In jenen Tagen hatten sie beide noch nichts von der Vielzahl ihrer hellseherischen Fähigkeiten gewußt. Hier auf Manor House war Ken als Channeller als einer der fähigsten Köpfe, den die Welt je gesehen hatte, anerkannt, und Heather wurde als Venusreisende betrachtet, die von dort mit überragenden Heilkräften zurückgekehrt war.
Vor allem wegen ihrer Arbeit waren sie darauf bedacht, auch weiterhin auf Windhorse zu leben. Das Haus war ein Hafen, in den die Geplagten und spirituell Durstigen einlaufen konnten und Unterstützung fanden. Sollte sich herausstellen, daß dieses Anwesen einem Fremden, oder - schlimmer noch - der Regierung in die Hände fiel, wohin würden diese armen Seelen dann gehen? Und - wo sie schon darüber nachdachten - wohin sollten Heather und Ken gehen? Besitz war selbstverständlich Diebstahl, aber selbst wenn dem nicht so wäre, sie verfügten nicht über Ersparnisse, um ein Haus zu kaufen. Da sie kinderlos waren, hatten sie kein Anrecht auf eine Sozialwohnung. Ken hatte nicht nur ein kaputtes Bein, sondern litt auch noch unter zu geringer Spermadichte.
Selbst alltägliche Ausgaben konnten sich in Zukunft als problematisch erweisen. Das Sozialamt hatte sich bei ihrer ersten Antragstellung auf Unterstützung, die sie vor einem Jahr eingereicht hatten, als ungeheuer phantasielos erwiesen. Vergeblich hatte sich Heather darum bemüht, die Bedeutung ihrer Arbeit deutlich zu machen: ein liebevolles Lächeln hier in Ux-bridge wärmt ein Herz in Katmandu. Und schließlich sparte die staatliche Krankenkasse viele tausend Pfund im Jahr durch ihre Heilungen. Das Amt war in Kens Fall genauso kurzsichtig gewesen und hatte bei seinem Antrag auf eine Schwerbeschädigtenrente immer wieder auf konventionelle medizinische Gutachten wie Röntgenbilder gepocht.
»Soweit wird es noch kommen«, hatte Ken sich zur Wehr gesetzt, »daß ich meinen Körper einer solchen Maschine und ihren krebserregenden Strahlen aussetze.«
Heather hatte ihm den Rücken gestärkt und gerufen: »Warum schicken Sie ihn nicht einfach nach Tschernobyl? Dann haben Sie Ihre Ruhe?«
Die gute alte Heather. Als Ken langsam die Tassen zum Spülbecken brachte und sie ausspülte, betrachtete er sie. Sie trug ein billiges weißes Baumwollsackkleid, unter dessen Stoff sich ihr in schwarzen Höschen steckendes Hinterteil deutlich abzeichnete. Da sie den Kristall abgelegt hatte, wirkte ihre rosafarbene Stirn nackt, hoch und gewölbt und ließ sie unerhört intelligent erscheinen.
»Eigentlich interessiere ich mich ja nicht für derlei Dinge«, sagte Ken mit gesenkter Stimme, »das weißt du nur zu gut. Trotzdem frage ich mich, ob Suhami, jetzt wo der Meister weg ist, noch gewillt ist, ihr Geld der Lodge zu vermachen.«
»Ach, das hoffe ich!« rief Heather. »Selbst wenn es einem persönlich gelingt, sich nicht korrumpieren zu lassen, stellt unverdienter Reichtum immer noch die größte Barriere bei dem Bestreben dar, eine harmonische Seelenlage zu erlangen.«
»Richtig.« Ken streckte die Hand nach dem Brotkorb aus. »Ist noch Marmelade da?«
»Ich habe sie gerade weggeräumt.« Sie trat an den Schrank. »Du hättest eher was sagen können.«
»Tut mir leid. Möchtest du auch eine Scheibe?«
»Eigentlich sollte ich nichts mehr essen.« Ken schnitt eine weitere Scheibe ab. »Komisch, daß Trixie einfach so weggerannt ist, findest du nicht? Nachdem Gamelin gestorben war, habe ich mich gefragt... nun... ob sie etwas miteinander gehabt haben.«
»Sie kannten einander nicht.«
»Das behauptete sie hinterher, aber May sah die beiden zusammen an dem Nachmittag wegfahren, als er zum ersten Mal hier auftauchte. Bevor er einen von uns kennengelernt hat.«
»Wahrscheinlich nachdem er ein bißchen auf ihr rumgehopst ist.«
»Also wirklich, Ken!« Heather belegte ihr Brot mit einer Birnenscheibe und einer Stange Rhabarber. »Für einen sehr fähigen planetarischen Lichtarbeiter kannst du manchmal ganz schön vulgär sein.«
»Die menschliche Natur. Wer sind wir, daß wir richten dürfen?«
Das Telefon läutete. Es gab drei Apparate, einen im Büro, einen in der Küche und einen auf dem Tisch in der Halle. Heather reagierte nicht auf das Klingeln und sagte: »Wird irgend etwas Geschäftliches sein. May ist im Büro.«
Falls May wirklich im Büro war, weigerte sie sich, den Hörer abzunehmen. Nach einer Weile stand Heather seufzend auf. »Als ob ich nicht schon genug zu tun hätte«, beklagte sie sich.
Ken spitzte die Ohren. Die abgehackten, unzusammenhängenden Antworten seiner Frau erregten seine Neugierde.
»... aber sie ist nicht da. ... im Augenblick nicht... das kann ich wirklich nicht sagen... Oh, das denke ich nicht... Nein, nein - so ein Ort ist das hier nicht. Wir... Nun, um ehrlich zu sein, ich war anwesend... Heather Beavers. Autorin, Heilerin und Priesterin... Priesterin... Wie bitte... ja - das sind meine Qualifikationen... Herrje, das kann ich jetzt nicht sagen. Wir leben hier in einer Kommune, wissen Sie? Diskutieren miteinander über alles... Wirklich? Das ist aber bald... ach ja? Ich könnte fragen - hallo? Hallo?«
Sie schüttelte den Hörer, ehe sie auflegte, und wandte sich an Ken. Ihre Gesichtsmuskeln waren angespannt. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie stark sie auf das Telefonat reagierte.
»Das war der Daily Pitch.«
»Erdverbundene Gotteslästerer.«
»O ja - natürlich. Sie wollten mit Miss Gamelin sprechen - mit Suhami. Ich sagte, sie sei nicht hier.«
»Recht so. Nur gut, daß ein fürsorglicher Mensch abgenommen hat.«
»Wir müssen sie schützen, Ken. Das ist lebenswichtig.«
»Die kristallenen Scharen herbeirufen.«
»Das Problem ist... après moi le déluge, Schätzchen.«
»Hä?«
»Genau das hat die Frau auch gesagt. Diese Journalistin. Es wird nicht lange dauern, dann sind wir umzingelt.«
»Handlanger der Tories.«
»Absolut.« Heather blickte sich in der leeren Küche um und sprach mit gesenkter Stimme weiter: »Die sind echt krank. Nachdem sie mich irgendwie dazu gebracht hat zuzugeben, daß ich hier war, als der Mord geschah, begann sie über ein Exklusivinterview zu reden. Fang an, die Nullen zu zählen, meine Liebe - so ein Zeugs gab die von sich.«
»Jesus.« Seine Stimme klang dünn.
»Ich weiß.« Heather faltete die Hände in dem vergeblichen Versuch, nicht zu erschaudern.
»Was für eine verabscheuungswürdige Truppe. Da fühlt man sich nie wieder rein... Was meinst du?«
»In diesem Fall stimme ich dir zu«, meinte Heather und musterte betroffen ihre ineinander verwobenen Finger. »Andererseits ... stimmt mich die Sache nachdenklich, Ken. Worum es uns hier geht, du weißt schon.« Sie deutete auf den selbstgebackenen Brotlaib, auf die zu fest eingekochte Marmelade. »Worum geht es uns?« Ihr Ehemann blickte auf und runzelte die Stirn. »Uns geht es darum, das Ego in den Hintergrund zu stellen, richtig? An andere denken, sie an erste Stelle zu setzen. Nun, jetzt haben wir die Chance, eine Schwester in Not zu schützen - wir könnten doch mit den Journalisten sprechen, das schwere Geschütz von ihr weg auf uns lenken, schließlich sind wir eher in der Lage, damit fertig zu werden.«
»Ohhh...« Mit lautem Gestöhne demonstrierte Ken seinen Widerwillen. »Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid. Du hast selbstverständlich recht. Die arme Suze. Wieder einmal ist es dir gelungen, Heath, den richtigen Weg aufzuzeigen.«
»Außerdem würde es unserem Karma sehr gut bekommen.«
Lachend schüttelte ihr Mann den Kopf. »Offenbar ist es doch möglich, von diesem Egotrip runterzukommen. Was meinst du... wie wäre es, nur um uns beiden den Rücken zu stärken, wenn ich bei Hilarion nachfragte?«