreste eines trockenen Kuchens in den Mund.

»Ich habe euch doch etwas zu essen gegeben!« Er hatte ein paar Wachteln geschossen und sie in Lehm gebacken. Zugegeben, kein Festmahl, aber –

»Wir haben aber immer noch Hunger«, sagte Hermione mit einer Logik, der nichts entgegenzusetzen war. Sie leckte sich die Finger ab und rülpste.

»Habt ihr etwa das ganze Bier getrunken?«, fragte er und packte die Steingutflasche, die zu ihren Füßen hin- und herrollte.

»Mm-hm«, sagte sie verträumt und setzte sich abrupt hin.

»Ihr könnt nicht unser Essen stehlen«, sagte er ernst und nahm Trudy die geplünderte Satteltasche ab. »Wenn ihr alles aufesst, verhungern wir, bevor ich euch … dorthin bringen kann, wohin wir, äh«, schloss er ziemlich schwach.