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  Ziemlich früh war ihr aufgefallen, daß Trixie keine wahre Sucherin war. Daß sie sich nicht sonderlich für eine andere Bewußtseinsebene interessierte. Sie hatte meditiert, hatte ein paar Unterredungen mit dem Meister gehabt und bei quasireligiösen Diskussionen hin und wieder ein paar ehrerbietige Bemerkungen fallenlassen, aber Janet wußte, daß sie nicht mit dem Herzen dabei war. Irgendwann war sie zu der Überzeugung gekommen, daß Trixie nur das Nötigste tat, um einen Fuß in der Tür zu behalten. Häufig hatte Janet das Bedürfnis verspürt, sie zu fragen, aus welchem Grund sie auf Manor House lebte. Aus Mangel an Mut war es jedoch nie dazu gekommen. Trixie behauptete immer, daß ihr Neugierde verhaßt war.

  Am Schminktisch sitzend und die frischen Rosen in der Vase betrachtend, war Janet ganz krank vor Sehnsucht. Erneut zog sie die oberste Schublade heraus und inspizierte das, was von Trixie übriggeblieben war. Eine halbvolle Packung Tampax, ein rosa Angorapulli, der unter den Achseln roch, und ein paar Bahnhofsschmöker, schlecht geschrieben und recht pornographisch (Janet hatte ein paar Seiten überflogen). Spätestens auf Seite sieben hatte jeder seine Unschuld verloren.

  Janet zählte eins und eins zusammen. Furcht mußte Trixie dazu getrieben haben abzuhauen. Diese Angst hatte irgend etwas mit Guy Gamelin zu tun. Noch im Tod besaß dieser monströse Mann die Macht, Schaden anzurichten. Janet stellte sich vor, wie Trixie allein und verängstigt auf der Flucht war. Hatte sie Geld? Würde sie per Anhalter reisen? Nicht nach all den schrecklichen Geschichten, die einem zu Ohren kamen. Irgendwann zwischen halb elf und zwölf mußte sie weggegangen sein. Wahrscheinlich hatte sie sich mit ihrem Koffer mit den blauen Rollen durch die Halle geschlichen, während Janet nur ein paar Meter weiter in der Küche zugange gewesen war.

  O Gott!

  Sie sprang vom Stuhl auf und schlang die Arme fest um ihren Brustkorb. In diesem Augenblick brauchte Trixie ihre Freundschaft mehr denn je. Janet hatte soviel zu geben. Sie konnte spüren, wie es wie ein großer, schwerer Klumpen dort lag, wo eigentlich ihr Herz hätte sein müssen. Ihr ganzes Leben lang schien sie ihn mit sich herumgetragen zu haben, und von Tag zu Tag wurde er schwerer.

  Plötzlich fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild. Ihre Haare standen wild ab, die Haut spannte sich über ihrer Hakennase. Als ihr dämmerte, daß Trixie womöglich nie wieder zurückkehren würde, spürte sie einen dicken Kloß im Hals. Wurde sich des Verlustes erst richtig bewußt. Das Ausmaß ihrer Qualen zwang sie fast in die Knie. Sie hatte das Gefühl, in Zukunft in unerträglichem Zwielicht leben zu müssen, ohne jemals die Schönheit eines strahlenden Tages kennengelernt zu haben.

  Vor einiger Zeit hatte sie mal gelesen, daß die Intensität eines wirklich starken Gefühls alle Erinnerungen auszulöschen vermochte. Janet bildete sich ein, das Vergessen ertragen zu können. Ihre Liebe zu Trixie war einem dumpfen Schmerz vergleichbar, ähnelte einer verlorenen Erinnerung. Diesem Bild haftete etwas Sauberes, Strenges an. Mit Sicherheit zu wissen, daß man niemals Trost fand, war auch ein Trost. Sie würde allein bleiben und das unbeugsame, zutiefst unbefriedigende Epigramm in Erinnerung behalten, daß man im Leben nur bekam, was man wollte, wenn man wollte, was man bekam.

  »Finde dich damit ab«, hätte ihre Mutter ihr in diesem Fall geraten. »Ich werde mich damit abfinden.« Daß sie das immer gesagt hatte, daran erinnerte sich Janet noch sehr gut. Diesen Ausspruch hatte sie immer dahingehend gedeutet, daß man nicht genau das kriegte, was man wollte, daß das aber immer noch besser war als gar nichts.

  Kaum hatte Janet entschieden, sich mit dem schmerzlichen Verlangen nach menschlichem Kontakt zufriedenzugeben, mit einem Hauch von Wärme, der einem das Leben erträglich machte, da schnürte es ihre Brust zusammen. Bitterlich weinend, tauchte sie ihr Gesicht in die duftenden Rosen.

Christopher und Suhami hatten sich ins Büro zurückgezogen. Sie schaute aus dem Fenster, er saß an dem einbeinigen Tisch, an dem Barnaby die Verhöre durchgeführt hatte. Neben Christophers Fuß stand ein kleiner Schweinslederkoffer, und auf dem Tisch lag ein großer, unverschlossener Briefumschlag. In dem seit drei Tagen nicht mehr benutzten Raum bildete sich auf allen Gegenständen schon eine dünne Staubschicht.

  Das Paar unterhielt sich über den Tod. Suhami mit der getriebenen Gereiztheit eines Menschen, der sich verpflichtet fühlt, eine alte Wunde zu begutachten, Christopher, der langsam ebenfalls mürrisch wurde, mit großen Widerwillen.

  »Es ist unmöglich, oder?« sagte sie. »Sich vorzustellen, wie es sich anfühlt, tot zu sein. Man stellt sich vor, bei der eigenen Beerdigung anwesend zu sein. Man sieht, wie die Trauergäste weinen. Man sieht die vielen Blumen. Dennoch, man muß leben, um sich dieses Bild ausmalen zu können.«

  »Ich denke schon. Können wir nicht über etwas anderes sprechen?« Sie antwortete ihm nicht. Ungeduldig stellte er den Koffer auf einen Stuhl mit gerader Lehne. »Wir könnten die Sachen deines Vaters durchsehen?«

  »Was gibt es da durchzusehen? Das sind nur Klamotten. Wenn jemand nächstes Mal nach Causton fährt, soll er die Sachen in den Laden einer wohltätigen Organisation tragen.«

  »Und da ist noch dieser Umschlag.«

  »Ich weiß, ich weiß. Ich habe den Empfang quittiert, nicht wahr?«

  »Beruhige dich.« Er schüttete den Inhalt auf den Tisch. Guys Brieftasche, seine Schlüssel, ein Taschentuch, ein Zigarrenabschneider und ein Feuerzeug. Ein leeres braunes Glasröhrchen. Eine kleine Karte, zerknittert, als habe sich jemand daran festgehalten. Eingraviert war eine Nachricht von Ian und Fiona (Besitzer). Christopher drehte die Karte um. Eine Elfe mit Schuhen, deren Spitzen hochgebogen waren, zeigte mit einem Stab auf eine kursiv gesetzte Zeile: Sie zu erfreuen ist unser wahres Anliegen. Wm. Shakespeare. Und da war noch etwas anderes im Umschlag. Ganz unten im Knick.

  Christopher fuhr mit der Hand hinein und holte die Armbanduhr heraus. Diesen ungewöhnlich schönen, nur aus Juwelen, Edelmetall und geschliffenem Glas bestehenden Gegenstand nahm er in die Hand. Er hielt den Atem an (er konnte nicht anders) und spürte, wie sie sich umdrehte. Als er aufschaute, beobachtete Suhami ihn. Ihr Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Er legte die Uhr auf den Tisch. Auf dem dunklen Rosenholz funkelte sie wie ein Stern. Als er endlich wieder sprechen konnte, ohne sich seine Habsucht anmerken zu lassen, sagte er: »Was meinst du? Sollten wir diese Sachen deiner Mutter geben?«

  »Wohl kaum.« Suhami trat näher. »Das letzte, was sie brauchen kann, sind Erinnerungsstücke. Ihren derzeitigen Zustand hat sie ihm zu verdanken.«

  »Dieses Röhrchen ist leer.«

  »Herztabletten.«

  »Dann hatte er also noch Zeit, sie einzunehmen.«

  »So scheint es.«

  »Da steckt noch was in seiner Brieftasche.« Das metallischcremefarbene Lederbehältnis mit den großen Krokodilschuppen war auf einer Seite ausgebeult. Als Christopher die Finger in das Fach schob, flog Konfetti heraus. Ein paar Schnipselchen fing er mit der Hand auf. »Das ist Geld.«

  »Wie grotesk.« Suhami musterte die verstreuten Fragmente.

  Auf einmal wurde sie unerklärlicherweise von Angst ergriffen. »So etwas würde er niemals tun. Es sei denn...« Für einen Sekundenbruchteil sah sie Guy in extremis, wie er schlagartig die Sinnlosigkeit seines Reichtums erfaßte und symbolisch einen großen Geldschein zerriß. Gleich darauf wurde ihr klar, wie sentimental und unsinnig dieses Bild war.

  »Es sei denn was...?«

  »Keine Ahnung. Er war... ziemlich am Ende. Emotional gesehen. Neulich nachmittag, im Verlauf unserer Unterhaltung, tat er mir beinahe leid. Nicht daß ich es mir hätte anmerken lassen.«

  »Wieso nicht?«