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  »Ich lerne fürs Priesterseminar, Sergeant. Wonach sieht es denn aus?«

  Herrje. Ein ätzender Tag. Ein ätzender Tag, an dem man Stunde um Stunde in ein Gesicht, das an einen versohlten Hintern erinnerte, blicken mußte. Jedenfalls kein Tag, um neue Fotos von Talisa Leanne rauszuziehen, auf denen sie sich ohne elterlichen Beistand an der Lehne von Maureens Stuhl festhielt und stand. Der Gerechtigkeit halber mußte Troy zugeben, daß sein Chef überhaupt nicht gut aussah.

  »Sind Sie in Ordnung, Sir?«

  »So lala. Habe nicht allzu gut geschlafen.«

  »Ist es denn die Möglichkeit?« Ausgeruht wie er nun mal war, brachte Troy seinem Boß kein echtes Mitgefühl entgegen. Er gehörte zu der Sorte Mensch, die - mit Ausnahme von randalierendem Nachwuchs - immer und überall schlafen konnten. Zum wiederholten Mal trat er vor die Vergrößerung und verkündete: »Ich habe nachgedacht.«

  Eine Fähigkeit, die Troy nur selten nutzte. Seiner Ansicht nach überhitzte man wie ein altersschwaches Auto, wenn man zuviel nachdachte. Er beobachtete, er hörte zu, er machte Notizen. Er war ungeheuer akkurat und konnte sich gelegentlich auf seine Intuition verlassen. Ausgedehnte Introspektion und durchdachte Theorien bürdete er sich nicht auf.

  »Also«, sagte Barnaby und wartete.

  »Dieser Tim, sehen Sie doch, wo der gesessen hat.« Der Chief Inspektor brauchte dieser Aufforderung nicht zu folgen. Die einzelnen Positionen kannte er auswendig. »Kniete genau zu Craigies Füßen.«

  »Und?«

  »Und jetzt sehen Sie mal, wo das Gamelin-Mädchen war. Links von Craigie. Die drei bildeten ein spitzwinkliges Dreieck. Tim mußte nur aufspringen und sich drehen, und schon stand er beiden gegenüber - richtig?« Barnaby stimmte zu. »Ich denke, daß er genau das getan hat. Und hat im Halbdunkel und während all des Durcheinanders, das die alte Kleekuh auf dem Boden auslöste, die falsche Person erstochen.«

  »Wollen Sie damit andeuten, daß er versuchte, Sylvia Gamelin zu ermorden? Aus welchem Grund denn?«

  »Nach allem, was wir gehört haben, hat er den alten Obi zutiefst verehrt. Dieser Mann war seine Sonne, sein Mond, seine Sterne und seine Rettung. Aber was hat der Junge als Gegenleistung dafür zu bieten? Hundertprozentige Ergebenheit, oder? Nun, die kriegt man auch von einem Hund, stimmt’s? Plötzlich tauchte dieses Mädchen auf, jung, hübsch, bei Sinnen, und sie ist drauf und dran, der Kommune ein stattliches Sümmchen zu überschreiben. Könnte Riley das nicht als Bedrohung empfunden haben? Vielleicht hat er sich eingebildet, sie erkaufe sich damit die Zuneigung des Meisters und verdränge ihn von seinem angestammten Platz?«

  Barnaby runzelte die Stirn. Troy fuhr fort: »Mag Ihnen und mir wie eine Überreaktion erscheinen, doch wir dürfen nicht vergessen, er ist nicht ganz wasserdicht. Er ist bestimmt nicht in der Lage, Vernunft walten zu lassen.«

  »Ist ein bißchen dünn, aber möglich. In einem Stadium extremer Eifersucht könnte er durchaus panisch reagieren und in der von Ihnen umrissenen Weise handeln.«

  Troy errötete und zupfte an seinen Manschetten. Das tat er immer, wenn er sich schämte oder freute. »Das würde zudem die heftige Reaktion auf den Tod erklären, Chief. Und warum er von einem Unfall redete.«

  »Mmm. Die ganzen emotionalen Beziehungen haben wir bislang noch gar nicht genauer unter die Lupe genommen, diese geschlossenen Gruppen sind manchmal wie Dampfkochtöpfe, allen voran spirituell ausgerichtete Gemeinschaften, wo offener Widerspruch nicht gern gesehen wird.« Falls Barnaby ungehalten klang, lag das daran, daß er Menschen, die den Anschein erweckten, Gütigkeit bereits mit der Muttermilch eingesogen zu haben, nicht ausstehen konnte. »Bei Führern mit stark ausgeprägtem Charisma ist es keine Seltenheit, ,daß ihm sowohl körperliche als auch emotionale Bewunderung entgegengebracht wird.«

  »Sie meinen, er machte die anderen fertig?«

  Barnaby zuckte zusammen. »Nicht unbedingt. Ich denke, ich versuche anzudeuten, daß wir - da wir ihm zu Lebzeiten nicht begegnet sind - nicht erfassen können, was für eine Persönlichkeit er war. Wie wissen nur das, was seine Anhänger über ihn sagen. Wie groß sein Einfluß gewesen ist, wissen wir nicht.«

  »Das stimmt. Tot hat er nicht viel hergegeben. Ich weiß allerdings immer noch nicht, ob...« Troy trat von dem Schaubild weg und setzte sich an den Schreibtisch. »Meinen Sie, daß er jemanden vielleicht falsch beeinflußt hat?«

  »Wäre immerhin möglich.« In Wahrheit wußte Barnaby nicht, was er meinte. Er dachte einfach laut nach. Spielte Ideen durch, verwarf sie, baute andere Theorien auf. Spekulierte über unsichtbare Verbindungen und kam vielleicht vom Weg ab. In jüngeren Jahren hatte ihm dieses Stadium einer Ermittlung in einem Mordfall am meisten zugesetzt. Diese fürchterliche Ungewißheit. Daß alles Auslegungssache war. Man stürzte sich auf eine Unterhaltung hier, ein unterstelltes Motiv da, ein Indiz (das griffig war und bewiesen werden konnte), nur um dann bei genauerer Betrachtung mit ansehen zu müssen, wie sich alle zusammengeschusterten Theorien in Luft auflösten.

  Jeder Rückschlag steigerte seine Anspannung. An so einem Punkt spürte er (und das entsprang nicht immer seiner Einbildung), wie man von ihm enttäuscht war. Und er spürte zunehmenden Druck von seiten seiner Vorgesetzten. Nie konnte er jenen ersten Fall vergessen, den er gelöst hatte. Seine Freude darüber war bald dem beunruhigenden Gefühl gewichen, daß das Ergebnis mitnichten seinen Deduktionsfähigkeiten zuzuschreiben war, sondern daß er vor allem Glück gehabt und Zähigkeit bewiesen hatte. Und daß sich so ein Erfolg vielleicht nie mehr wiederholte.

  Inzwischen kam er mit der Ambiguität besser zurecht und besaß genug Selbstvertrauen, um nicht in Panik zu geraten. Jetzt vertraute er darauf, daß früher oder später eine neue Erkenntnis, eine hergestellte Verbindung oder ein Verdächtiger auftauchte, der sich unabsichtlich verplapperte. Das bedeutete nicht das Ende der Welt, wie er früher einmal angenommen hatte, sondern veranschaulichte nur, wie wenig er sich von seinen Mitmenschen unterschied.

  Im Moment war der ihm übertragene Fall gerade mal zwei Tage alt, und er wartete auf verschiedene Dinge. Vor allem auf den Obduktionsbericht und auf die Informationen aus dem Labor über die Fasern einer groben Schürze und der Geschirrtücher, die gestern aus Windhorse mitgenommen worden waren. Diese Faser machte ihm Kopfschmerzen. Da er weder ihre Herkunft kannte, noch wußte, wie sie dorthin gelangt war, konnte er auch nicht wissen, ob sie wichtig war. Vielleicht half sie ihm nicht weiter, vielleicht bedeutete sie den Durchbruch.

  Zusätzlich versuchte einer seiner Kollegen, den echten Christopher Wainwright aufzutreiben. George Bullard sollte sich telefonisch melden und ihn über Jim Carters Medikamente informieren. Es gab bestimmt noch ein paar Typenbeschreibungen im Computer, die auf Arthur Craigie paßten, aber Barnaby vertraute nicht darauf, daß Troy mit seiner Vermutung richtig lag, weil sie auf Gamelins vagem Gefühl und einer Perücke beruhte. Andrew Carters Geschichte wurde ebenfalls überprüft. Fatalerweise war sein Leben so unstet gewesen (falls er die Wahrheit gesagt hatte), daß das kein einfaches Unterfangen war. Barnaby hatte auch eine Kopie des Obduktionsberichts von Jim Carter erhalten und mußte erkennen, daß eine Wiedereröffnung dieses Falls sich als problematisch erweisen würde. Zum Zeitpunkt seines Todes hatten sich alle Kommunenmitglieder an einem anderen Ort aufgehalten. Dennoch durften weder der Brief noch das belauschte Gespräch ignoriert werden. Trixie Channig war nicht im Computer; also mußte ein Foto von ihr vervielfältigt und verteilt werden, was Zeit beanspruchte. Im Gegensatz zu Andrew Carter war Barnaby nicht im geringsten davon überzeugt, daß »etwas Schreckliches« eingetreten war, nur weil das Mädchen mitsamt seinen Habseligkeiten verschwunden war. Während des Verhörs hatte Trixie vor etwas Angst gehabt. Mittlerweile tat es Barnaby leid, sie nicht härter in die Zange genommen zu haben, um rauszukriegen, worum es sich dabei gehandelt hatte.