Seine Frau klatschte vor Verwunderung in die Hände. »Daran habe ich nie gedacht.«
»Na, wenn das nicht profund ist. Dieser raffinierte Fuchs.«
»Dann sind diese neuen Aerosoldinger und Kühlschränke und alles also -«
»Reine Zeitverschwendung.«
Heather sprang auf. »Das müssen wir unbedingt den anderen sagen.
»Und hinterher der restlichen Welt.«
Auf dem Weg zur Küche warf Ken in der Halle einen Blick auf die »Fühlst-du-dich-schuldig«-Schale. Heute lag kein Geld drin, aber er entdeckte etwas anderes. Einen Schlüssel mit einem Anhänger, auf dem »25« stand. Der Schlüssel zu Trixies Zimmer.
Am Nachmittag herrschte große Hitze. Beide Fenster in Barnabys Büro standen offen, doch kein Lüftchen regte sich. Die Polizistin Brierley feierte ihren zweiundzwanzigsten Geburtstag. Klugerweise war jemand auf die Idee gekommen, Eis, ein großes Netz Zitronen und eine Auswahl an Kuchen- und Tortenstücken zu besorgen. Aus Furcht, daß ihm die Füllung auf sein Hemd oder auf die auf dem Schreibtisch angehäuften Unterlagen tropfte, unter denen sich auch der eben angelieferte Bericht vom Schauplatz des Mordes befand, hielt der Chief Inspector ein Glas frischgemachter Zitronenlimonade steif in der einen Hand und knabberte vorsichtig an seinem Donut.
Das mehrstimmig vorgetragene Geburtstagsständchen drang durch die offenstehende Tür. Ihm fiel auf, daß sich sein Sergeant auf Audreys Schreibtisch gepflanzt hatte. Troy hielt ein paar Computerausdrucke in Händen und sang aus voller Kehle mit, während sein Blick auf ihren schwarzbestrumpften Beinen ruhte.
Sie hat sich in den letzten drei Jahren gut entwickelt, die kleine Audrey, dachte Barnaby. Anfangs war sie relativ schüchtern gewesen, hatte keinen Schimmer gehabt, wie man mit der koketten Anmache und den chauvinistischen Herabsetzungen, die wie siamesische Zwillinge miteinander in Beziehung standen, umgehen mußte. Die Mädchen, die blieben, wurden im Lauf der Zeit härter im Nehmen. Während Barnaby zusah und gerade noch verhindern konnte, daß das rote Gelee auf sein Hemd fiel, beugte sich Troy mit dem Blick eines Jägers vor, murmelte etwas und zwinkerte. Audrey zwinkerte und murmelte ebenfalls ein paar Worte. Lautes Gelächter ertönte. Der Sergeant entfernte sich.
»Früher ist sie mal richtig niedlich gewesen, dieses Mädchen«, beklagte er sich wütend und wedelte mit den Computerausdrucken. »Tierisch feminin - falls Sie wissen, was ich meine.«
»Ich finde sie immer noch recht niedlich.«
»Macht man denen ein Kompliment, gehen sie einem gleich an die Gurgel.«
Das Kompliment war folgendes gewesen. Troy: »Zur Feier des Tages lade ich Sie auf einen Drink ein. Irgendwo, wo es richtig hübsch ist. Wie wäre es mit diesem kleinen verschwiegenen Pub am Fluß? Sie werden sich gut amüsieren. Nicht umsonst hält man mich für einen Senkrechtstarter.« Audrey: »Dann rühren Sie doch damit Ihren Tee um.«
»Frauen, die ungehobelt sind, vergeben sich was - finden Sie nicht, Sir?«
Lesend sagte Barnaby: »Hier taucht kein Craigie auf.«
Troy bemühte sich, seine Verdrossenheit abzulegen. »Ich habe auch ähnlich klingende Namen überprüft. Es gibt einen Brian Craig. Versicherungsbetrug. Starb in Broadmoor.«
»Na, wenn das nicht der richtige Ort zum Sterben ist.« Barnaby machte selten Witze, und dieser war keinen Lacher wert.
»Da kommt noch mehr. Ich warte auf einen Cranleigh und einen Grawshaw.« Er klang ziemlich munter und optimistisch. »Bin überzeugt, daß Gamelin recht hatte. Das spüre ich in den Knochen.«
Troy spürte dauernd etwas in den Knochen. Seine Knochen waren in etwa so zuverlässig wie ein Bernhardiner, der Cognac getrunken hatte.
»Was steht in dem Bericht der Polizisten, die zuerst am Schauplatz des Verbrechens eintrafen?«
»Nicht viel.«
Troy las die beiden eng bedruckten Seiten. Nichts im Handschuh - was zu vermuten gewesen war. Und auch ansonsten nicht viel. Nur ein vergrößertes Foto einer Faser, die am Messer geklebt hatte.
»Bißchen enttäuschend«, meinte er, nachdem er mit dem Lesen fertig war. »Sieht nicht so aus, als stamme es von irgendwelchen Kleidungsstücken. Obwohl - nicht jeder hatte etwas an, worunter er oder sie das Messer verstecken konnte. May Cuttles Kleid hatte lange, weite Ärmel, aber sie ist aus dem Spiel. Könnte es allerdings jemandem ausgehändigt haben. Hey - vielleicht hat sie es Wainwright zugesteckt. Er hätte es nicht selbst mitbringen können. Enge Jeans, Turnschuhe, kurzärmliges Hemd.«
»Außerdem ist er nicht in die Nähe des Podests gekommen.«
»Wer käme sonst noch in Betracht? Die lesbische Frau hatte Hosen an - sie hätte es reinbringen können. Für die Blondine dürfte es schwierig gewesen sein. Gibbs hätte es in seiner Strickjacke verstecken können. Gamelin und die Beavers hätten es ebenfalls verstecken können und auch dieser Junge, der einen Sprung in der Schüssel hat. Er hatte einen ausgeleierten Pulli an. Oder Gamelins Gattin - in ihrem Kleid hätte die einen ganzen Besteckkasten verbergen können. Das gilt auch für ihre Tochter im Sari.«
Troy schürzte angöwidert die Lippen. Wenn er etwas auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann weiße Frauen, die sich wie Schwarze kleideten. »Wenn die mir gehören würde«, murmelte er, »würde ich sie heimschleifen, das rote Zeugs abwaschen und sie mal ordentlich übers Knie legen.«
»Menschen >gehören< uns nicht, Sergeant. Sie sind weder Autos noch Waschmaschinen. Und Sie haben jemanden vergessen.«
»Nein, habe ich nicht.« Barnaby zeigte auf die Zeichnung an der Wand. »Craigie?« Troy lachte ungläubig. »Nun, er wird doch nicht dem Mörder in die Hand spielen, indem er das Messer selber reinschmuggelt, oder?«
»Er war anwesend. Wir dürfen ihn nicht ausschließen. Wie gehen wir immer vor, Troy?«
»Wir halten uns alle Möglichkeiten offen«, rezitierte Troy mit einem Seufzer und dachte, daß manche Leute sich derart viele Möglichkeiten offenhielten, daß sie vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sahen.
»Schauen Sie doch mal nach, ob es noch mehr von diesen Donuts gibt.«
Janet durchstöberte Trixies Zimmer. Wie sinnlos das war, begriff sie schnell. Sie hatte es schon zweimal durchsucht, zuerst ziemlich hastig und halb wahnsinnig vor Kummer, danach noch einmal langsam und sorgfältig. Ganz systematisch war sie jede einzelne Schublade durchgegangen. Hatte unter die Matratze, unter die Teppiche geschaut, Bücher durchgeblättert und in einem Augenblick totaler Verzweiflung sogar den Kaminrost kontrolliert. Nur Hinweise, wohin Trixie wohl geflohen sein mochte, fand sie keine.
In Wahrheit suchte Janet natürlich einen Brief. Davon gab es weit und breit keine Spur. Nicht einmal ein paar Papierschnipsel, die einem, nachdem man sie zusammengesetzt hatte, eine Adresse verrieten. Auch im Adreßbuch, das im Büro lag, stand nichts. Nach telefonischer Anmeldung war Trixie übers Wochenende zu Besuch gekommen und nicht wieder gegangen, nachdem eine Finanzierungsmöglichkeit gefunden worden war.
Die Intensität ihres Leids setzte ihr genauso stark zu wie das Leiden selbst. Wie hatte sie es zulassen können, an solch einen Punkt zu gelangen? Die Entwicklung war heimtückisch vonstatten gegangen. Anfänglich hatte sie Trixie nicht mal gemocht. Das Mädchen war ihr oberflächlich und dumm vorgekommen. Sie beide hatten nichts gemein gehabt. Dann, peu ä peu, hatte sie begonnen, die jüngere Frau zu bewundern, und sie schließlich um ihre heitere Natur beneidet. Um ihre Selbstsicherheit und ihre Schlagfertigkeit. Janet, bei deren Erziehung man großen Wert auf höfliche Zurückhaltung gelegt hatte, litt permanent unter ihrer Gehemmtheit und darunter, daß ihre guten Manieren ihr verboten, mit der Sprache rauszurücken.