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»Aber es gibt doch gar keine zivile Obrigkeit mehr«, sagte ich. »Oder?«

Er schüttelte den Kopf.

»Zumindest keine, die sich mit einer solchen Angelegenheit befassen könnte. Es gibt zwar nach wie vor Gefängnisse und Sheriffs, aber weder Gerichtshöfe noch Magistraten. Unter diesen Umständen« – fast hätte er gelächelt, auch wenn es ein mürrischer Ausdruck war – »hielt ich es für Zeitverschwendung, mir jemanden zu suchen, dem ich mich ergeben konnte.«

»Aber Ihr habt doch gesagt, Ihr hättet eine Kopie Eures Geständnisses an die Zeitung geschickt«, sagte ich. »Haben Euch die Einwohner von New Bern nicht, äh, unfreundlich aufgenommen?«

»Durch die Gnade der göttlichen Vorsehung hatte die dortige Zeitung ihren Dienst eingestellt, bevor sie mein Geständnis erhielt, da der Drucker Loyalist war. Ich glaube, Mr Ashe und seine Freunde haben ihm einen Besuch abgestattet, und er war so klug, sich eine andere Beschäftigung zu suchen.«

»Wirklich sehr klug von ihm«, sagte ich trocken. John Ashe war ein Freund Jamies, eine Leitfigur der örtlichen Söhne der Freiheit und der Mann, auf dessen Konto der Brand von Fort Johnston und die Vertreibung Gouverneur Martins gingen.

»Es gab zwar ein bisschen Gerede«, sagte er und wandte erneut den Blick ab, »doch dann haben sich die öffentlichen Ereignisse überschlagen. Niemand wusste genau, was sich in Fraser’s Ridge zugetragen hatte, und nach einer Weile blieb nur der Gedanke in den Köpfen, dass ich das Opfer einer persönlichen Tragödie geworden war. Die Leute haben mich mit einer Art … Mitleid betrachtet.« Er verzog den Mund; er war kein Mensch, der anderen ihr Mitleid dankte.

»Es scheint Euch ja gut zu gehen«, sagte ich und wies auf seinen Anzug. »Zumindest schlaft Ihr nicht im Rinnstein oder ernährt Euch von den Fischabfällen der Docks. Ich wusste gar nicht, dass das Schreiben von Traktaten so profitabel ist.«

Er hatte im Verlauf des Gesprächs seine normale Gesichtsfarbe angenommen, doch jetzt wurde er wieder rot – diesmal vor Ärger.

»Das ist es auch nicht«, fuhr er mich an. »Ich habe Schüler. Und ich – ich predige sonntags.«

»Ich kann mir niemanden vorstellen, der das besser könnte«, entgegnete ich belustigt. »Ihr habt von Anfang an Talent dafür gehabt, den Leuten ihre Fehler mit biblischen Formulierungen vorzuhalten. Dann seid Ihr ein Kirchenmann geworden?«

Seine Gesichtsfarbe verdunkelte sich weiter, doch er schluckte seine Wut herunter und antwortete mir gleichmütig.

»Bei meiner Ankunft war ich so gut wie mittellos. Fischabfälle, genau wie Ihr sagt – und hin und wieder etwas Brot oder Suppe, die von einer ›New Light‹-Gemeinde verteilt wurden. Ich bin zum Essen dorthin gegangen, aber aus Höflichkeit zum Gottesdienst geblieben. So habe ich eine Predigt gehört, die Reverend Peterson gehalten hat. Sie – ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich habe ihn aufgesucht, und wir haben uns … unterhalten. Eines hat zum anderen geführt.« Er blickte zu mir auf, und seine Augen leuchteten. »Der Herr antwortet auf Gebete, wisst Ihr.«

»Wofür hattet Ihr denn gebetet?«, fragte ich fasziniert.

Das verblüffte ihn ein wenig, obwohl es eine unschuldige Frage war, die ich aus schlichter Neugier gestellt hatte.

»Ich – ich –« Er brach ab und starrte mich stirnrunzelnd an. »Ihr seid wirklich eine unbequeme Frau.«

»Ihr seid nicht der Erste, der das denkt«, versicherte ich ihm. »Und ich will Euch auch nicht bedrängen. Ich habe mich … nur gewundert.«

Ich konnte sehen, wie das Bedürfnis aufzustehen und zu gehen in ihm mit dem Bedürfnis rang, Zeugnis dessen abzulegen, was mit ihm geschehen war. Außerdem war er ein sturer Mensch, und so blieb er sitzen.

»Ich … habe gefragt, warum«, sagte er schließlich sehr ruhig. »Das ist alles.«

»Nun, das hat bei Hiob auch geholfen«, stellte ich fest. Er zog ein verblüfftes Gesicht, und fast hätte ich gelacht; er war immer verblüfft, wenn er feststellen musste, dass noch jemand außer ihm die Bibel gelesen hatte. Doch er fing sich wieder und funkelte mich mit einer Miene an, die ihm weitaus ähnlicher sah.

»Und jetzt seid Ihr hier«, sagte er und ließ es wie eine Anschuldigung klingen. »Ich gehe davon aus, dass Euer Mann eine Miliz aufgestellt hat – oder sich einer Miliz angeschlossen hat. Ich habe genug vom Krieg. Ich bin überrascht, dass es Eurem Mann nicht ebenso geht.«

»Ich glaube nicht, dass er eine besondere Vorliebe für den Krieg hat«, sagte ich. Mein Tonfall war scharf, doch irgendetwas an ihm trieb mich dazu hinzuzufügen: »Es ist eher so, dass er das Gefühl hat, dafür geboren zu sein.«

Irgendetwas flackerte tief in Tom Christies Augen auf – Überraschung? Anerkennung?

»Das ist er auch«, sagte er leise. »Aber er muss doch –« Er beendete seinen Gedanken nicht, sondern fragte stattdessen abrupt: »Was tut Ihr dann hier? In Wilmington?«

»Wir sind auf der Suche nach einem Schiff«, sagte ich. »Wir fahren nach Schottland.«

Ich hatte immer schon Talent dafür gehabt, ihn zu verblüffen, doch das schlug dem Fass den Boden aus. Er hatte seinen Krug zum Trinken gehoben, doch als er meine Worte hörte, versprühte er seinen Cidre über den ganzen Tisch. Der darauffolgende Hustenanfall erregte beträchtliche Aufmerksamkeit, und ich lehnte mich zurück, um weniger aufzufallen.

»Äh … Wir fahren nach Edinburgh, um die Druckerpresse meines Mannes zu holen«, sagte ich. »Soll ich irgendjemanden für Euch besuchen? Eine Nachricht überbringen, meine ich. Ich glaube, Ihr habt erzählt, Ihr hättet einen Bruder dort?«

Sein Kopf hob sich ruckartig, und er blitzte mich mit tränenden Augen an. Ich wurde von Grauen gepackt, als es mir plötzlich wieder einfiel, und ich hätte mir die Zunge abbeißen können. Sein Bruder hatte eine Affäre mit Toms Frau gehabt, während Tom nach dem Aufstand in den Highlands im Gefängnis saß, und seine Frau hatte dann seinen Bruder vergiftet und war als Hexe hingerichtet worden.

»Es tut mir so leid«, sagte ich leise. »Bitte verzeiht mir. Ich wollte Euch nicht –«

Er nahm meine Hand in beide Hände, so fest und so plötzlich, dass ich aufkeuchte und sich einige Köpfe neugierig in unsere Richtung wandten. Er achtete nicht darauf, sondern beugte sich über den Tisch zu mir herüber.

»Hört mir zu«, wisperte er leise und brennend. »Ich habe im Leben drei Frauen geliebt. Die eine war eine Hexe und eine Hure, die zweite nur eine Hure. Es kann gut sein, dass auch Ihr eine Hexe seid, aber das interessiert mich nicht. Meine Liebe zu Euch hat mir die Erlösung gebracht und etwas, das ich für meinen Frieden hielt, solange ich Euch für tot hielt.«

Er starrte mich an und schüttelte langsam den Kopf, und seine zusammengepressten Lippen verschwanden einen Moment in seinem Bart.

»Und jetzt seid Ihr hier.«

»Äh … ja.« Wieder hatte ich das Gefühl, mich dafür entschuldigen zu müssen, dass ich nicht tot war, doch ich tat es nicht.

Er holte tief Luft und atmete seufzend aus.

»Ich werde keinen Frieden finden, solange Ihr lebt.«

Dann hob er meine Hand und küsste sie, stand auf und ging.

»Aber«, sagte er und blieb an der Tür stehen, um sich nach mir umzudrehen, »ich sage nicht, dass ich das bedauere.«

Ich ergriff das Whiskyglas und leerte es in einem Zug.

Benommen – und das nicht nur vom Whisky – begab ich mich an meine restlichen Erledigungen. Ich hatte keinen Schimmer, was ich von Tom Christies Auferstehung halten sollte, doch sie raubte mir jede Fassung. Dennoch konnte ich ja im Grunde nichts tun, und so begab ich mich zu Stephen Moray, einem Silberschmied aus Fife, um eine Chirurgenschere in Auftrag zu geben. Glücklicherweise entpuppte er sich als intelligenter Mann, der sowohl meine Spezifikationen begriff als auch den Zweck, dem diese dienten, und er versprach mir, dass er die Schere in drei Tagen fertig haben würde. Dadurch ermutigt, wagte ich mich an einen etwas problematischeren Auftrag.

»Nadeln?« Verwundert zog Moray seine weißen Augenbrauen zusammen. »Ihr braucht doch keinen Silberschmied, um –«