Danach sprachen sie mit Mrs. Gamelin. Auch wenn es dem Verhör nicht an einem gewissen Unterhaltungswert mangelte, erwies es sich in jeder anderen Hinsicht als außerordentlich Unergiebig. May, die die beiden Polizisten in das Gemein-" schaftszimmer geleitete, beschrieb Felicity als »ziemlich arm und ruhebedürftig«.
Troy war schon mit der Information rausgerückt, daß die Dame eine Kokserin war. Auf dem Weg zu ihr fügte er hinzu: »Hat den Wagen zu Schrott gefahren. Die Polizei fand Drogen. Hat ihren Führerschein verloren. Stand alles in der Sun.«
»Bestimmt nicht«, entgegnete Barnaby.
»Könnte wetten, sie ist völlig zugedröhnt.«
Als er ihr dann gegenüberstand, beschlich Barnaby der Eindruck, daß sein Sergeant vielleicht recht hatte. Ihre riesigen Augen mit den verschmierten roten Lidern wanderten rastlos hin und her. Die Hände gestikulierten wild: fuhren nach oben, als wolle sie ihr Gesicht berühren, änderten die Richtung, zupften am Kleid herum, strichen über das zerzauste Haar. Ihr Gesicht war eingefallen, schien sich in sich selbst zurückzuziehen, war angespannt und geschrumpft wie das eines verängstigten Äffchens.
Felicity begriff gerade noch, daß Menschen zugegen waren, einer redete ziemlich nachdrücklich auf sie ein. Seine Stimme Ratterte in ihrem Kopf. Einzelne Laute vermochte sie nicht zu Erkennen. Er schob ein Blatt Papier in einer angenehmen Farbe herüber. Felicity nahm es höflich entgegen und gab es zurück. Wieder schob er ihr das Blatt und einen Bleistift zu. Legte er Wert darauf, daß sie damit etwas anstellte? Mit einem Lächeln griff sie seinen Vorschlag auf. Als Kind hatte sie gern gemalt. Die längste Zeit beugte sie sich über das Papier, und Barnaby mußte einräumen, daß das Ergebnis nicht unansehnlich war. Ein paar hübsche Pferde, eins davon hatte nur drei Beine, und eine Girlande aus Blumen in Kohlkopfgröße, die um den Pferdehals gewunden war. Nach Beendigung der Skizze bat Felicity um einen Drink.
Troy brachte ihr Wasser. Um Wasser hatte sie nicht gebeten. Sie schüttete es ihm über die Hose. Kurz darauf wurde das Verhör beendet.
Die ganze Zeit über war Trixie im oberen Stockwerk nervös und kettenrauchend umhermarschiert. Die Luft in ihrem Zimmer roch säuerlich und abgestanden. »Wieso brauchen die so lange?«
»Ich nehme an, sie möchten mit allen sprechen. Sie sind erst...« Janet drehte den Snoopy-Wecker um. »Seit neunzig Minuten hier. Das ist nicht schlecht.«
»Du wartest nicht, oder?«
»Ich weiß nicht, warum du dich derart aufregst. Du hattest ja nichts damit zu tun.« Sie ging zum Fenster hinüber und schob den Vorhang zurück. Ein silberner Halbmond stand tief am Himmel. Kalt und scharf konturiert wie eine Sichel.
»Laß das. Du weißt, ich kann es nicht ausstehen, wenn es Nacht ist.« Janet ließ den Vorhang fallen. »Wie sind sie denn so?«
Janet mußte an schmale Lippen und einen roten Schnauzbart denken. »In Ordnung.«
»Hast du ihnen bestimmt von dem Handschuh erzählt?«
»Das habe ich jetzt schon ein dutzendmal -«
»Und daß du diejenige warst, die ihn dabei beobachtet hat, wie er ihn versteckte?«
»Ja. Wie oft noch?«
»Dann hätten sie ihn doch verhaften müssen, oder? Ich begreife es einfach nicht.«
Weder du noch ich, dachte Janet traurig. Aber ich weiß, es hat etwas mit heute nachmittag zu tun. Nach der ersten schroffen Zurückweisung hatte sie Trixie keine Fragen mehr gestellt, doch es war keine Meisterleistung gewesen, die Gründe für Trixies verschmiertes Make-up, ihr fahles Gesicht und die notdürftig zusammengehaltene Bluse zu erraten. So kam es, daß Janet gleich verstanden hatte, was sie tun sollte, als die auf Rache sinnende Trixie sie aufklärte.
»Jan - ich hab gesehen, wie er das Ding versteckt hat. Ich würde dich nicht bitten, die Unwahrheit zu erzählen. Das Problem ist, wenn Gamelin erführe, wer ihn verraten hat, würde er ihnen sagen, ich hätte mir das alles nur ausgedacht, um ihm eins auszuwischen, und sie würden ihm glauben.«
»Warum?«
»Weil er reich und mächtig ist, du Dummchen.«
»Warum können wir dann nicht beide sagen, daß wir ihn beobachtet haben? Ich könnte dir den Rücken stärken.«
»Ich will überhaupt nichts damit zu tun haben.«
So hatte Janet die Lüge auf getischt, ohne sich sicher zu sein, ob Trixie ihr wirklich die Wahrheit gesagt hatte. Andererseits sympathisierte sie mit ihrer Freundin und verspürte wie sie das Verlangen, alttestamentarisch Rache zu nehmen.
Es klopfte an der Tür. Eine Polizistin fragte, ob Miss Channing ein paar Minuten erübrigen könnte.
»Sie sind ganz zivil, nicht wahr?« fragte Trixie. »Ich frage mich, wie sie reagieren würden, wenn ich ihnen sagte, sie sollen mir den Buckel runterrutschen.«
»Fordere die Leute nicht unnötig heraus. Und laß deine Zigaretten hier. Du hast schon -«
»Ach, um Himmels willen, hör auf, mich zu bemuttern. Du benimmst dich wie eine alte Glucke.«
Troy hatte nichts gegen Zigaretten einzuwenden. Die Rauchschwaden, die Trixies blonde Locken einrahmten, inhalierte er tief. Das half ihm, seine nasse Hose zu vergessen. Mit zusammengedrückten Knien saß sie da, umklammerte nervös die goldene Benson-Schachtel und das Feuerzeug, Barnaby entging nicht, daß sie Angst hatte. Konnte es förmlich riechen. Diesen säuerlichen, starken Geruch. Dieser Geruch war ihm nicht fremd, er kannte ihn seit langem und hatte einmal versucht, ihn zu beschreiben. Der Vergleich, der seiner Ansicht nach noch am ehesten zutraf, war der Geruch, der beim Ausgraben von alten Nesseln freigesetzt wurde. Er erkundigte sich, ob sie schon lange auf Manor House lebte.
»Seit ein paar Wochen. Weshalb? Was hat das damit zu tun?«
»Könnten Sie präziser antworten?«
»Nein. Das genaue Datum habe ich vergessen.«
»Gefällt es Ihnen hier?« Sein Tonfall war besonders höflich, was nichts daran änderte, daß sie sich in die Enge getrieben fühlte.
»Ich nehme an, Sie finden, ich gehöre nicht hierher. Nur weil ich keine weiten Gewänder trage und nicht permanent Halleluja singe.«
Troy kicherte. Trixie warf ihm einen überraschten Blick zu. Irrtümlicherweise legte sie seine Reaktion als Sympathie, als Interesse aus. Sie versicherte Barnaby, daß sie ihm bei der Lösung des Mordes an »unserem armen alten Meister« überhaupt nicht behilflich sein konnte. Ihre Skizze verriet den Polizisten, daß sie in seiner Nähe gesessen hatte.
»Es war ziemlich dunkel, wissen Sie. Wir liefen zu May hinüber, um ihr zu helfen, dann ging das Licht an, und alles war vorbei. Er zeigte auf Guy Gamelin. Ich nehme an, das haben Sie schon von anderer Seite gehört.« Erwartungsvoll schaute sie ihn an.
»In dieser Hinsicht scheinen die Meinungen auseinanderzugehen«, log Barnaby.
»O nein - das war ganz eindeutig. Er zeigte direkt auf ihn.« Sie errötete, als sie merkte, mit welchem Nachdruck sie sprach.
»Und dann habe ich oben noch gehört, daß man ihn dabei beobachtet hat, wie er einen Handschuh versteckte. Den muß er getragen haben, als er das Messer hielt.«
»Sind Sie Mr. Gamelin früher schon einmal begegnet, Miss Channing?«
»Gütiger Gott - in diesen Kreisen bewege ich mich nicht.« Dann, als entsinne sie sich ihres Standes: »Die sind ja so materialistisch, nicht wahr?«
»Sie scheinen offensichtlich von seiner Schuld überzeugt zu sein.«
»Ich wüßte nicht, wer es sonst gewesen sein könnte.«
»Miss Cuttle ist der Meinung«, verriet Barnaby, »der Tod sei übernatürlichen Kräften zuzuschreiben.«
Trixie lachte. Aus vollem Hals. Ihre Furcht legte sich für einen Augenblick. Troy fragte: »Dürfen wir aus Ihrer Reaktion schließen, daß Sie keine Anhängerin dieses Glaubens sind?«