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»Ich lege ihr ein Handtuch unter den Kopf«, versprach Marsali und ging in die Knie, um das kleine Mädchen hochzuheben. Ian kam ihr zuvor und hob das Kind sanft auf.

»Wir berechnen Euch dann nur zwei Pence«, sagte er zu der Mutter. »Aber die Zähne dürft Ihr umsonst mitnehmen, aye?«

Sie nickte mit verblüffter Miene und folgte dann dem Menschenauflauf in den hinteren Teil des Hauses. Ich hörte Schritte die Treppe hinaufdonnern, doch ich folgte ihnen nicht; ich bekam jetzt weiche Knie und setzte mich abrupt hin.

»Geht es Euch nicht gut, Madame?« Ich hob den Kopf und sah den eleganten Fremden im Laden stehen. Er betrachtete mich neugierig.

Ich griff nach der halb leeren Whiskyflasche und trank einen ordentlichen Schluck. Er brannte wie Schwefel und schmeckte nach verkohlten Knochen. Ich japste und keuchte, bis mir das Wasser in die Augen stieg.

»Doch«, sagte ich heiser. »Bestens.« Ich räusperte mich und wischte mir mit dem Ärmel über die Augen. »Kann ich Euch behilflich sein?«

Ein Hauch von Belustigung huschte über sein Gesicht.

»Ich brauche keinen Zahn gezogen zu bekommen, was wahrscheinlich ein Glück für uns beide ist. Allerdings – darf ich?« Er zog eine schlanke Silberflasche aus seiner Tasche und reichte sie mir, dann setzte er sich. »Das ist, glaube ich, als Stärkung besser geeignet als … das da.« Er wies kopfnickend auf die geöffnete Whiskyflasche und zog ein wenig die Nase kraus.

Ich öffnete die Flasche, und das volle Aroma eines sehr guten Brandys schwebte heraus wie ein Flaschengeist.

»Danke«, sagte ich kurz. Ich trank und schloss die Augen. »Danke sehr«, fügte ich einen Moment später hinzu und öffnete die Augen wieder. In der Tat gestärkt. Wärme sammelte sich in meiner Mitte und ringelte sich wie Rauch durch meine Gliedmaßen.

»Es ist mir ein Vergnügen, Madame«, sagte er und lächelte. Er war unleugbar ein Lebemann, und zwar ein reicher, der am ganzen Körper Spitze trug, vergoldete Knöpfe an der Weste hatte, eine gepuderte Perücke und zwei schwarzseidene Schönheitsflecken im Gesicht – einen Stern unter der linken Augenbraue und ein steigendes Pferd auf der rechten Wange. Eine Aufmachung, die man in Wilmington nicht oft zu Gesicht bekam, schon gar nicht in letzter Zeit.

Trotz dieser Verschandelungen war er ein attraktiver Mann, fand ich, vielleicht um die vierzig, mit sanften dunklen Augen, in denen der Humor glitzerte, und einem feinen, sinnlichen Gesicht. Sein Englisch war sehr gut, obwohl er einen deutlichen Pariser Akzent hatte.

»Habe ich die Ehre, mit Mrs Fraser zu sprechen?«, fragte er. Ich sah, wie sein Blick über meinen skandalöserweise unbedeckten Kopf hinwegglitt, doch er war so höflich, auf jede Bemerkung zu verzichten.

»Ja, das habt Ihr«, sagte ich skeptisch. »Es ist aber möglich, dass Ihr eine andere meint. Meine Schwiegertochter ist ebenfalls Mrs Fraser; sie und ihr Mann sind die Eigentümer dieser Druckerei. Falls Ihr also einen Drucker braucht …«

»Mrs James Fraser?«

Ich hielt instinktiv inne, aber mir blieb nicht viel anderes übrig, als zu antworten.

»Das bin ich, ja. Ist es mein Mann, den Ihr sucht?«, fragte ich argwöhnisch. Die Leute wollten Jamie aus den unterschiedlichsten Gründen sprechen, und es war nicht immer wünschenswert, dass sie ihn fanden.

Er lächelte freundlich, und seine Augenwinkel kräuselten sich.

»So ist es in der Tat, Mrs Fraser. Der Kapitän meines Schiffes sagt, Mr Fraser hätte ihn heute Morgen angesprochen, weil er eine Möglichkeit zur Überfahrt sucht.«

Mein Herz machte einen heftigen Satz.

»Oh! Ihr habt ein Schiff, Mr …?«

»Beauchamp«, sagte er und ergriff meine Hand, um sie elegant zu küssen. »Percival Beauchamp, zu Euren Diensten, Madame. Ja, ich habe ein Schiff – die Huntress.«

Im ersten Moment dachte ich tatsächlich, das Herz wäre mir stehen geblieben, doch das war nicht der Fall, denn es klopfte deutlich spürbar weiter.

»Beauchamp«, sagte ich. »Biecham?« Er hatte es ausgesprochen wie die Franzosen, doch jetzt nickte er, und sein Lächeln wurde breiter.

»Ja, so sagen es die Engländer. Ihr spracht von Eurer Schwiegertochter … dann ist der Mr Fraser, dem diese Druckerei gehört, der Sohn Eures Mannes?«

»Ja«, sagte ich erneut, wenn auch mechanisch. Sei nicht albern, rief ich mich selbst zur Ordnung. Es ist kein ungewöhnlicher Name. Wahrscheinlich hat er ja nicht das Geringste mit deiner Familie zu tun! Und doch – eine französisch-englische Verbindung. Ich wusste, dass die Familie meines Vaters irgendwann im achtzehnten Jahrhundert von Frankreich nach England übergesiedelt war – aber das war auch schon alles, was ich über sie wusste. Ich starrte ihn fasziniert an. Hatte dieses Gesicht irgendetwas Vertrautes an sich? Irgendetwas, das ich mit meinen schwachen Erinnerungen an meine Eltern vergleichen konnte – oder mit denen an meinen Onkel?

Er hatte blasse Haut wie ich, doch das galt für die meisten Mitglieder der Oberklasse, die sich schließlich jede erdenkliche Mühe gaben, ihre Gesichter vor der Sonne zu schützen. Seine Augen waren viel dunkler als meine und sehr hübsch, aber anders geformt, rundlicher. Die Augenbrauen – hatten Onkel Lambs Augenbrauen diese Form gehabt, buschig an der Nase, um sich dann elegant davonzuschwingen …?

Ganz auf dieses faszinierende Rätsel konzentriert, hatte ich nicht mitbekommen, was er sagte.

»Verzeihung?«

»Der kleine Junge«, wiederholte er und wies kopfnickend auf die Tür, durch die die Kinder verschwunden waren. »Er hat ›opp-la‹ gerufen, wie es die Straßenkünstler in Frankreich tun. Hat die Familie Verbindungen nach Frankreich?«

Verspätet schrillten die Alarmglocken, und ein beklommenes Gefühl ließ mir die Haare auf den Unterarmen zu Berge stehen, als ich begriff, dass dies wahrscheinlich der mysteriöse Fremde war, von dem wir gehört hatten, dass er sich überall nach Claudel Fraser erkundigte.

»Nein«, sagte ich und versuchte, mein Gesicht zu einer höflich fragenden Miene zurechtzubügeln. »Wahrscheinlich hat er es einfach irgendwo aufgeschnappt. Letztes Jahr ist eine kleine französische Akrobatentruppe durch Carolina gezogen.«

»Ah, so wird es sein.« Er beugte sich ein wenig vor, und seine dunklen Augen sahen mich gebannt an. »Habt Ihr sie auch gesehen?«

»Nein. Mein Mann und ich – leben nicht in Wilmington«, schloss ich hastig. Ich war im Begriff gewesen, ihm zu sagen, wo wir lebten, doch ich wusste nicht, wie viel er – falls überhaupt – über Fergus’ Lebensumstände wusste. Er lehnte sich zurück und verzog ein wenig enttäuscht die Lippen.

»Ah, schade. Ich dachte, der Herr, nach dem ich suche, hätte möglicherweise zu dieser Truppe gehört. Obwohl Ihr die Akrobaten ja wohl kaum beim Namen kennen würdet, selbst wenn Ihr sie gesehen hättet«, fügte er hinzu.

»Ihr seid auf der Suche nach jemandem? Einem Franzosen?« Ich ergriff die Schale mit den blutbefleckten Zähnen, täuschte Gelassenheit vor und begann, darin herumzusuchen.

»Einem Mann namens Claudel. Er ist in Paris zur Welt gekommen – in einem Bordell«, fügte er hinzu und gab sich entschuldigend, weil er in meiner Gegenwart ein solch unappetitliches Wort benutzte. »Er müsste jetzt Anfang vierzig sein – einundvierzig oder zweiundvierzig vielleicht.«

»Paris«, wiederholte ich und lauschte auf Marsalis Schritte im Treppenhaus. »Wie kommt Ihr denn darauf, dass er in North Carolina sein könnte?«

Er zog die Schulter zu einem anmutigen Achselzucken hoch.

»Vielleicht ist er das ja gar nicht. Ich weiß, dass er vor gut dreißig Jahren von einem Schotten aus dem Bordell geholt worden ist und dass mir das Äußere dieses Mannes als sehr auffallend beschrieben wurde, sehr hochgewachsen mit auffälligem rotem Haar. Darüber hinaus bin ich auf einen wahren Sumpf an Möglichkeiten gestoßen –« Er lächelte ironisch. »Fraser wurde mir als Weinhändler beschrieben, als Jakobit, als Loyalist, als Verräter, als Spion, als Aristokrat, als Bauer, als Importeur – oder als Schmuggler; die Bezeichnungen sind austauschbar – mit Verbindungen, die von einem Konvent bis hin zum Königshof reichen.«