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  Als das tröstende Gemurmel verstummte, wurde er sich der außerordentlichen Qualität der einsetzenden Stille bewußt.

  Die einzelnen Kommunenmitglieder drängten "sich noch enger zusammen und vermittelten den Eindruck, aufgeregt und verängstigt zu sein. Guy spürte einen kalten Luftzug im Nacken. Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf eine Frau, die im dunklen Türeingang stand.

  Wie ein Phantom lehnte sie am Türpfosten, gehüllt in Stofflagen, die die Farbe von Nebel hatten. In den Händen hielt sie einen riesigen Strauß in Zellophan gewickelte, mit Bändern verzierte Blumen. Sie bewegte sich auf sie zu, zog langsam eine Schleppe aus Seide und Taft hinter sich her, die leise zischelnd über die blanken Dielen glitt. Auf halber Strecke hielt sie inne, zog einen rauchfarbenen Schal vom Kopf. Beim Anblick ihrer großen Augen, ihres hohlwangigen Gesichts und der aufgetürmten lehmgrauen Haarpracht traten die Kommunenmitglieder näher.

  Verwundert und ungläubig rief Ken: »Hilarions Prophezeiung. Sie ist eingetroffen...«

  Verunsichert blickte die Besucherin sich um und räusperte sich. Ihr Hüsteln klang wie das Rascheln welker Blätter. »Ich habe geläutet.« Eine Stimme so zaghaft, daß man sie kaum verstand. Sie streckte ihnen ein quadratisches grünes Papier entgegen, um nicht aufdringlich zu wirken. »Ich wurde eingeladen.«

  Guy, der den Brief erkannte, stieß einen zornigen, ungläubigen Schrei aus und sah zu, wie seine Frau sich schwankend wie eine Drogenabhängige auf die nächste Stütze - auf einen mit Leinen bezogenen Stuhl - zubewegte. Dort angekommen, nahm sie Platz, wobei sich die sturmwolkenfarbenen Röcke aufbauschten. Die aus der einfachen Aufgabe resultierende Zufriedenheit überwältigte sie offenbar.

  Ken und Heather näherten sich ihr mit erhobenen Händen, knieten sich vor ihr nieder und berührten mit der Stirn den Boden.

  »Sei gegrüßt, Astarte... Göttin des Mondes.«

  »Königin des Halbmondes... lunares Strahlen.«

  »Tausend demütige Willkommensgrüße.«

  Irritiert senkte Felicity den Blick. Dann sagte eine vor Scham erblaßte Suhami: »Mutter?« Sie ging zu der sitzenden Gestalt hinüber. »Er sagte, du könntest nicht kommen.«

  Das abschätzige unpersönliche Pronomen ließ Guy zusammenzucken. Er sah, wie Felicitys Schwarze-Johannisbeer-Lippen vor Anstrengung zitterten, als sie um eine Erwiderung rang. Statt dessen überreichte sie den Blumenstrauß. Suhami nahm ihn entgegen, las die Karte und sagte: »Wie hübsch - danke.«

  Guy mußte an seine eigenen Blumen denken, die er auf der Veranda vergessen hatte. Und mußte erkennen, daß dies sein Strauß war. Welch unverschämte Dreistigkeit! Jetzt konnte er nichts mehr daran ändern. Wenn er vorstürmte und behauptete, er habe sie mitgebracht, würde er wie ein bemitleidenswerter Idiot rüberkommen. Nun glaubte Sylvie sicherlich, er habe ihr kein Geschenk mitbringen wollen. Suhami äußerte sich dazu allerdings nicht.

  »Er hat uns gesagt, du seist krank.«

  »Meine Liebe«, warf May ein, »Sie sind krank.«

  Die nicht, dachte Guy. Die hat den Kopf voller Schnee oder ist betrunken wie ein Iltis. Ist nur gekommen, um sich hämisch zu freuen, falls etwas schiefläuft. Oder um ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen für den Fall, daß alles glattging. Hatte sie es doch tatsächlich geschafft, daß die anderen nur Augen für sie hatten. Wie diese glupschäugigen Eingeborenen in einem Tarzanfilm, die aus dem Dschungel gekrochen kommen. Preist den weißen Gott in dem Eisenvogel, der vom Himmel herabgestiegen ist! Jesus - was für ein Abend.

  »Sie armes Ding«, fuhr May fort. »Sie sehen schrecklich aus. Suhami - hol deiner Mutter etwas zu trinken.«

  »O ja, bitte«, rief Felicity. Ihr Mann lachte laut heraus.

  Sie sah seinen Blick, war nicht in der Lage, ihm standzuhalten. Das legte er als Triumph aus und sagte: »Du hast dich also unter die lebenden Toten gemischt, Felicity?«

  »Das ist ganz und gar unnötig.« May zog ein kleines Plastikfläschchen aus ihrer Robe. »Ihrer Frau geht es nicht gut. Jetzt... halten Sie Ihre Hände so...« Sie schüttete ein paar Tropfen in Felicitys hohle Hände. »Bitte inhalieren Sie.«

  Felicity folgte ihrer Aufforderung und mußte prompt niesen. May sagte: »Ausgezeichnet« und: »Könnte ich eine Serviette bekommen?«

  Ken und Heather, immer noch verzückt, näherten sich Felicity und fragten sie, ob sie wisse, welcher Tag heute sei. Felicity, die kaum wußte, welches Jahr man schrieb, versuchte den Kopf zu schütteln. Suhami brachte ihr einen Drink. Zwei, dreiMal streckte Felicity die Hände aus, ohne die ihrer Tochter zu ' fassen zu kriegen. Heather behauptete: »Der Astralraum funktioniert anders.«

  May nahm das Glas und legte behutsam Felicitys Finger darum. Felicity nahm einen Schluck und begann, nachdem Verstand und Zunge endlich synchron arbeiteten, ihr spätes Eintreffen zu erklären. Sie klang ängstlich und defensiv, als fordere ihre Verspätung einen hohen Preis.

  Alle sagten: »Macht doch nichts - ist wirklich nicht so schlimm« und: »Toll, daß Sie überhaupt kommen konnten.«

  Langsam gewöhnten sie sich an sie. Arno ging los, um die Tür zu schließen, fand einen Schweinslederkoffer und brachte ihn herein.

  Guy lag natürlich richtig mit seiner Vermutung, daß Felicity nicht krank war. Noch daheim hatte sie eine erste Line hochgezogen und im Wagen eine zweite. Für gewöhnlich lief mit Koks alles besser. Man kriegte einen richtigen Schub und einen Anflug von Selbstvertrauen, der einen die Treppe zum Paradies hochkatapultierte. Auf dem Weg zu den Sternen sonnte man sich in kristallenem Dunst.

  Aber diesmal war alles ganz anders gekommen. Überdeutlich empfand Felicity das Ausmaß ihrer eigenen Verletzlichkeit. Sie fühlte sich wie eine jener Weichschalenkreaturen, die bei Ebbe an den Strand gespült wurden und langsam im Sand dahinsiechten. Die Gestalten, die sich über ihr auftürmten, ließen sie zusammenschrumpfen. Sie hatten große, glühende Augen und Gummilippen und veränderten fortlaufend ihre Gestalt. Eine streckte die Hand aus und berührte sie. Felicity heulte vor Schreck auf.

  Guy sagte: »Heilige Scheiße«, woraufhin alle Anwesenden die Köpfe in seine Richtung drehten.

Gut eine Stunde war seit Felicitys hochdramatischer Ankunft verstrichen. Der erste Gang war abgeräumt, um für den Pudding und Suhamis Geburtstagstorte, einen von Janet gebackenen, quadratischen »Cidre-Kuchen«, Platz zu machen, der mit Apfelsaft und Soya-Marzipan verfeinert worden war. Der Kuchen war mit einer S-förmigen Kerze verziert und hatte einen Kranz aus recyceltem schlammgrünen Toilettenpapier.

  Neun Leute nahmen Platz und nahmen sich vom Dessert. May hatte sich zurückgezogen, um sich auf ihre Rückführung vorzubereiten, aber man hatte Trixie überreden können, sich der Geburtstagsfeier anzuschließen. Dieser Erfolg war vor allem Janets eindringlichen Überredungskünsten durchs Schlüsselloch und ein paar beiläufigen Bemerkungen zuzuschreiben, die Trixies Neugier anheizten. Da Janet um Trixies Leidenschaft für Kleider wußte, hatte sie lange und ausführlich von der atemberaubenden, spektakulären Schönheit von Felicitys Abendkleid berichtet. Instinktiv hatte sie auch noch den Streit zwischen Suhami und Guy erwähnt, weil sie meinte, diese Neuigkeit würde ihre Freundin zutiefst befriedigen.

  Eigentlich hatte Trixie nicht vorgehabt, ihr Zimmer zu verlassen, ehe er abgehauen war. Ängstlich hatte sie sich in ihrem Zimmer versteckt und immer wieder ausgemalt, wie wütend und zornig Guy werden würde, wenn er den Verlust seines Medikaments entdeckte. In ihrer Vorstellung wurde er von Mal zu Mal gemeiner und gewalttätiger. Inzwischen sah sie ihn die Stufen hochspringen, »Fee Fi Fo Fum« rufen, die Tür ein-treten und sie bei lebendigem Leib auffressen.