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William fühlte sich, als hätte man ihm einen Hieb in die Magengrube versetzt.

»Oh, Ihr habt ihn gesehen?« Rogers’ Tonfall war gelassen, doch der Blick seiner dunklen Augen war scharf geworden. William ärgerte sich, dass man so leicht in seinem Gesicht lesen konnte, doch er nickte.

»Er hat gestern den Zollpunkt passiert. Ein ziemlich wortgewandter Knabe«, fügte er hinzu, während er versuchte, sich den Mann genauer ins Gedächtnis zu rufen. Die Narben waren ihm aufgefallen: ausgebleichte Wülste, die Wangen und Stirn des Mannes verunstalteten. »Und nervös; er hat geschwitzt, und seine Stimme war zittrig – der Soldat, der ihn angehalten hat, dachte, er hätte Tabak oder etwas anderes versteckt, und hat ihn seine Taschen leeren lassen, aber er hatte keinerlei Schmuggelware dabei.« William schloss die Augen und runzelte die Stirn, während er angestrengt versuchte, sich zu erinnern. »Er hatte Papiere dabei … Ich habe sie gesehen.« Das stimmte; er hatte sie gesehen, war aber nicht dazu gekommen, sie selbst zu begutachten, weil er mit einem Kaufmann beschäftigt war, der einen Karren voller Käse dabeihatte – für den Bedarf der britischen Armee, wie er sagte. Bis er damit fertig war, hatte man den Mann längst durchgewinkt.

»Der Mann, der mit ihm gesprochen hat …« Rogers’ Blick wanderte zu dem planlosen Suchkommando am anderen Ende des Strandes hinüber. »Welcher ist es?«

»Ein Privatgefreiter namens Hudson. Ich kann ihn gern rufen, wenn Ihr möchtet«, bot William an. »Ich bezweifle aber, dass er Euch viel über die Papiere erzählen kann; er kann nicht lesen.«

Rogers zog eine irritierte Miene, wies William jedoch kopfnickend an, Hudson dennoch zu rufen. Dieser bestätigte Williams Bericht, konnte sich aber nicht an den Inhalt der Papiere erinnern, nur daran, dass auf einem der Bogen Zahlen standen. »Und eine Zeichnung, glaube ich«, fügte er hinzu. »Ich habe aber leider nicht darauf geachtet, was es war, Sir.«

»Zahlen, wie? Gut, gut«, sagte Rogers, der es sich sichtlich verkneifen musste, sich die Hände zu reiben. »Und hat er gesagt, wohin er unterwegs war?«

»Zu einem Freund, Sir, in der Nähe von Flushing.« Hudson verhielt sich zwar respektvoll, sah Rogers aber neugierig an; der Mann war barfuß und trug eine zerschlissene Leinenkniehose und eine Weste aus Bisamrattenpelz. »Ich habe ihn nicht nach dem Namen seines Freundes gefragt, Sir. Wusste ja nicht, dass es wichtig sein könnte.«

»Oh, ich bezweifle, dass es wichtig ist, Soldat. Ich bezweifle, dass dieser Freund überhaupt existiert.« Rogers gluckste, denn diese Nachrichten schienen ihn sehr zu freuen.

Er starrte mit zusammengekniffenen Augen in die dunstige Ferne, als könnte er den Spion in den Dünen erspähen. Dann nickte er langsam und zufrieden.

»Sehr gut«, sagte er leise wie zu sich selbst und wandte sich schon zum Gehen, als ihn William aufhielt.

»Danke für die Auskünfte über das Schmugglerversteck, Sir.« Perkins hatte die Männer mittlerweile beim Schaufeln an der richtigen Stelle beaufsichtigt, während William und Rogers den Gefreiten Hudson befragten, und jetzt schikanierte er eine kleine Gruppe von Soldaten, die die sandverkrusteten Fässer vor sich her über die Dünen rollten. Eines der Fässer traf auf eine harte Stelle im Sand, sprang hoch, landete unsanft und torkelte davon, von den Soldaten mit Geheul verfolgt.

William zuckte bei diesem Anblick leicht zusammen. Falls der Wein seine Rettung überlebte, würde man ihn zwei Wochen lang nicht trinken können. Nicht dass das irgendjemanden daran hindern würde, es trotzdem zu versuchen.

»Ich würde Euch gern um die Erlaubnis bitten, die beschlagnahmte Schmuggelware an Bord Eurer Schaluppe transportieren zu dürfen«, sagte er formell zu Rogers. »Ich werde sie natürlich persönlich begleiten und ausliefern.«

»Oh, natürlich.« Rogers schien belustigt zu sein, nickte aber zustimmend. »Wir fahren erst morgen zurück – würdet Ihr uns gern heute Abend begleiten? Ihr könntet uns vielleicht helfen, denn Ihr habt den Kerl, hinter dem wir her sind, ja tatsächlich schon gesehen.«

Williams Herz tat vor Aufregung einen Satz. Ms Beulahs Eintopf war nichts im Vergleich zu der Aussicht, einen gefährlichen Spion zu jagen. Und an seiner Festnahme beteiligt zu sein, konnte nur gut für seinen Ruf sein, selbst wenn die Ehre eigentlich Rogers gebührte.

»Ich wäre mehr als erfreut, Euch zu helfen, Sir!«

Rogers grinste, dann betrachtete er ihn von oben bis unten.

»Gut. Aber so könnt Ihr keine Jagd auf Spione machen, Leutnant. Kommt an Bord, dann ziehen wir Euch ordentlich an.«

Es stellte sich heraus, dass William gute fünfzehn Zentimeter größer war als Rogers’ größter Seemann, und so endete er wenig elegant in einem groben Leinenhemd – dessen Hemdschöße ihn lose umflatterten, um die Tatsache zu verbergen, dass er die oberen Knöpfe seines Hosenlatzes offen gelassen hatte – und einer Kniehose aus Segeltuch, die ihn bei jeder plötzlichen Bewegung zu entmannen drohte. Auch an den Waden ließ sie sich natürlich nicht schließen, sodass William beschloss, es Rogers nachzutun und barfuß zu laufen, statt die Peinlichkeit gestreifter Strümpfe zu ertragen, die zwischen Strumpfkante und Hosensaum seine Knie und zehn Zentimeter behaarter Schienbeine frei ließen.

Die Schaluppe war nach Flushing gefahren, wo Rogers, William und vier Mann von Bord gingen. Rogers betrieb dort im Hinterzimmer eines Geschäftes an der Hauptstraße eine inoffizielle Rekrutierstube. In diesem Etablissement verschwand er kurz, um dann mit der erfreulichen Nachricht zurückzukehren, dass man Hale in Flushing nicht gesichtet hatte und er daher wahrscheinlich in einem der beiden Wirtshäuser in Elmsford eingekehrt war, zwei oder drei Meilen außerhalb der Ortschaft.

Also machten sich die Männer in diese Richtung auf, vorsichtshalber in kleine Grüppchen aufgeteilt, sodass sich William – zum Schutz gegen die Abendkühle in ein zerschlissenes Schultertuch gehüllt – an Rogers’ Seite wiederfand. Er hatte sich natürlich nicht rasiert und fand, dass er durchaus einen passenden Begleiter für Rogers abgab, der seine Verkleidung jetzt mit einem Schlapphut vervollständigt hatte, an dessen Krempe ein getrockneter Fliegender Fisch geheftet war.

»Geben wir uns als Austernfischer aus oder als Fuhrleute?«, fragte William. Rogers grunzte belustigt auf und schüttelte den Kopf.

»Euch würde man beides nicht abnehmen, wenn man Euch reden hört. Nein, Junge, lasst den Mund zu, es sei denn, Ihr wollt etwas hineinstecken. Die Jungs und ich erledigen das schon. Alles, was Ihr tun müsst, ist nicken, wenn Ihr Hale erspäht.«

Der Wind kam jetzt von der Landseite und wehte ihnen den Geruch kalter Marschen entgegen, gewürzt mit einer Spur von Kaminrauch. Noch war kein Haus in Sicht, und die verblassende Landschaft ringsum war leer. Doch der kalte, sandige Boden der Straße war angenehm unter seinen Füßen, und er fand ihre trostlose Umgebung überhaupt nicht deprimierend; er war viel zu sehr mit seinen Gedanken an das bevorstehende Abenteuer beschäftigt.

Rogers schwieg die meiste Zeit und schritt mit gesenktem Kopf gegen den kalten Wind an. Doch nach einer Weile sagte er beiläufig: »Ich habe Hauptmann Richardson aus New York übergesetzt. Und zurück.«

Im ersten Moment hätte William fast im Tonfall höflichen Unwissens »Hauptmann Richardson?« gesagt, doch er begriff rechtzeitig, dass das nicht ging.

»Habt Ihr das?«, entgegnete er stattdessen knapp. Rogers lachte.

»Ihr seid ein cleveres Kerlchen, wie? Möglicherweise hat er ja recht, dass er Euch ausgesucht hat.«

»Er hat Euch gesagt, dass er mich … für etwas ausgesucht hat?«

»Braver Junge. Niemals freiwillig mit etwas herausrücken – obwohl es sich manchmal lohnt, dem Schicksal etwas nachzuhelfen. Nein, Richardson ist von der verschlagenen Sorte – er hat kein Wort über Euch gesagt. Aber ich weiß, wer er ist und was er tut. Und ich weiß, wo ich ihn abgesetzt habe. Ich wette, dass er nicht die Culpers besuchen wollte.«