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  »Es tut mir leid... ich konnte nicht warten, bis Sie nach mir rufen... Entschuldigung... es ist nur so, daß ich was gesehen habe, bin mir sicher, es ist wichtig... und daß Sie es erfahren möchten, bevor Sie Ihre Zeit mit den anderen verschwenden... ’tschuldigung...«

  Alles an ihr kündete von Reue. Sie schien um Vergebung zu bitten für ihre Größe, ihre unattraktiven Klamotten, ihren knochigen Körper, ihre bloße Existenz. All das hatte sie aber nicht daran gehindert, unaufgefordert das Zimmer zu betreten. Sich einem Fremden aufzudrängen, sich als Autorität darzustellen. Dieser Schritt mußte ihr einiges abverlangt haben.

  Barnaby bat sie, Platz zu nehmen. Das tat sie mit den Worten: »Ich weiß, wer es getan hat. Er trug einen Handschuh, nicht wahr? Einen Gummihandschuh?«

  »Wie kommen Sie auf diese Idee?«

  »Hinter dem Vorhang, dort lag er, nicht wahr?« Sie brach ab, woraufhin Barnaby sie zum Fortfahren ermunterte, während ihm das nervöse Zucken in der Wange und die intelligenten, weit auseinanderstehenden Augen auffielen, in denen keine Trauer lag.

  »Er hat ihn aus seiner Tasche gezogen. Ich habe es beobachtet. Er hat sich im Zimmer umgeschaut, als warte er, bis ihn niemand beobachtet, darum blickte ich in eine andere Richtung - tat so, als unterhielte ich mich mit jemandem aber ich habe ihn erwischt.«

  »Wen erwischt, Miss McEndrick?«

  »Wie - natürlich Guy Gamelin.« Sie hatte Mühe, ruhig zu sprechen. In ihrer Stimme schwang unüberhörbar Triumph mit.

  Natürlich? Hier geht es um etwas Persönliches, dachte Barnaby und fragte sich, wieso dem so war. Möglicherweise gehörte sie - wie auch sein Sergeant - zu der Sorte Menschen, die in Gegenwart von Reichen von Neid zerfressen wurden. Diese Schlußfolgerung stellte den Inspector nicht zufrieden. Er fragte sie nach ihrer Meinung über Mr. Gamelin.

  »Meine Meinung?« Sie lief puterrot an. »Ich habe keine Meinung. Ich habe ihn erst heute kennengelernt.«

  »Sie haben zusammen zu Abend gegessen.«

  »So kann man das wohl nicht nennen. Wir waren zu neunt.«

  Barnaby nickte und warf ihr einen erwartungsvollen, aufmunternden Blick zu. Die Stille dehnte sich aus. Seine Miene, die besorgtes Interesse verriet, veränderte sich nicht. Man mußte schon sehr ungehobelt sein, um nicht zu antworten.

  »Falls Sie es wirklich wissen möchten, ich halte Gamelin für ziemlich widerlich. Denkt nur an sich - wie die meisten Männer. Korrigiert uns, wenn er nicht gerade versucht, uns niederzumachen. Belächelt unsere Ideale und die Art und Weise, wie wir zu leben versuchen. Selbstverständlich lassen sich manche Leute leicht von Macht beeindrucken. Und von Geld.«

  »Möglicherweise die Mehrheit der Menschen?«

  »Wie dumm von ihnen.«

  Barnaby erläuterte die Skizze und reichte ihr ein Blatt Papier. Janet sagte: »Wieso? Ich hatte nichts damit zu tun.«

  »Sie alle werden darum gebeten.«

  »Ja - ist es jetzt nicht vorbei? Ich meine - warum gehen Sie nicht einfach raus und verhaften ihn?«

  »Haben Sie daran ein spezielles Interesse, Miss McEndrick?« Troy lauerte hinter ihrem Stuhl.

  »Nein...« Das Wort kam wie ein Peitschenschlag. Janet drehte den Kopf auf der Suche nach dem Vernehmungsbeamten. Ihr Blick fiel auf das feuerrote Haar, den schmalen Mund. Sie spürte Kälte und Unfreundlichkeit. Ziemlich beunruhigend. Fast dankbar wandte sie sich wieder dem älteren der beiden Männer zu. »Es ist nur so, ich dachte, daß derjenige, der das Messer benutzt hat, wegen der Fingerabdrücke einen Handschuh getragen haben muß. Und als ich dann sah, wie er ihn versteckte -«

  »Haben Sie zwei und zwei zusammengezählt?« schlug Troy vor.

  Janet stierte auf ihre Skizze. Während sie zeichnete, studierte Barnaby ihren Kopf. Bemerkte den messerscharfen Scheitel - kein einziges Haar auf der falschen Seite. Kriegsschiffgraue Metallklemmen preßten sich an die Kopfhaut. Er stellte sich vor, wie sie jeden Morgen und jeden Abend - ohne Ausnahme - diese drahtigen Haarmassen striegelte. Fünfzig harte, strafende Bürstenstriche. Die für Selbstgeißelung standen und nicht für den Wunsch, hübsch zu sein. Für den Wunsch, einen Dämon auszutreiben. Schlug er mit seiner Interpretation über die Stränge? Um welchen Dämon, fragte er sich, könnte es sich dabei handeln? Eifersucht, Verzweiflung, Trägheit... Lust? Als sie ihm die Skizze aushändigte, mußte er feststellen, daß sie den anderen sehr ähnlich war. Er wagte einen Sprung ins Ungewisse.

  »Leben Sie gern hier, Miss McEndrick? Kommen Sie mit den anderen gut aus?« Sie schien auf der Hut zu sein. Er spürte Zurückhaltung.

  »Ja. Ich denke schon.«

  »Sind Sie vielleicht mit jemandem enger befreundet?«

  »Nein!« In einer Bewegung sprang sie vom Stuhl auf und steuerte auf die Tür zu. Beim Öffnen wandte sie Barnaby ihr gepeinigtes Antlitz zu. »Ich werde Ihnen noch was über Guy Gamelin verraten. Der Meister hat beim Sterben auf ihn gezeigt. Hat mit dem Finger auf ihn gezeigt. Das zeigt doch, daß er schuldig ist. Fragen Sie ihn... fragen Sie die anderen...«

8

»Genau so ’ne Sportlehrerin hatte ich«, sagte Troy, nachdem Janet gegangen war. »Dicke Knie, Turnschuhe, keine Titten, Pfeife um den Hals. Die regen mich echt auf, diese Lesben. Alles Angehörige der Arschlochkratie, wenn Sie mich fragen. Finden Sie nicht auch?« Seine Frage richtete sich an den Constable, der mitschrieb.

  Der Mann warf Barnaby einen fragenden Blick zu. Mit gesenktem Kopf schrieb der Chief schnell ein paar Dinge nieder. Er hielt es für das beste, sich rauszuhalten. »Darüber habe ich eigentlich nie nachgedacht, Sergeant.«

  »Werden wir nun Gamelin verhören, Sir?« wollte Troy wissen.

  »Ich möchte lieber erst hören, was die anderen zu sagen haben. Sehen, was wir Zusammentragen können.« Er schickte den Constable nach Christopher Wainwright.

  »Ich denke nicht, daß er gewohnt ist zu warten.«

  »Diese neue Erfahrung wird dann ein wenig Abwechslung in sein Leben bringen, nicht wahr?«

  Troy bewunderte die Vorgehensweise seines Vorgesetzten. Er kannte eine Menge Beamte (angefangen von ganz oben bis runter zu Barnaby), die Gamelin gerade mal so lange hätten warten lassen, wie es brauchte, den Besucherstuhl abzustauben. Ich werde einmal wie der Chief sein, gelobte Troy, wenn ich Detective Chief Inspector bin. Mich wird keiner rumschubsen. Keiner wird Einfluß auf mich haben. Daß er in diesem Fall aus einer Position der Schwäche (und nicht der Stärke) handeln würde, entging ihm.

  Dem Aussehen nach mußte Christopher Wainwright Ende Zwanzig sein. Die schwarzen Haare hoben die Blässe seines Gesichts noch stärker hervor. Er trug enganliegende Jeans und ein kurzärmliges Sporthemd mit einem kleinen applizierten Alligator. Falls er betroffen war, konnte er das gut verbergen. Die beiden Polizisten musterte er relativ gelassen, doch sein Gehabe wirkte in Barnabys Augen kontrolliert, vorsichtig. Weswegen machte sich dieser junge Mann Sorgen? Er war einer der beiden Menschen in dem Raum, die den tödlichen Stoß nicht ausgeteilt haben konnten. Sorgte er sich wegen jemand anderem? Wegen des weinenden Mädchens, das er in seinen Armen gehalten hatte? Barnaby fragte, ob er von seinem besonders vorteilhaften Standort etwas gesehen habe. Christoph er schüttelte den Kopf.

  »Die meiste Zeit behielt ich May im Auge. Die letzten paar Minuten hielt ich ihre Hand. Wir waren gut drei Meter von den anderen entfernt. Und sonderlich hell war es auch nicht.« Auf die Bitte, eine Skizze anzufertigen, sagte er: »Sie wird ziemlich vage ausfallen. Ich kann mich kaum mehr erinnern, wo jeder stand. Ein Mord löscht derlei Wissen aus der Erinnerung.«