»Na gut. Was ist denn nun wieder ganz typisch für mich?«
»Du unterhältst dich nicht mit mir.«
»Mein Gott, Joyce - ich spreche nun schon seit zwanzig Jahren mit dir über meine Arbeit. Ich dachte, du würdest dich freuen, nichts mehr darüber zu hören.«
»Und - was noch schlimmer ist - du hörst nicht zu.« Barnaby stöhnte auf. »Ich wette, du erinnerst dich nicht mehr an Ann Cousins?«
»An wen?«
»Siehst du? Meine Freundin aus Compton Dando.«
»Ah.«
»Letztes Jahr, nach Alans Tod, veranstalteten die Leute von Manor House einen Workshop mit dem Titel >Neue Horizonte<. Sie meinte, daß ihr das helfen könnte. War eine große Enttäuschung, wie sich herausstellte. Nur Getue, keine Substanz. Wir sind zusammen hingegangen.«
»Was? Wieso hast du mir das nicht erzählt?«
»Ich habe es dir erzählt.« Joyce schmunzelte mit grimmiger Zufriedenheit. »Und zwar ganz ausführlich. Selbst wenn dein Körper daheim ist, ist dein Verstand in der Arbeit. Du interessierst dich nicht im geringsten für das, was ich tue.«
»Das ist aber ziemlich übertrieben und unfair. Ich habe mir dein letztes Bühnenbild angeschaut. Ich verpasse nie eine deiner Vorstellungen -«
»Die letzte hast du verpaßt.«
»Zwei Kinder sind entführt worden. Vielleicht erinnerst du dich nicht -«
»Poppy Levine heiratet.«
Cullys laute und klare Stimme schnitt durch die tiefer werdende Kluft ihrer Eltern, die sofort ihren Zwist beendeten in der Annahme, der gemeinsamen Tochter damit zu sehr zuzusetzen.
Cully, die sich einfach nur langweilte, fuhr fort: »In einem superkurzen Rock und Spitzenstrümpfen.«
»Ich komme zu spät.« Barnaby stand auf. »Über deinen Besuch unterhalten wir uns, wenn ich heimkomme.«
»Auf einmal schenkst du mir deine Aufmerksamkeit«, monierte Joyce säuerlich. Sie stand ebenfalls auf und trat hinter Cullys Stuhl, um den graugelockten Schopf zu neigen und mürrisch das Hochzeitsfoto zu studieren. »Sechs Ehemänner, und sie sieht immer noch wie einundzwanzig aus. Wie macht sie das nur?«
»Schenkt man den Gerüchten Glauben, hat sie ihre Epidermis dem Teufel verkauft. Sieh dir das mal an.« Cully tippte mit dem Fingernagel auf die Zeitung. »Es geht mir echt gegen den Strich, daß sie bei Frauen immer das Alter erwähnen. Poppy Levine, neununddreißig, heiratet den Kameramann Christopher Wainwright. Über sein Alter verlieren sie kein Wort - Dad!« Der Indy wurde ihr aus den Fingern gerissen. »Sei doch nicht so verdammt unhöflich!«
Barnaby überflog die entsprechende Seite und faltete sie zusammen.
»Auf der Rückseite ist ein Interview mit Nick Hytner... Dad...«
»Was ist denn?« fragte Joyce. »Hat es etwas mit deinem Fall zu tun?«
»Tut mir leid.« Barnaby schlüpfte in sein Jackett. »Dauert zu lange, das zu erklären.«
»Da haben wir’s mal wieder. Genau das meine ich.« Die Tür fiel ins Schloß. Joyce wandte sich an Cully und wiederholte: »Da haben wir’s mal wieder.«
Troy raste die A40 hinunter. Schnell, gelassen. Entspannt genoß er seine privilegierte Position. Sein Fahrgast trommelte auf die in blauen Jeansstoff gehüllten Knie. Zuvor hatte er mit einer Packung Polos aus dem Handschuhfach gespielt und hinterher an seinem Sicherheitsgurt rumgezerrt, bis Troy ihn angeherrscht hatte, dies zu unterlassen.
»Aber aus welchem Grund möchte er mich sehen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Sir.«
»Ich bin mir sicher, Sie könnten es mir sagen, wenn Sie Lust dazu hätten.«
Troy ließ sich nicht provozieren. Und er war auch nicht so dumm, sich anmerken zu lassen, wie sehr er es genoß, wenn ein Mitglied der großartigen britischen Öffentlichkeit ihm hilflos ausgeliefert war. Schwitzte, flehte. Ganz besonders freute ihn, daß es Wainwright war, den er von Anfang an für einen hinterfotzigen Mistkerl gehalten hatte. Ihn jetzt ein bißchen schmoren zu lassen, kam dem Sergeant gerade recht.
»Ich nehme mal an, es geht um den Mord?«
»Wahrscheinlich, Mr. Wainwright.« Troy schloß den Mund, um ein Lächeln zu unterdrücken. Es gefiel ihm sehr, »Mr. Wainwright« zu sagen. Den Kerl zum Narren zu halten. Die ganze Sache machte ihm solchen Spaß, daß er es wieder sagte, als er die Uxbridge-Ausfahrt runterfuhr.
»Bald sind wir da, Mr. Wainwright. Dauert höchstens noch fünf Minuten.«
Barnaby saß an seinem Schreibtisch und las erneut die Aussagen durch, als ein blauer Orion an seinem Fenster vorbeiflitzte und eine atemberaubende Kurve beschrieb, ehe er dicht vor der Revierwand abbremste und zum Stehen kam.
Der Chief Inspector bestellte drei Tassen Kaffee, die zusammen mit Sergeant Troy und dessen Begleiter kamen, der sich setzte, blasser als gewöhnlich wirkte und davon überzeugt war, daß er ganz knapp einem Sturz durch die Windschutzscheibe entkommen war.
»Aus welchem Grund möchten Sie mich sprechen?« Christopher nahm den Kaffee entgegen, trank ihn schnell aus und sagte dann: »Stört es Sie, wenn ich rauche? Auf Windhorse sind Zigaretten ziemlich verpönt.«
Zu Troys Kummer (das Nicht-Rauchen-Schild war deutlich genug) gab Barnaby Wainwright die Erlaubnis, sich eine Zigarette anzuzünden. Wenn ich das täte, murrte der Sergeant stumm, bekäme ich was zu hören. Könnte mir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Vorwürfe anhören. Christopher holte eine Schachtel Gitanes heraus und bot den Beamten Zigaretten an. Beide Männer schlugen das Angebot aus, Troy allerdings schweren Herzens. Die Zigarette wurde angezündet. Wainwright nahm einen Zug und wiederholte seine Frage.
»Ich nehme an, Sie haben die Zeitung von heute noch nicht zu Gesicht bekommen?«
»Ist nicht gestattet. Zuviel externe Stimuli, die die Reise auf eine höhere Bewußtseinsebene erschweren.«
Barnaby hätte schwören können, einen Hauch Sarkasmus herauszuhören. »Poppy Levine hat gestern geheiratet.«
»Schon wieder?« staunte Christopher. »Nun, es ist freundlich, daß Sie mich darüber informieren, aber ein einfaches Telefonat hätte auch genügt.«
»Das ist schon ein ungewöhnlicher Zufall.« Barnaby faltete den Independent auf. »Der Bräutigam ist ein Fernsehkameramann.« Er schob die Zeitung rüber.
»Warum auch nicht? Wir sind keine vom Aussterben bedrohte Spezies.« Er warf einen Blick auf das Gedruckte. »Was für ein scheußliches -« Er hielt den Atem an. Barnaby schnappte sich die Zeitung, ehe eine Kaffeetasse umkippte. Es dauerte eine Weile, bis Christopher sagte: »Scheiße.«
»Das stimmt.« Barnaby begann vorzulesen: »Der Bräutigam, der sich bei der Brautmutter in Stowe aufhielt, ist erst vor kurzem von Dreharbeiten in Afghanistan zurückgekehrt. Nach einer heftigen Romanze und der Trauung in der Chelsea Town Hall begab sich das glückliche Paar in das Haus der Braut in Onslow Gardens. Nächsten Monat treten sie etwas verspätet ihre Flitterwochen in Santa Cruz an. Also...«, er warf die Zeitung in den Mülleimer, »das sagt uns alles über Christopher Wainwright. Was wir nun natürlich gern wissen würden, ist, wer, verdammt noch mal, sind Sie?«
Der Barnaby gegenübersitzende Mann drückte seine Zigarette in der Untertasse aus, griff in die Tasche seines Baum-woll-Madras-Jacketts und klopfte eine neue Zigarette aus dem Päckchen. »Könnte ich eventuell noch etwas Kaffee haben?«
Verzögerungstaktik. Wird ihm nichts bringen. Troy ging ins Vorzimmer, wo Audrey gerade telefonierte. Die einzige andere anwesende Polizistin verhörte eine Nutte, die vorgab zu weinen, aber darauf wäre nicht mal ein Kleinkind reingefallen. Widerwillig besorgte er selbst den Kaffee. Bei der Erledigung dieser kurzen und extrem einfachen Aufgabe gelang es ihm, sich extrem gönnerhaft zu geben, was in keinem Verhältnis zu der Anforderung stand. Bei seiner Rückkehr stierte der Befragte über Barnabys Kopf hinweg und drückte die zweite Zigarette aus. Der Chief hatte ein aufgeschlagenes Notizbuch vor sich liegen und hielt einen Kugelschreiber in der Hand. Wainwright nahm den Kaffee entgegen, trank einen Schluck, rührte ihn um. Barnaby wartete, bis die Tasse leer war, ehe er sagte: »Beantworten Sie nun bitte die Frage.«