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  Trixies Eile setzte Janet ganz schön zu. Gott - wie sie umhergerannt war! Hektisch Lippenstift aufgetragen, sich überall mit Parfüm bestäubt hatte - sogar das Unterhöschen. Janet zugezwinkert, »Monee makes the world go round... the world go round... the world...« geträllert hatte. Und dann mit dem ihr eigenen Gang einer Haremsdame entschwunden war.

  Wie grauenvoll das gewesen war. Bemitleidenswert und degradierend, als beobachte man die Armen beim Zusammensuchen von Brotkrumen. Janet wußte, daß sie übertrieb, aber im Prinzip lag sie mit ihrer Einschätzung richtig. Ich hätte ihr Geld geben können. Sie kann gern alles haben, was ich habe. Mit einem Hauch gestohlener Spitze rieb sie über ihre Wange.

  Er hatte wahrhaftig wie ein Verbrecher ausgesehen. Die Erinnerung an ihn ließ sie mitten im Schritt innehalten und sich auf einen Baumstamm setzen. Genau richtig gebaut, um Schaden anzurichten, hatte Trixie gesagt. Was für eine Art Schaden richtete so einer wohl an? Sie war so verletzlich. Versuchte immer so zu tun, als - wie hieß die Redewendung noch gleich - wisse sie, wo’s lang geht. Doch in Wahrheit war sie kaum mehr als ein Kind, was bei Janet einen starken Beschützerinstinkt auslöste.

  Mehr hatte es mit ihren Gefühlen selbstverständlich nicht auf sich. Auf gar keinen Fall war sie in Trixie verliebt. Niemals, nicht in einer Million Jahre. Denn dann wäre sie ja so was wie eine... ähm... Lesbe. Und Janet wäre vor Scham rot angelaufen und in Grund und Boden versunken, würde ein anderer sie so titulieren. Denn sie würde niemals etwas tun. Konnte sich nicht vorstellen, unter wie auch immer gearteten Umständen aktiv zu werden. Allein schon der Gedanke daran widerte sie an. Sich in übertriebener Weise rechtfertigend, schätzte sie ihre gefühlsbetonteren Freundschaften (und waren nicht alle wahren Freundschaften sehr gefühlsbetont?) eher als götzendienerische Schwärmereien ein, die den Geschichten altmodischer Mädchenbücher glichen. Maisie Saves The Day. Sukie Pulls It Off. So was in der Art.

  Abwesend hatte sie die Baumrinde abgezupft - sie war so weich wie Schokoladenflocken - und sich dabei bemüht, ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. War doch dumm, sich derart hinreißen zu lassen. Wahrscheinlich waren die beiden nur irgendwo was trinken gegangen. Und er war ja nur für ein, zwei Stunden hier. Nach dem Abendessen verschwand er wieder, und das war’s dann. Sicher?

  Ihr Gezupfe hatte ein paar Bohrasseln aufgeschreckt. Dutzende fielen zu Boden und krabbelten aufgeregt umher. Eine landete auf dem Rücken und bewegte heftig die dünnen Beinchen. Janet drehte sie mit dem Fingernagel um und warf dann einen Blick auf die Uhr. Trixie war inzwischen seit knapp einer Stunde weg. Mußte jede Minute zurückkehren. Vielleicht war sie sogar schon daheim.

  Janet sprang auf, lief schnell zum Waldrand und kletterte auf den Zauntritt. Betrat das Grundstück durch die alte Tür, die in den Obstgarten führte. Just in diesem Moment wurde sie von der eindringlichen, glasklaren Vorahnung überwältigt, daß etwas nicht stimmte. Daß Trixie sie brauchte. Um Hilfe schrie oder nach Beistand verlangte. Sogleich setzte Janet sich in Bewegung, stolperte über den Rasen, trampelte Erdhügel nieder, bewegte die Arme wie Kolben auf und ab, legte die Ellbogen an, als ginge es darum, ein Wettrennen zu gewinnen.

  Als sie durch die Öffnung in der Eibenhecke stürmte fuhr ein Taxi in der Auffahrt vor, und Trixie stieg aus. Ihren Namen rufend, rannte sie über den Kies und lehnte sich dann keuchend an die Motorhaube. Trixie machte einen ziemlich gefaßten Eindruck, war aber blaß und hielt ihre Bluse seltsam zusammen.

  »Bezahlst du für mich das Taxi, Jan?« Sie eilte ins Haus und rief noch über ihre Schulter: »Ich geb’s dir zurück.«

  Janet bat den Taxifahrer zu warten. Sie holte das Geld. Nachdem er weggefahren war, ging sie nach oben und klopfte mehrmals leise an Trixies Tür. Keine Antwort. Schließlich gab Janet auf und ging wieder nach unten, um bei den Geburtstagsvorbereitungen zu helfen.

6

Gänzlich verwandelt saß Felicity vor ihrem Ankleidezimmerspiegel und betrachtete sich. Ein schwarzer Hufeisenbogen aus faux marbre, gestützt von einer Gruppe ernst dreinblickender Karyatiden, spannte sich über sie und Danton. Dieses Bild spiegelte sich in einer Reihe von funkelnden Glasgegenständen - Töpfchen, Fläschchen, Flakons - und in Lippenstifthüllen, Spraydosen und verchromten Döschen. Die Reflexionen in dem kleinen Raum, der ausschließlich dazu bestimmt war, der Eitelkeit zu frönen, wurden durch die zahllosen verspiegelten, in die Wände eingelassenen Paneele multipliziert.

  Als seine Kundin aufstand, entfernte sich Danton mit erhobenen, kabukihaft anmutenden Händen. Die Geste verriet sowohl Stolz als auch Verwunderung darüber, daß seine Kunst einen so hohen Grad an Perfektion erreichte. Felicitys Haut war - einmal abgesehen von dem perligen, rosafarbenen Glühen ihrer Wangen - einheitlich blaß. Riesige Augen wurden von silbernen und violetten Schatten eingerahmt, ihre Schultern schimmerten seidig unter einer Hülle changierender muschelfarbener Seide. Ihr Mund, in die Farbe eines dunklen Rotweins getaucht, stand vor Entsetzen offen.

  »Ich sehe wie der Todesengel aus.«

  »Mrs. G... Mrs. G...« Doch Danton empfand ihre Kritik als Kompliment. Von Anfang an hatte dieses Kleid ihm »Denk feierlich« zugeraunt, und als was für eine Inspiration sich diese Intuition erwiesen hatte! »Sie brauchen noch ein Gläschen Schampus.«

  »Nein.« Felicity schüttelte den Kopf. Die schwere Mähne aschblonder Locken bewegte sich nur unmerklich. »Hatte schon genug.«

  »Dann vielleicht eine Line.« Wann immer Danton seine Kunden aufsuchte, hatte er stets einen Erste-Hilfe-Koffer dabei.

  Felicity zögerte. »Bin seit einer Weile davon runter.« Vor ihren Augen schraubte Danton ein kleines Perlmuttdöschen auf. »Wie auch immer... selbst wenn ich mir jetzt was genehmige, bis ich dort bin -«

  »Dann nehmen Sie es eben mit.« Beherzigt legte er das Döschen und den winzigen Löffel in ihre Handtasche. »Ist durchaus möglich, daß Sie es gar nicht brauchen werden, wenn Sie die Gewißheit haben, sich jederzeit bedienen zu können.«

  »Stimmt.«

  Aber Felicity wußte jetzt schon, daß gar nichts auch nur annähernd okay sein würde. Angespannt und fassungslos betrachtete sie sich im Spiegel. Wie hatte das hier nur geschehen können? Sie hatte nur ein einziges Mal telefoniert. Diese simple Handlung und ihr Entschluß, die Einladung anzunehmen, hatten zu dieser kapriziösen und bizarren Metamorphose geführt. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, in einen Hinterhalt gelockt worden zu sein. Und dennoch war es an einem bestimmten Punkt gewiß möglich gewesen, dem allem Einhalt zu gebieten, oder nicht? Hätte sie das Kleid ablehnen, darauf beharren können, wie gänzlich unpassend - das sah sie nun glasklar - es für diese Gelegenheit war? Oder hätte sie in jenem Moment »Halt« rufen sollen, als Danton ihr frischgewaschenes Haar aus jeder Perspektive inspizierte, um schließlich aufgeregt »erkaltete Asche« zu hauchen?

  All diese Chancen waren allerdings längst vertan. In fünfzehn Minuten kam der Wagen. Eine schreckliche Trägheit befiel sie. Ein Anflug von Fatalismus. Sie schien keinen eigenen Willen mehr zu haben. Jetzt, wo sie diese Reise angetreten hatte, gab es kein Zurück mehr. Sie sah sich an dem Tisch sitzen, zu Abend essen. Ein Gespenst an einer Tafel, wie Banquos Geist. Guy würde sie auslachen, wie er das im Schlaf immer tat. Sylvie würde entgeistert sein und sich ihrer schämen. Und schließlich würde Felicity in ihrem Kapuzenumhang davoneilen und sich ausgeschlossen fühlen.