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  »Haben Sie eine Idee, warum Craigie ermordet wurde?«

  »Keinen Schimmer. Er war ein ganz und gar unaufdringlicher Mann. Wirklich sanft, im Gegensatz zu dem einen oder der anderen hier, die oft über Liebe schwafeln, bei der praktischen Übung jedoch versagen.«

  »Sind Ihnen die Einstellungen der Kommune unsympathisch?«

  »Einige ja, andere nein. Ich denke, man könnte mich als vorurteilsfreien Skeptiker beschreiben. Letztes Jahr bin ich in Thailand im Urlaub gewesen. Die Haltung der Menschen dort hat mich außerordentlich beeindruckt. Die Tempel und die Mönche. Nach meiner Rückkehr begann ich, buddhistische Literatur zu lesen, und stieß später, im Vision, auf einen dreitägigen Kurs hier - eine Meditation, basierend auf dem Diamant-Sutra. Ich schrieb mich ein, und sechs Wochen später, also jetzt, bin ich immer noch da.«

  »Wie kommt das, Mr. Wainwright?«

  »Ich... habe jemanden kennengelernt.«

  Barnaby registrierte, wie sich die Spannung in den Schultern seines Gegenübers löste, sah, daß der aufmerksame Blick aus den wachsamen Augen verschwand, und dachte, dann macht er sich also keine Sorgen wegen des Mädchens. Sondern wegen etwas anderem. Er schien das Bedürfnis zu haben, über sie zu sprechen, und der Chief Inspector ließ ihn plaudern.

  »Zuerst konnte ich es nicht fassen.« Anscheinend war es ihm so peinlich, als gestehe er ein geheimes Laster, eine Schwäche ein. »Sich zu verlieben.« Er bemühte sich, ironisch zu klingen, was ihm aber nicht gelang. »Man hat natürlich Affären gehabt...« Er zuckte mit den Achseln. »Echte Liebe... nie. Um ehrlich zu sein, zuerst wollte ich mich verdrücken. Ich mochte mein Leben, wie es war. Hübsches kleines Apartment, kein Mangel an weiblicher Gesellschaft. Aber ich zögerte wohl einen Augenblick zu lange, und dann saß ich ... in der Falle.«

  Er errötete. Und erweckte gar nicht den Eindruck, in der Falle zu sitzen. »Damals wußte ich nicht, wer sie ist. - Ich nahm einen Monat Urlaub - ich arbeitete als Kameramann für die BBC - der mir zustand. Danach bat ich um drei Monate unbezahlten Urlaub, der demnächst zu Ende geht. Bis dahin hoffe ich, Suze überredet zu haben, meine Frau zu werden. Sie hat Angst vor diesem Schritt, denke ich. Die Gamelins machen sich schon seit Ewigkeiten gegenseitig das Leben schwer. Ihre Kindheit muß gräßlich gewesen sein.«

  »Dann«, schloß Barnaby, »dürfte Craigies Tod Ihnen zum Vorteil gereichen. Ihre Umgebung dürfte ihr nun wesentlich weniger Sicherheit bieten.«

  »Ja. Es ist traurig, und selbstverständlich tut es mir leid, was geschehen ist, aber ich könnte mir denken, daß sich die Waagschale nun mehr in meine Richtung neigt.«

  Heiliger Strohsack, dachte Troy. Wußte nicht, wer sie ist. Meint wohl, wir sind von vorgestern. Jeder, der nur ein Fünkchen Verstand besitzt, weiß, wie das abgelaufen ist. Irgendwie kommt ihm im Fernsehbusineß zu Ohren, wo das arme kleine, reiche Mädchen sich versteckt hält. Fährt hierher, geht an den Start und zieht seine Nummer ab. Kommen die beiden erst mal an ihr Bankkonto ran, sieht sie nur noch die Auspuffgase seines Ferraris.

  Diese phantasievolle Auslegung der Ereignisse und Barnabys Theorie zum Motiv des Mordes brachten Troy auf eine Idee. »Wo genau befindet sich der Lichtschalter, Mr. Wainwright?« Er zeigte auf die fast fertige Skizze. Pflichtschuldig machte Christopher sein Kreuzchen, wobei ihm Troy über die Schulter schaute. »Ich verstehe. Um dahin zu gelangen, hätten Sie also dicht am Podest vorbei müssen.«

  »Eigentlich nicht. Von hier nach hier«, sagte er und zog eine diagonale Linie, »wäre der kürzeste Weg gewesen.«

  »Und den haben Sie auch genommen?«

  »Aber klar doch.« Christopher fixierte den Sergeant. »Worauf wollen Sie hinaus?« Als er begriff, worauf der Sergeant anspielte, lachte er. »Ach, kommen Sie...«

  Der Sergeant griff nach der Skizze, studierte sie aufmerksam und legte dabei die Hand über die Augen, um seinen Zorn zu verbergen. Ich kann alles ertragen, sagte Troy sich immer wieder (was überhaupt nicht der Wahrheit entsprach), nur nicht, daß sich jemand auf meine Kosten lustig macht.

  »Ich habe den Eindruck gewonnen«, warf Barnaby ein, »der sterbende Mann zeigte auf jemanden, bevor er fiel.«

  »Er stand mit erhobenem Arm da, ja. Ob er aber auf jemand Besonderen zeigte, kann ich nicht sagen.«

  »Falls nicht, ergibt die Geste keinen Sinn.«

  »Uns wurde angedeutet«, Troy legte das Blatt Papier wieder auf den Tisch zurück, »daß er auf Mr. Gamelin zeigte.«

  »Wer hat so was gesagt?« Da er keine Antwort auf seine Frage erhielt, fuhr Christopher fort: »Nun, das kann man verstehen. Er war der Außenseiter. Niemand kann die Vorstellung ertragen, daß es einer von uns war.« Man zeigte ihm das Messer und den Handschuh. Er räumte ein, daß beide Gegenstände aus der Küche stammten, und sagte dann: »Suze hat ihre eigene Interpretation der Vorgänge aufgestellt. Um ehrlich zu sein, mir kommt das ziemlich weit hergeholt vor. Worum ich Sie bitten wollte, darf ich dabeisein, wenn Sie sie verhören? Sie ist immer noch ganz schön durch den Wind.«

  »Vorausgesetzt, Sie unterbrechen sie nicht.« Barnaby deutete auf die Tür.

  »Ist das eine gute Idee, Chief?« fragte Troy, nachdem Christopher das Zimmer verlassen hatte.

  »Ich denke schon. Je entspannter und klarer sie ist, desto schneller bringen wir die Sache hinter uns und können das nächste Mitglied verhören.«

  »Will Ihnen was über diesenTypen verraten - der färbt seine Haare.« Sein Wissen gab Troy so siegessicher wie ein Hund, der einen absurd geformten Knochen anschleppt, zum besten.

  Barnaby, dem das Färben der Haare nicht entgangen war, sagte nichts. »Andererseits gehört er nicht zu der Sorte, die sich betont cool gibt. Und er dürfte zu jung sein, um schon grau zu werden. Also, wieso färbt er sie dann?«

  Das Gamelin-Mädchen mußte draußen auf dem Flur gewartet haben. Eben hatte sie noch geweint - ihre Wangen waren feucht und sie war immer noch sehr deprimiert. Barnaby hatte es noch nie Spaß gemacht, trauernde Menschen zu befragen. Bedauerlicherweise hatte sich diese Vorgehensweise als fruchtbar herausgestellt. In einer solchen Gefühlslage legten Menschen weniger Vorsicht an den Tag. Auch bei dieser Gelegenheit erwies sich erneut, wie sehr dies zutraf. Kaum hatte das Mädchen sich gesetzt, kam ihr schon ein Schwall erboster Selbstbezichtigungen über die Lippen.

  »... ist alles meine Schuld... er war nur meinetwegen hier... und nun ist er tot... der wunderbarste Mann auf Erden. Er war ein Heiliger... er liebte uns alle... hatte der Welt soviel zu geben ... soviel zu geben... Sie haben ja keine Ahnung, was heute hier ausgelöscht wurde... verrückt... ganz und gar verrückt... Ohhh, ich hätte niemals hierherkommen dürfen...«

  So ging es eine ganze Weile lang weiter. Wainwright hielt ihre Hand. Dabei versuchte Barnaby herauszufinden, auf wen sich die vielen »er« bezogen. Nach einer Weile beruhigte sie sich etwas und tupfte mit dem Sari, der schon von feuchten Flecken überzogen war, die Augen ab.

  »Sie nehmen also an, daß alles Ihre Schuld ist, Miss Gamelin?«

  »Würde ich nicht auf Manor House leben, wäre mein Vater nicht gekommen.«

  »Ihrer Ansicht nach ist er für Mr. Craigies Tod verantwortlich?«

  »Ich weiß, daß er es ist... ich weiß, daß er es ist...« Sie war aufgesprungen. »Kein anderer hätte so etwas getan. Niemand hatte einen Grund. Wir alle verehrten den Meister. Er war der Mittelpunkt unseres Lebens.«

  »Könnte es sein, daß dieses >Wissen< nur auf vagen, gefühlsbedingten Annahmen beruht?« ‘

  »Es basiert auf Beweisen. Noch im Sterben zeigte der Meister auf meinen Vater. Daran gibt es nichts zu rütteln.«

  »Hatten sich zu jenem Zeitpunkt nicht eine Menge Menschen um Miss Cuttle geschart? Möglicherweise hat er auf einen von ihnen gezeigt.«