Выбрать главу

  »Erzählen Sie mir - haben Sie Craigie vor diesem Abend schon mal getroffen?«

  »Nein.«

  »Was für eine Meinung hatten Sie von ihm?«

  »Er war ein Schlitzohr.«

  Nur ein Schlitzohr erkennt ein anderes. Neidisch stierte Troy auf Gamelins Armbanduhr. Ein glitzerndes Oval aus Weißgold und Kristall mit römischen Zahlen auf einem Platinring. Dafür müßte ich ein paar Jahresgehälter hinblättern, dachte der Sergeant.

  »Er hat versucht, Sylvie eine halbe Million abzuluchsen. Aber ich hege keinen Zweifel, daß Sie das auch ohne mein Zutun rausgefunden haben.« Barnaby räusperte sich vieldeutig. Und wartete. »Im Lauf meines Lebens ist mir der eine oder andere Gauner unter die Augen gekommen, London ist voll davon, aber der war was Besonderes. Hat nicht nur versucht, Sylvie die Überschreibung ihres Erbes auszureden. Hat auch mich gebeten, dasselbe zu tun.«

  »War das nicht etwas riskant?«

  »Keineswegs. Sie verstehen nicht, wie diese Gauner arbeiten. Das ist der letzte Schritt. Wie bei einem Gefeilsche auf dem Markt. Der Kunde geht weg in dem Wissen, daß er zurückgerufen wird, weil er die Oberhand hat. All dieses Getue ließ Craigie gut aussehen, verstehen Sie. Untermauerte seinen Heiligenschein.«

  In seinen rotgeäderten Augen und in seiner Stimme war etwas, das nicht paßte. Das dem widersprach, was er sagte. Was War es? Neid? Enttäuschung? Ein Mangel an Vertrauen? Vielleicht gar, dachte Barnaby, Einsamkeit. Gamelin fuhr fort, Craigie niederzumachen.

  »Craigie war hinter dem her, hinter dem alle diese Gurus her sind - Geld und Macht. So kriegen die ihren spirituellen Kick.« Unendliche Trauer schwang in seinen Worten mit.

  »Dann haben Sie also nicht das Licht gesehen, Mr. Gamelin?« fragte Troy.

  »Ich habe Dunkelheit gesehen«, erwiderte Guy. »Und die ist besser, glauben Sie mir. Im Dunkeln weiß man, wo man steht.«

  »Aus diesem Grund haben Sie ihn umgebracht, Mr. Gamelin? Wegen des Geldes?«

  »Wie bitte? Sie...« Ganz leise Zischlaute. Gamelin beugte sich vor, hielt sich am Tischrand fest. Schob sein Gesicht - ein verhärteter Fleischball - ganz nah vor das des Inspectors. »Ich warne Sie. Nehmen Sie sich in acht. Ich habe Leute mit doppelt soviel Mumm verschlungen. An Männern wie Ihnen schärfe ich meine Zähne.«

  Spucke tropfte auf sein Stoppelkinn. Frustration und Wut verzerrten seine Miene. Zorn füllte den schmalen Abstand zwischen den beiden Männern aus. Barnaby saß reglos da, mit einem Spritzer Spucke auf der Krawatte. Im Gegensatz zum Ausmaß und zur Qualität von Gamelins Heftigkeit beeindruckte ihn der drittklassige Monolog überhaupt nicht. Bislang war ihm noch nie ein Boiler vor seinen Augen explodiert, doch jetzt rechnete er jeden Moment mit dieser Möglichkeit. Der Tisch unter seiner Hand bebte.

  Troy, der gerade im Begriff gewesen war, einen Schritt nach vorn zu treten, blieb, wo er war, und verfolgte das Spektakel. Die beiden erinnerten ihn an ein Paar mächtige Bullen im Frühling. Kompakte Schultern, gesenkte Stirn. Mit aufkeimendem Stolz betrachtete der Sergeant Barnabys regloses, passives Profil. Als sein Blick zu Gamelin hinüberschweifte, dachte er: Hier hast du dir den Falschen ausgesucht, mein Lieber.

  Barnaby holte den Handschuh hervor. »Wir glauben, daß derjenige, der den Mord verübt hat, den hier trug. Man hat Sie beobachtet, wie Sie ihn versteckten.«

  »Wer hat Ihnen das gesagt?«

  »Streiten Sie es ab, Mr. Gamelin?«

  »Nein.« Er hielt sich zurück. Hielt seinen Zorn in Schach. Auf der Innenseite der herunterhängenden Unterlippe bemerkte Barnaby eine bläuliche Verfärbung. Gamelin atmete schwer und gleichmäßig. Kurz fuhr seine Hand zu seiner Brusttasche hoch. Fiel wieder runter.

  »Möchten Sie etwas trinken, Mr. Gamelin? Ein Glas Wasser?«

  »Nein. Nichts.« Eine Weile saß er ruhig da; schließlich sagte er: »Der Handschuh. Nachdem der bärtige Zwerg mit dem blöden Namen losgegangen war, um einen Krankenwagen zu rufen, und die anderen sich gegenseitig anstarrten, weil sie nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten, griff ich nach meinem Taschentuch und riß damit den Handschuh heraus.«

  »Das müßte jemandem aufgefallen sein, nicht wahr, Sir?« fragte Troy.

  »In jenem Moment dachte ich nicht darüber nach. Ich war allein, müssen Sie wissen, auf der anderen Seite des Zimmers. Persona non grata. So ist das schon den ganzen Abend lang gelaufen. Die haben nicht mal zugelassen, daß ich beim Essen neben ihr sitze. Behaupteten, immer die gleichen Plätze einzunehmen.« Er berührte seine Wange. »Ich legte ihn einfach weg. War doch eindeutig, was passiert war. Wer immer den Mann abgemurkst hatte, wollte mir die Sache in die Schuhe schieben. Ich ging zum Fenster rüber, wartete, bis ich mich unbeobachtet fühlte, und legte den Handschuh hinter den Vorhang.«

  »Sind Sie Linkshänder?«

  »Zufälligerweise ja.«

  »Ich kann mir ganz gut vorstellen, daß Ihre Beschreibung der Ereignisse zutrifft, Mr. Gamelin. Andererseits hat der Sterbende auf Sie gezeigt...«

  Zu Barnabys Überraschung unternahm Gamelin keine Anstalten, dies abzustreiten oder zu erläutern. Er versuchte auch nicht, die Sache vom Tisch zu fegen.

  »Ja. Das versteh ich auch nicht. Spielt dem Mörder natürlich hervorragend in die Hände. Untermauert außerdem die von Ihnen aufgestellte Handschuhthese.«

  »Vielleicht...« begann Barnaby und eröffnete ihm vordergründig einen Ausweg. »Wenn Sie Teil der Gruppe gewesen wären...?«

  »Nein. Er zeigte eindeutig auf mich. Ich stand etwas abseits. Es ist komisch, aber zu jenem Zeitpunkt meinte ich, er wolle mir etwas sagen.« Gamelin zuckte mit den Achseln, verlieh damit seiner leichten Verwirrung Ausdruck. »Klingt ein bißchen dünn, aber so war’s.«

  Verdammt dünn, dachte der Chief Inspector. Das Problem war, daß Gamelin nicht wie ein Mann wirkte, der nach Ausreden suchte. Ihm war es einfach schnurzegal, was andere dachten, fühlten oder über ihn sagten. Eine Position der extremen Stärke oder enormer Arroganz, je nachdem, welchen Standpunkt man vertrat. Der Chief Inspector mit seinem eher moderaten Naturell gab dem ersten Standpunkt den Vorzug. Er fragte Guy, ob er selbst eine Vermutung darüber hätte, wer schuldig sein könnte.

  »Keinen Schimmer. Ich weiß nicht genug über die Vorgänge hier. Ehrlich gesagt hätte ich nicht vermutet, daß einer von denen auch nur einer Fliege was zuleide tun könnte.« Er hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: »Ich bin doch ideal, oder nicht? Der Außenseiter, der all die gemeinen Verhaltensweisen der verrückten Welt einschleppt. Alle anderen haben eine weiße Weste. Meine hingegen ist röter als rot. Das muß man diesen verschlagenen Typen schon lassen.« Ein kurzes knatterndes Geräusch kam ihm über die Lippen. »Praahh.« Mit etwas Verspätung erkannte Barnaby, daß er gelacht hatte.

  »Demnach sind Sie der Meinung, genau zu diesem Zweck eingeladen worden zu sein?«

  »Ganz und gar nicht. Ich wurde von Craigie höchstpersönlich eingeladen. Und ich gehe nicht davon aus, daß er seine Ermordung selbst inszeniert hat. Es sei denn...« Er warf Barnaby einen interessierten, fragenden Blick zu. Die kochende Wut von vorhin war schlagartig vergessen. »Es sei denn, mein Besuch wurde ihm von jemand anderem vorgeschlagen, was bedeuten würde, daß alles von langer Hand geplant war. Möglicherweise... hat er das... in letzter Minute begriffen. Womöglich deshalb auf mich gezeigt... um mich zu warnen...«

  Im Lauf seiner Dienstjahre waren Troy schon einige Beispiele ausgefallener Ausreden zu Ohren gekommen, aber die hier übertraf alles. Schuldig wie der Teufel, und dann tischte er ihnen diese verkorkste Version auf. Er konnte nicht nachvollziehen, warum der Chief sich überhaupt die Mühe machte, so zu tun, als erschiene ihm Gamelins Theorie einigermaßen plausibel. Beide Männer standen auf.