»Wirklich?« Arno runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht... es sei denn, Sie meinen die Wohltätigkeit -«
»Genau«, sagte der Chief Inspector. »Craigie hatte den Wunsch, das Haus und die Organisation dergestalt zu hinterlassen, daß nicht ein einzelnes Individuum die Kontrolle darüber hatte. Das erzürnte Carter, der - dessen bin ich mir ziemlich sicher, auch wenn sein Neffe mir das Gegenteil versichert hat - Geld aus seinem Hausverkauf in das Unternehmen gesteckt hatte. Knapp zweihunderttausend Pfund. Daher bin ich skeptisch, ob die von Mr. Gibbs mit angehörte Auseinandersetzung die erste war.«
»Aber er ist nicht so verfahren«, gab Arno zu bedenken. »Er hat keinen karitativen Status beantragt.«
»Dazu bestand kein Grund mehr«, behauptete der Chief Inspector, »nach Carters Unfall.«
»Jetzt ist es also doch ein Unfall?« Andrew war puterrot angelaufen. »Sie sind genauso inkompetent wie diese Fuzzis bei der Anhörung.«
»Es ist keine gute Idee, Mr. Carter, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen.«
»Nun, man kann auch nicht gerade behaupten, daß es in Ihren gut aufgehoben ist, oder? Woher wollen Sie denn wissen, worum es bei dem Streit ging? Das weiß nicht mal Arno, der die beiden Männer gehört hat und hier wohnt. Und ich muß sagen, daß Sie dem Umstand, daß Riley meinen Onkel ermordet und zwei Mordanschläge auf mich verübt hat, keine große Aufmerksamkeit schenken. Sie scheinen vergessen zu haben, daß heute abend beinahe die Umstände meiner Ermordung untersucht worden wären. Und die wäre dann, wären Sie nicht zufälligerweise rechtzeitig eingetroffen, auch wieder vertuscht worden.«
»Das ist nicht fair«, entgegnete May. »Tim hat nur zu verhindern versucht, daß dein Onkel den Meister angreift.«
»Dafür haben wir ausschließlich Arnos Wort.«
»Sein Wort«, bekräftigte May empört, »genügt mir.«
»Das schwarze Schaf. Als das haben Sie sich ziemlich entwaffnend in meinem Büro bezeichnet, Mr. Carter.« Uninteressiertes Achselzucken. »Ihr ehemaliger Kumpel aus Stowe hat nicht nur seine Brieftasche verloren, sondern war zu der Zeit da er Visa und American Express über seinen Verlust informiert hatte, schon fünftausend in den Miesen. Einer der Artikel, der mit seinen Kreditkarten bezahlt wurden, war eine Antilopenjacke.
»Nun, das hier ist sie jedenfalls nicht. Die habe ich schon vor Monaten bei Aquascutum gekauft.«
»Das zu belegen dürfte nicht schwierig sein.«
»Sollten Sie tatsächlich Lust haben, Ihre kostbare Zeit zu verschwenden, bitte sehr.«
»Was meinten Sie damit, Inspector?« Suhami warf Andrew Carter fragende, skeptische Blicke zu. »Sie sprachen davon, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen.«
»Ich spreche von Mord, Miss Gamelin.« Ohne etwas zu beschönigen, lag in dem Blick, den er dem Mädchen im grünen Sari zuwarf, ein Anflug von Mitleid.
»Mord?« Ihr Gesicht erstarrte, und sie flüsterte: »Das kann nicht wahr sein.« Sie begann zu zittern. Ohne zu überlegen, sprang Heather auf und drückte Suhami an ihren wogenden Busen.
»Selbstverständlich ist das nicht wahr«, sagte Andrew mürrisch. »Ich habe mich ihm nicht genähert. Nur weil Sie Gamelin nicht für den Mörder halten, brauchen Sie den Mord doch nicht mir anhängen. Was für ein Motiv sollte ich schon haben?«
»Da sind mehrere Faktoren im Spiel, aber nach meinem Dafürhalten ist Rache das Hauptmotiv. Eines der wenigen Dinge, die Sie mir in meinem Büro wahrheitsgetreu gestanden haben, ist Ihre tiefe und anhaltende Zuneigung zu Ihrem Onkel. Da Sie mit ihm Kontakt gehalten haben, wußten Sie sicherlich, was hier Sache war und daß etwas schieflief. Was hat Sie so sicher gemacht, daß Craigie Ihren Onkel ermordet hat? Haben Sie angenommen, daß die beiden Diebe sich zerstritten haben?«
»Es gab keine Diebe, die sich zerstreiten konnten. Jedenfalls nicht, soweit es Jim betraf. In einem seiner Briefe schilderte er mir, daß der Mann, der diese Organisation leitete, eine religiöse Manie entwickelt habe. Nun, wir alle wissen, was aus solchen Menschen werden kann. Die Hälfte aller Psychopathen behauptet, Gott habe ihnen aufgetragen, Prostituierte zu ermorden, kleine Jungs oder einbeinige Rentner übers Ohr zu hauen.« An dieser Stelle brach er ab, um sich eine Zigarette anzuzünden. Heather begann zu husten und mit den Händen zu wedeln.
»In einem Punkt haben Sie allerdings recht. Jim hielt den Mann für einen Betrüger. Und es ist allein den wiederholten Anstrengungen meines Onkels zu verdanken, daß hier die Preise und Gebühren fielen.«
»Sie verfügen über eine Menge Phantasie, mein Sohn«, bescheinigte ihm Barnaby. »Das muß man Ihnen lassen.«
»Das Hauptmotiv haben Sie genannt.« Ken hustete demonstrativ. »Wie steht es mit den anderen?«
»Geld - wie das so oft der Fall ist. Allem voran ein Anrecht auf dieses Anwesen, das Mr. Carter als rechtmäßiger Erbe seines Onkels bestimmt für sich beansprucht.« Er legte eine Pause ein, damit Andrew Carter etwas erwidern konnte, was dieser aber nicht tat. »Und dann selbstverständlich der berühmt-berüchtigte Treuhandfonds. Den Miss Gamelin loswerden wollte. Carter befand sich in einer kniffligen Situation. Kaum war er hier eingetroffen, begann er schon, ihr den Hof zu machen. Nichtsdestotrotz ist es bislang nicht zu einer Verlobung gekommen, ganz zu schweigen davon, daß man schon die Kirchenglocken läuten hört. Mag sein, daß sie unter Craigies Einfluß ein abgeschiedenes, möglicherweise sogar zölibatäres Leben favorisierte. Also ein weiterer Grund, warum sein Tod Ihre eigenen Pläne begünstigt hätte.«
»Da gab es keine >Pläne<. Ich habe mich verliebt.« Sein zorniger Blick tanzte zwischen Barnaby und Troy hin und her. »Merken Sie nicht, wie sehr Sie ihr zusetzen? Mit all diesen gemeinen Lügen.«
Suhami beobachtete Andrew beim Sprechen. Nicht einen Hauch von Reue konnte sie entdecken. Aber wenn ohnehin alles Lüge gewesen war, was hatte er dann zu bereuen? Ihre eigene Reaktion auf diese Enthüllungen verwunderte sie. Nach dem ersten Schock, nach dem ersten Schmerz, der Sprachlosigkeit empfand sie rein gar nichts. Eine große, alles umfassende Leere schien von ihr Besitz zu ergreifen. Ob Christopher sich tatsächlich in sie verliebt hatte, war für sie nicht länger von Belang. Sie versuchte sich an frühere Gefühle zu entsinnen, erinnerte sich an den Augenblick im Schuppen, wo sie vor Freude wie von Sinnen gewesen war. Die ganze Szene kam ihr jetzt gar nicht mehr so erfreulich vor. Zum ersten Mal in ihrem Leben war etwas schiefgelaufen, richtig schiefgelaufen, und sie lag nicht zerstört am Boden. Ihr eigenes Verhalten kam ihr höchst rätselhaft vor, aber beruhigte sie auch.
»Vergeben Sie mir, Inspector, daß ich das sage«, murmelte Arno, »aber was Sie da andeuten, ist unmöglich. Wie Andrew schon erläutert hat und was wir alle bestätigen können - zu keiner Zeit hielt er sich in der Nähe des Podestes auf. Wollen Sie etwa behaupten, er hatte einen Komplizen?«
»Einen unwissenden Komplizen. Nicht bei der Ausführung des Mordes, aber natürlich mußte er das Messer beschaffen und es in den Solar bringen. Er trug Kleidung, die es ihm nicht ermöglichte, die Mordwaffe am Körper zu verstecken. Die Kleidungsstücke wählte er ganz bewußt, um sich sozusagen ein Alibi zu verschaffen.«
»Wie soll jemand ein Messer in den Solar bringen, ohne es zu wissen?« wunderte sich Ken.