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  »Warum nicht?«

  Mit einem gezwungenen Lächeln nahm Guy zwei Stück und inspizierte die anderen Gerichte. Ein grauenvoller Anblick. Noch mehr Krüge mit Chateau-Ekelhaft, Berge von mit schwarzbraunem Kleister bestrichenem Brot und eine Schüssel mit einer klebrigen Pampe, in der aufrecht ein Löffel steckte, als sei er vor Schreck erstarrt.

  Griesgrämig dachte Guy an die Speisekarte in seinem Zimmer im Chartwell Grange. Fritierter Thwaite Shad auf einem Mandelreisbett mit englischen Pilzen und neuen Kartöffelchen. Nach diesem göttlichen Mahl wurde entweder ein Korb mit knackigen Cox-Orange-Äpfeln, herzhafter Fenland-Sellerie oder Tarte Judy gereicht, je nach Geschmack oder Appetit des Gastes. Was ich alles aus Liebe über mich ergehen lasse, fuhr es Guy durch den Kopf. Er warf seiner Tochter einen Blick zu, hoffte auf ein Lächeln von ihr.

  Sylvie war in einen wunderhübschen apfelgrünen und roten Sari gehüllt. Mit ihrem ernsten jungen Gesicht, auf dessen Stirn ein frischer roter Punkt prangte, und ihrem staubigen Haar wirkte sie auf ihn wie ein Schulkind, das bei einer Theateraufführung falsch besetzt war. Er konnte nicht fassen, daß sie an diesen quasireligiösen Unfug glaubte. Sie saß neben einem jungen Mann mit langen dunklen Haaren, der sich wiederholt mit sanfter Intimität an sie wandte und ihr ins Ohr flüsterte. War er der »wunderbare Mann«, wegen dem sie London den Rücken gekehrt hatte? Falls dem so war, war er ihr gegenüber im Vorteil.

  Guy bemerkte sein verlogen sanftes Lächeln. Wahrscheinlich ein Mitgiftjäger. Das Mädchen war von diesen blutrünstigen Geiern umzingelt. Wie paradox seine Schlußfolgerung war, die da lautete, daß seine Tochter, die er nur um ihretwillen liebte, von anderen nur geliebt wurde, weil sie nach ihrem Vermögen trachteten, fiel ihm nicht auf.

  Voller Elan machte sich May über den Inhalt einer flachen Zinnschale her und teilte aus. Wann immer sie ein eingetunktes Stück Brot hochhob, zog die blaßgelbe Tunke eklige Fäden. Beim Servieren plauderte sie munter drauflos.

  »... beim grauen Star geht es eigentlich doch darum, daß die Ärzte nicht einsehen wollen, daß es sich um eine psychosomatische Krankheit handelt. Die älteren Menschen werden mit dem modernen Leben nicht fertig. Computer, Straßengewalt, große Supermärkte, nuklearer Abfall... All dies zu sehen, können sie einfach nicht ertragen. Daher legt sich ein Film über die Augen. Ich meine... das ist so einfach. Guy?«

  »Danke.« Man reichte ihm einen Teller mit einer geheimnisvollen Mixtur. Ein Mosaik aus Rot, Braun und Khaki mit schwarzen Ringen aus einer gummiartigen Materie. Guy griff nach seinem Besteck, registrierte die Verwunderung der anderen und legte es wieder weg. Während er darauf wartete, bis alle bedient waren, musterte er die restlichen Tischgäste.

  Einen Gnom von einem Mann mit hellrotem, schaufelähnlichem Kinnbart, eine Frau mit störrischem, vollem Haar und mürrischer Miene. Jener arme Tropf von einem Jungen, der auf der anderen Seite von Sylvie saß. Richtiggehend angewidert bemerkte Guy, wie sanft sie mit dieser gestörten Kreatur sprach und einmal sogar ihre Hand auf seinen Arm legte. Solche Menschen, von Krankheit verzehrt, müßten weggesperrt werden und sollten nicht frei rumlaufen und groteske Forderungen an unschuldige, weichherzige Menschen stellen dürfen. Kein Anzeichen von seiner Gespielin, mit der er sich heute nachmittag vergnügt hatte. Guy wußte nicht, ob er sich über ihre Abwesenheit freuen oder ärgern sollte. Eigenartigerweise hatte ihn kurz nach Trixies Verschwinden ein Hauch von Unwohlsein überfallen. Wo ihr Problem lag, kapierte er allerdings immer noch nicht. Sie hatte ihm Avancen gemacht, er hatte das Angebot bereitwillig angenommen und sie prompt für ihre Dienste bezahlt. Trotz des Gezeters und verletzten Stolzes waren die fünfzig Pfund zusammen mit ihr verschwunden. Nein - Guy fürchtete, daß sie Sylvie von ihrem Stelldichein erzählte und dabei die Wahrheit entstellte. Möglicherweise sogar behauptete, sie hätte keine Lust gehabt. Daher beschloß er, sich zusammenzureißen und sie freundlich zu behandeln, falls er ihr noch mal über den Weg laufen sollte. Und sich eventuell sogar entschuldigte, auch wenn er immer noch nicht wußte, wofür.

  Nachdem allen aufgetragen worden war, herrschte kurz Schweigen am Tisch. Alle senkten den Blick auf ihre Teller. Guy inspizierte seine Kuhfladen, die seinen Blick fäkal erwiderten. Sein Tischnachbar meldete sich zu Wort. Er legte den Schäferrock ab, unter dem er ein T-Shirt mit den Worten »Respektier meinen Raum« trug.

  »Hey... wie wäre es, wenn wir uns nun gegenseitig vorstellen? Ich bin Ken >Zedekial< Beavers. Und das hier ist Heather, meine göttliche Ergänzung«, sagte der Grauhaarige. »Oder - astral ausgedrückt - Tethys.«

  »Guy Gamelin.« Jeder reichte jedem die Hand. Nach der Begrüßung durfte Guy endlich mit der Gabel in seinem Essen rumstochern. »Was essen wir hier eigentlich?«

  »Nun, das ist - wie jeder sieht - eine Lasagne. Kennt jeder. Und dieser kleine Haufen ist Kichererbsenpürree, und das da«, er zeigte auf die schwarzen Schleifen, »ist Zostera marina, direkt aus dem Meer.« Ken sprach das Wort ziemlich eigenartig aus, hob die Stimme und gurrte wie eine Gans. »Wo wären wir nur ohne den Ozean?«

  »Wie bitte?«

  »Zostera marina ist Seegras. Aus Japan.«

  »Ißt man viel davon, kriegt man kein Gürtelrosen mehr.«

  Guy, der noch nie im Leben eine Gürtelrose gehabt hatte, nickte unmerklich und legte die Gabel beiseite. Außer dem Gemurmel der sich unterhaltenden Leute nahm er Musik wahr. Oder eher die zuckersüße Rekonstruktion der Natur, die sich selbst genügte. Vogelgezwitscher, im Wind rauschende Äste, das unablässige Plätschern von Wasser.

  Zweifellos erachteten sie diese aufgezeichneten Geräusche als der Ruhe förderlich. Und es schien zu funktionieren. Die ganze Atmosphäre hatte etwas ungewöhnlich Ernsthaftes. Jeder sprach mit gesenkter Stimme. Niemand nahm sich einfach das, worauf er Appetit hatte. Zeigte nur darauf und murmelte leise Worte. Guy fragte sich, was sie mit all ihrem Ärger anfingen. Jeder ärgerte sich irgendwann. Das gehörte zur menschlichen Ausstattung, wie Leber und Augen, Zähne und Nägel. Meditierten sie ihn weg? Kehrten sie ihn unter einen Teppich aus gutgemeinten Taten? Oder schickten sie ihn mit einem Lied auf den Lippen für immer in den Kosmos? Was für eine Horde wabbelbäuchiger Schwächlinge. Taten sich zusammen, rannten vor sich und dem Leben davon. Als er merkte, wie grießgrämig er dreinblickte, tat er schnell höflich interessiert und wandte sich an seinen Nachbarn.

  »Und was tun Sie hier alle auf Windhorse?«

  Heather warf ihr langes Haar über die Schulter. »Wir lachen... wir weinen...« Sie faltete die Hände und öffnete sie dann mit einer ausladenden Bewegung, als ginge es darum, einen Vogel freizulassen. »Wir leben.«

  »Das tut jeder.«

  »Nicht jeder trinkt aus dem tiefen Kelch seines Wesens.« Sie reichte ihm eine Platte mit einer grünen Pampe. »Möchten Sie probieren?« Guy zögerte. »Ein feines Pürree aus kleingehacktem Schwarzwurz, Majoran und ein wenig Hanfnessel.«

  Mit einem Kopfschütteln gelang es Guy, seine Enttäuschung zu verbergen. »Wenn ich etwas unter gar keinen Umständen zu mir nehmen darf, dann Hanfnessel.«

  »Kondensierter Sonnenschein«, versicherte Ken und deutete mit dem Kinn auf das Pürree.

  »In welcher Hinsicht?«

  »Durchdrungen von solarem Licht.« Das Funkeln und Glitzern seines Kristalls unterstrich seine Behauptung. »Erzählen Sie mir nicht, daß Sie noch nie von den fünf Platonischen Körpern gehört haben.«

  »Von ihnen gehört habe?« fragte Guy. »Ich esse sie.«

  Mit einem Schmunzeln deutete er an, daß er einen Scherz gemacht hatte, und erkundigte sich dann mit gesenkter Stimme vorsichtig, ob auch Fleisch gereicht würde.

  Seine Frage zog einen langen Vortrag, gespickt mit warmherzigen, sentimentalen Schmähungen, nach sich, der damit endete, daß im Grimmdarm eines Fleischfressers stets wenigstens fünf Pfund tierische Proteine gärten.