»Keine Nähnadeln. Diese Nadeln sind länger, sehr dünn, und sie haben kein Nadelöhr. Sie dienen einem medizinischen Zweck. Und ich hätte gern, dass Ihr sie hieraus anfertigt.«
Er bekam große Augen, als ich etwas auf die Theke legte, was wie ein walnussgroßes Goldklümpchen aussah.
»Mein Mann hat es beim Kartenspiel gewonnen«, sagte ich mit einer Mischung aus Stolz und Verlegenheit, die mir für ein solches Eingeständnis passend erschien. Ich wollte nicht, dass irgendjemand auf die Idee kam, in Fraser’s Ridge könnte es Gold geben – ganz gleich, in welcher Form. Mit Jamies Ruf als Kartenspieler anzugeben, konnte kaum schaden; er war längst berühmt-berüchtigt für sein Talent.
Moray runzelte zwar die Stirn, als er meine Anweisungen für die Akupunkturnadeln las, erklärte sich aber bereit, sie mir anzufertigen. Glücklicherweise schien er noch nie etwas von Voodoopuppen gehört zu haben, sonst wäre es mir vielleicht schwerer gefallen, ihn zu überzeugen.
Nach dem Besuch bei dem Silberschmied und einem raschen Ausflug auf den Markt, wo ich Frühlingszwiebeln, Käse und einige frische Küchenkräuter erstand, war es später Nachmittag, bevor ich zum »King’s Arms« zurückkehrte.
Jamie spielte im Schankraum Karten, und Ian spähte ihm dabei über die Schulter, doch er sah mich hereinkommen, gab Ian seine Karten, kam zu mir, um mir den Korb abzunehmen, und folgte mir die Treppe hinauf zu unserem Zimmer.
Dort drehte ich mich zu ihm um, kaum dass er die Tür geschlossen hatte, doch bevor ich den Mund aufmachen konnte, sagte er: »Ich weiß, dass Tom Christie am Leben ist. Ich bin ihm auf der Straße begegnet.«
»Er hat mich geküsst«, platzte ich heraus.
»Aye, das habe ich gehört«, sagte er und betrachtete mich mit einer Miene, die durchaus belustigt hätte sein können. Aus irgendeinem Grund fand ich das ausgesprochen ärgerlich. Er sah das, und seine Belustigung nahm zu.
»Es hat dir wohl gefallen, wie?«
»Es war nicht komisch!«
Die Belustigung verschwand zwar nicht, doch sie trat ein wenig in den Hintergrund.
»Hat es dir gefallen?«, wiederholte er, doch jetzt lag Neugier in seinem Tonfall, keine Ironie.
»Nein.« Ich wandte mich ab. »Das – ich hatte keine Zeit … darüber nachzudenken.«
Ohne Vorwarnung legte er mir eine Hand in den Nacken und küsste mich kurz. Und ich reagierte völlig reflexiv mit einer Ohrfeige. Nicht fest – ich versuchte noch in der Bewegung, den Schlag abzuschwächen – und eindeutig nicht schmerzhaft. Und doch war ich so überrascht und so bestürzt, als ob ich ihn zu Boden geschlagen hätte.
»So sehr braucht man gar nicht nachzudenken, oder?«, sagte er ungerührt und trat einen Schritt zurück, um mich neugierig zu betrachten.
»Es tut mir leid«, sagte ich und fühlte mich verlegen und wütend zugleich – und noch wütender, weil ich gar nicht verstand, warum ich so wütend war. »Das wollte ich nicht – entschuldige.«
Er legte den Kopf schief und sah mich an.
»Soll ich ihn lieber umbringen?«
»Ach, mach dich doch nicht lächerlich.« Ich bewegte nervös die Hände und band meine Tasche los, weil ich ihm nicht in die Augen sehen wollte. Ich war gereizt und bestürzt – umso mehr, als ich nicht wusste, weswegen.
»Es war eine aufrichtige Frage, Sassenach«, sagte er leise. »Vielleicht war sie nicht ganz ernst gemeint – aber aufrichtig. Ich glaube, du schuldest mir eine aufrichtige Antwort.«
»Natürlich möchte ich nicht, dass du ihn umbringst!«
»Möchtest du mir dann sagen, warum du mich geohrfeigt hast?«
»Warum –« Im ersten Moment stand ich mit offenem Mund da, dann schloss ich ihn. »Ja. Das möchte ich.«
»Ich habe dich gegen deinen Willen berührt«, sagte er und sah mich unverwandt an. »Nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich, und das Atmen fiel mir ein wenig leichter. »Genau wie Tom Christie. Und nein, es hat mir nicht gefallen.«
»Das ist aber nicht Toms Schuld«, schloss er. »Armer Kerl.«
»Er würde dein Mitleid nicht wollen«, sagte ich gereizt, und er lächelte.
»Nein. Es gilt ihm aber dennoch. Trotzdem freut es mich«, fügte er hinzu.
»Was? Dass er noch lebt – oder – doch wohl nicht, dass er glaubt, er liebt mich?«, fragte ich ungläubig.
»Verharmlose seine Gefühle nicht, Sassenach«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Er hat sein Leben schon einmal für dich aufgegeben. Ich traue ihm zu, dass er es abermals tut.«
»Ich habe es doch schon beim ersten Mal nicht gewollt.«
»Das Ganze macht dir zu schaffen«, sagte er im Tonfall klinischen Interesses.
»Ja, verdammt, es macht mir zu schaffen!«, sagte ich. »Und« – plötzlich begriff ich und sah ihn scharf an – »dir auch.« Jetzt fiel mir wieder ein, dass er gesagt hatte, er wäre Tom Christie auf der Straße begegnet. Was hatte Tom zu ihm gesagt?
Er schüttelte zwar schwach den Kopf, leugnete es aber nicht.
»Ich will ja nicht sagen, dass mir Thomas Christie sympathisch ist«, sagte er nachdenklich, »aber ich respektiere ihn. Und es freut mich tatsächlich sehr, dass er noch lebt. Es war ja nicht falsch, dass du um ihn getrauert hast, Sassenach«, sagte er sanft. »Ich habe es ebenfalls getan.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht.« Vor lauter Schreck über das Zusammentreffen hatte ich ganz vergessen, dass ich um ihn geweint hatte. »Aber es tut mir nicht leid.«
»Gut. Die Sache ist so«, fuhr er fort, »dass dich Tom Christie begehrt. Leidenschaftlich. Aber er weiß nicht das Geringste über dich.«
»Und du schon.« Ich beließ diesen Satz irgendwo zwischen Frage und Herausforderung, und er lächelte. Er drehte sich um und verriegelte die Tür, dann durchquerte er das Zimmer und schloss den Kalikovorhang vor dem einzigen kleinen Fenster, sodass das Zimmer in ein angenehm gedämpftes blaues Licht getaucht wurde.
»Oh, ich brauche und begehre dich sehr – aber ich kenne dich auch.« Er stand sehr dicht bei mir, so dicht, dass ich zu ihm aufblicken musste. »Ich habe dich niemals geküsst, ohne zu wissen, wer du warst – und das wird der arme Tom nie erfahren.« Gott, was hatte Tom ihm nur erzählt?
Mein Puls, der in den letzten Minuten Kapriolen geschlagen hatte, wurde zu einem raschen, leichten Pochen, das ich bis in die Fingerspitzen spüren konnte.
»Du hast aber nicht das Geringste über mich gewusst, als du mich geheiratet hast.«
Seine Hand schloss sich sanft um meinen Hintern.
»Nein?«
»Ich meine ansonsten.«
Er stieß einen leisen schottischen Kehllaut aus, nicht ganz ein Glucksen.
»Aye, nun ja, der kluge Mann weiß, was er nicht weiß – und ich lerne schnell, a nighean.«
Dann zog er mich sanft an sich und küsste mich – rücksichtsvoll und zärtlich, wissend – und mit meiner vollen Zustimmung. Meine Erinnerung an Tom Christies hitzige, ungeschickte Umarmung löschte er damit zwar nicht aus, doch ich hatte das Gefühl, dass er das auch gar nicht wollte; er wollte mir den Unterschied zeigen.
»Du kannst doch nicht ernsthaft eifersüchtig sein«, sagte ich einen Moment später.
»O doch«, sagte er, und das war kein Scherz.
»Du kannst doch unmöglich glauben …«
»Das tue ich auch nicht.«
»Also dann …«
»Also dann.« Im gedämpften Licht des Zimmers waren seine Augen so dunkel wie Meerwasser, doch ihr Ausdruck war bestens zu sehen, und mein Herzschlag beschleunigte sich. »Ich weiß, was du für Tom Christie empfindest – und er hat mir ganz unverblümt gesagt, was er für dich empfindet. Du weißt doch wohl, dass Liebe nichts mit Logik zu tun hat, Sassenach?«
Da ich wusste, was eine rhetorische Frage war, machte ich mir nicht die Mühe, darauf zu antworten, sondern streckte stattdessen die Hand aus und knöpfte ihm das Hemd auf. Es gab nichts, was ich über Tom Christies Gefühle hätte sagen können, doch es gab eine andere Sprache, in der ich meine eigenen Gefühle ausdrücken konnte. Sein Herz schlug schnell; ich konnte es spüren, als hielte ich es in meiner Hand. Mein Herz raste ebenfalls, doch ich atmete tief durch und fand Ruhe in der warmen Vertrautheit seines Körpers, der rauen Sanftheit seiner zimtroten Brusthaare und der Gänsehaut, die diese unter meinen Fingern zu Berge stehen ließ. Während ich damit beschäftigt war, ließ er die Finger durch mein Haar gleiten und zog eine Locke heraus, die er abschätzend betrachtete.