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William räusperte sich vage. Rogers wollte ja offensichtlich etwas sagen. Sollte er also damit herausrücken.

»Wie alt seid Ihr, Junge?«

»Neunzehn«, sagte William etwas irritiert. »Warum?«

Rogers zuckte mit den Achseln. Sein Umriss war kaum mehr als ein Schatten in der zunehmenden Dämmerung.

»Alt genug also, um zu wissen, was Ihr tut, wenn Ihr Euren Hals riskiert. Aber Ihr solltet es Euch gut überlegen, bevor Ihr auf Richardsons Vorschlag eingeht, wie auch immer er lautet.«

»Vorausgesetzt, er hat mir tatsächlich etwas vorgeschlagen – nochmals, warum?«

Rogers berührte seinen Rücken und drängte ihn vorwärts.

»Das werdet Ihr gleich selbst sehen, Junge. Gehen wir.«

Das warme, rauchige Licht des Wirtshauses und seine Essensgerüche hüllten William ein. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass er fror, dass es stockfinster war oder dass er Hunger hatte, weil er sich nur auf das bevorstehende Abenteuer konzentrierte. Jetzt jedoch holte er tief Luft, roch frisches Brot und Brathuhn und fühlte sich wie ein Toter, der am Tag des Jüngsten Gerichts aus dem Grab steigt und wieder zum Leben erweckt wird.

Der nächste Atemzug blieb ihm jedoch im Hals stecken, und sein Herz krampfte sich mit solcher Gewalt zusammen, dass ihm das Blut durch den Körper rauschte. Rogers, der neben ihm stand, stieß einen leisen Warnlaut aus. Dann steuerte er auf einen Tisch zu und sah sich dabei beiläufig um. Der Mann, der Spion, saß in der Nähe des Kamins, aß ein Huhn und unterhielt sich mit ein paar Farmern. Die meisten der Männer im Schankraum hatten zur Tür gesehen, als die Neuankömmlinge auftauchten – und mehr als einer von ihnen hatte bei Williams Anblick heftig geblinzelt –, doch der Spion war so in seine Mahlzeit und sein Gespräch vertieft, dass er von nichts anderem Notiz nahm.

William hatte den Mann das erste Mal zwar nur flüchtig wahrgenommen, doch er hätte ihn jederzeit wiedererkannt. Er war nicht ganz so hochgewachsen wie William, aber doch einige Zentimeter größer als der Durchschnitt, und sein Aussehen war auffallend. Er hatte flachsblondes Haar und eine hohe Stirn, auf der man die Narben der Pulverexplosion sah, die Rogers erwähnt hatte. Sein runder, breitkrempiger Hut lag neben seinem Teller auf dem Tisch, und er trug einen unauffälligen, einfachen braunen Anzug.

Nicht in Uniform … William schluckte krampfhaft, und das nicht nur, weil er Hunger hatte und es hier nach Essen roch.

Rogers setzte sich an den Nebentisch, winkte William, sich ihm gegenüber auf einen Hocker zu setzen, und zog fragend die Augenbrauen hoch. William nickte schweigend, ohne einen Blick in Hales Richtung zu werfen.

Der Wirt brachte ihnen Speise und Trank, und William widmete sich ganz dem Essen, froh, dass er nicht gezwungen war, sich zu unterhalten. Hale selbst war ganz entspannt und redete ohne Unterlass. Er erzählte seinen Begleitern, er wäre ein holländischer Schulmeister aus New York.

»Aber dort herrscht ein solcher Aufruhr«, sagte er kopfschüttelnd, »dass der Großteil meiner Schüler verschwunden ist. Sie sind mit ihren Familien zu Verwandten in Connecticut oder New Jersey geflohen. Ich gehe davon aus, dass hier ähnliche – wenn nicht schlimmere – Zustände herrschen?«

Einer der Männer an seinem Tisch grunzte nur, doch der andere stieß ein verächtliches Schnauben aus.

»Das kann man wohl sagen. Die gottverdammten Rotröcke nehmen alles an sich, was man nicht vergräbt. Tory, Whig oder Rebell, das ist den habgierigen Schuften völlig egal. Ein Wort des Widerspruchs, und schon bekommt man entweder eins über den Schädel gebrummt oder wird in den gottverdammten Kerker geschleift, damit sie leichteres Spiel haben. Mich hat letzte Woche so ein grober Klotz am Zollpunkt angehalten und meine ganze Ladung Apfelcidre einkassiert und den gottverdammten Wagen noch dazu! Er –«

William verschluckte sich an einem Bissen Brot, wagte es aber nicht zu husten. Himmel, er hatte den Mann zwar nicht erkannt – der mit dem Rücken zu ihm saß –, doch an den Apfelcidre konnte er sich gut erinnern. Grober Klotz?

Er griff nach seinem Bier und schluckte, um das festsitzende Brotstück herunterzuspülen; es funktionierte nicht, und er hustete lautlos, während er spürte, wie sein Gesicht blau wurde. Er sah, wie ihn Rogers stirnrunzelnd anblickte. Mit einer schwachen Geste wies er auf den Cidrefarmer, schlug sich vor die Brust, erhob sich und verließ so unauffällig wie möglich den Raum. Seine Verkleidung mochte ja exzellent sein, doch sie konnte absolut nicht verbergen, was für ein Hüne er war, und wenn ihn der Mann als britischen Soldaten erkannte, ging das ganze Unternehmen zum Teufel.

Er brachte es fertig, nicht zu atmen, bis er sicher draußen war, wo er hustete, bis er das Gefühl hatte, der Boden seines Magens würde sich seinen Weg aus seinem Mund bahnen. Schließlich jedoch hörte er auf und lehnte sich mit tränenden Augen an die Wand des Wirtshauses, wo er in langen, keuchenden Zügen Luft holte. Er wünschte, er wäre so geistesgegenwärtig gewesen, sein Bier mitzunehmen.

Die letzten von Rogers’ Männern kamen jetzt die Straße entlang, musterten ihn verblüfft und traten ein. Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, richtete sich auf und schlich an der Hauswand entlang, bis er ein Fenster erreichte.

Die Neuankömmlinge suchten sich ebenfalls einen Platz in der Nähe von Hales Tisch. Vorsichtig an den Rand des Fensters gedrückt, damit man ihn nicht entdeckte, sah er, dass sich Rogers jetzt in das Gespräch zwischen Hale und den beiden Farmern eingemischt hatte und ihnen einen Witz zu erzählen schien. Als er fertig war, hämmerte der Mann mit dem Cidre grölend auf den Tisch; Hale grinste zwar gezwungen, zog aber eine ziemlich schockierte Miene; es musste ein unappetitlicher Witz gewesen sein.

Rogers lehnte sich beiläufig zurück und wandte sich mit einer ausladenden Handbewegung an den ganzen Tisch. Er sagte etwas, was allgemeines Kopfnicken und beifälliges Gemurmel auslöste. Dann beugte er sich zielsicher vor, um Hale etwas zu fragen.

Im Lärmen des Wirtshauses und dem Pfeifen des kalten Windes, der ihm um die Ohren sauste, konnte William nur Bruchstücke der Unterhaltung auffangen. Soweit er es mitbekam, gab sich Rogers als Rebell aus, woraufhin auch seine Männer zustimmend nickten und dann näher heranrückten, um einen geheimnistuerischen Gesprächskreis rings um Hale zu bilden. Hale sah konzentriert aus, erregt und sehr ernst. Er hätte tatsächlich gut ein Schulmeister sein können, dachte William – auch wenn Rogers gesagt hatte, er wäre Hauptmann in der Kontinentalarmee. William schüttelte den Kopf; Hale sah überhaupt nicht wie ein Soldat aus.

Gleichzeitig sah er aber auch überhaupt nicht wie ein Spion aus. Er fiel auf durch seine blonden Haare, sein gutes Aussehen, sein vernarbtes Gesicht, seine … Körpergröße.

William spürte einen kleinen Eisklumpen unter seinem Zwerchfell. Himmel. War es das, was Rogers gemeint hatte? Als er sagte, dass es etwas gab, wovor William im Hinblick auf Hauptmann Richardsons Aufträge gewarnt sein sollte, und dass er heute Abend schon selbst sehen würde, was es war?

William war sowohl an seine Körpergröße gewöhnt als auch an die Art und Weise, wie die Leute darauf reagierten; es gefiel ihm, wenn sie zu ihm aufblickten. Doch auf seinem ersten Kundschaftergang für Hauptmann Richardson war ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass sich die Leute deswegen an ihn erinnern könnten – oder dass sie ihn völlig problemlos beschreiben könnten. Grober Klotz war zwar kein Kompliment, doch es war eindeutig.

Ungläubig hörte er mit an, wie Hale nicht nur seinen Namen und die Tatsache preisgab, dass er mit den Rebellen sympathisierte, sondern auch offen zugab, dass er damit befasst war, Erkundigungen über die Stärke der britischen Truppen einzuholen – gefolgt von der ernst gemeinten Nachfrage, ob seinen Gesprächspartnern womöglich in der Gegend irgendwelche rot berockten Soldaten aufgefallen waren?

William war so schockiert über diese Achtlosigkeit, dass er sein Auge an den Fensterrahmen drückte – um zu sehen, wie sich Rogers übertrieben vorsichtig im Schankraum umschaute, bevor er sich vertraulich zu Hale hinüberbeugte, ihm auf den Arm tippte und sagte: »O ja, Sir, das habe ich, aber Ihr müsst vorsichtiger sein mit dem, was Ihr in der Öffentlichkeit sagt. Es könnte Euch jemand hören!«