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  »In welcher Hinsicht, Miss Cuttle?«

  »Daß er auf wundersame Weise unsere Welt verlassen hat. Göttliche Intervention, verstehen Sie? Der Lohn für ein gerechtes und gutes Leben. Die Erleuchteten hatten den Wunsch, ihm weiteres Leid zu ersparen.«

  Was sollte er darauf erwidern? Barnaby dankte ihnen für ihren Besuch und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um sie zur Tür zu bringen. Miss Cuttle hob ihre Tasche auf, die Barnaby, den Türgriff in der Hand, anstarrte. May hielt mitten in der Bewegung inne und ließ dann die Hand sinken.

  »Was, um Himmels willen, ist denn, Inspector?«

  Barnaby fragte: »Könnte ich bitte einen Blick darauf werfen?« Er streckte die Hand aus. Spürte instinktiv, noch ehe sie ihm die Tasche aushändigte, daß er einen Treffer gelandet hatte. Wieder an seinem Schreibtisch, legte er die Tasche hin und bemerkte, wie seine Hände leicht zitterten. Die Tasche war üppig bestickt: Rosen, Lilien, kleinere blaue Blumen, die alle durch verschlungene lange Stiele miteinander verbunden waren. Farne bildeten den Hintergrund. Der Stoff war mit langen Griffen aus poliertem Holz zusammengefaßt. Die Form kam Barnaby bekannt vor. Joyce hatte auch so eine Tasche, in der sie ihr Strickzeug aufbewahrte. »Falls es Ihnen nichts ausmacht...?«

  Er nahm die Griffe auseinander. Verblüfft sagte May: »Bitte sehr.«

  Außen war der Stoff gänzlich bestickt. Ihn interessierte das Innere der Tasche. Sie war wunderschön verarbeitet. Die Enden der farbigen Stickereien waren ordentlich vernäht und abgeschnitten. Der Saum war eingefaßt, aber das bißchen Stoff, das noch zu erkennen war, reichte, um seine Vermutung zu bestätigen. Mit Mays Erlaubnis schnitt er ein Stück davon ab, ehe er ihr die Tasche aushändigte. Inzwischen hatten Arno und May wieder Platz genommen.

  »Am Abend von Craigies Ermordung«, fragte der Chief Inspector, »wo ist da die Tasche gewesen? Wissen Sie das noch?«

  »Ich hatte sie bei mir.«

  Barnabys Magen machte einen Satz. »Die ganze Zeit über?«

  »Sicherlich ab dem Zeitpunkt, wo ich die Rückführung antrat. Lassen Sie es mich Ihnen erklären - als ich den Solar betrat, nachdem ich meine Reinigung beendet hatte, legte ich meine Tasche neben die Tür und nahm daraufhin meine übliche Position ein. Kaum hatte ich es mir bequem gemacht, merkte ich, daß ich leicht fröstelte. Nun, während einer Rückführung begibt man sich schnell auf das, was wir das Alphale-vel nennen. Die Temperatur sinkt, die Haut kühlt aus. Wenn man dann friert, wird es ziemlich ungemütlich. Daher bat ich um mein Cape, und Christopher stand auf und holte meine Tasche.«

  »Und er brachte sie Ihnen gleich?«

  »Ja, er zog das Cape heraus und reichte mir die Tasche. Ich legte sie auf den Boden, na, eigentlich neben mich, legte das Cape um, und dann begannen wir.«

  »Kam jemand anderer in Berührung mit der Tasche?«

  »Nein.«

  »Doch, das muß so gewesen sein.« Barnaby sprach halb zu sich selbst.

  »Ich kann Ihnen versichern, daß dem nicht so war.«

  »Und was war, als Sie sie neben die Tür legten?«

  »Ich war die letzte Person, die den Raum betrat. Keiner kam in ihre Nähe.«

  »Hatten Sie sie den ganzen Tag über bei sich?«

  »Nun... ab und zu, ja. Wie das eben so ist. Am Vormittag lag sie in meinem Zimmer.«

  Das war nicht von Interesse. Das Messer konnte jederzeit hineingelegt worden sein, wenngleich der gesunde Menschenverstand diktierte, daß so etwas in der allerletzten Minute getan wurde, um zu verhindern, daß der Gegenstand entdeckt wurde. Jeder hätte Mays Tasche öffnen können. Und das hatte auch jemand getan. Andrew Carter. War es denn möglich, daß er in dem dunklen Raum keinen Blick auf den Inhalt geworfen « hatte?

  »Erinnern Sie sich, was sonst noch in Ihrer Tasche gewesen ist, Miss Cuttle? Einmal abgesehen von dem Cape?«

  »Meine Notfallmedizin natürlich. Ohne die mache ich keinen Schritt. Kristalle - ein grüner Aventurin, ein kleiner Pyrit und ein Schneeflockenobsidian. Ein Tierkreiszeichenkalender, ein Pendel - der übliche Krimskrams. Im Augenblick herrscht - wie ich befürchte - etwas Unordnung. Ich mußte mit der Tasche auf einen Reporter eindreschen, um ihn von unserem Grundstück zu vertreiben.«

  Barnabys Hochstimmung verflüchtigte sich schnell. Er würde das Stoffstückchen ins Labor schicken, hätte aber jetzt schon schwören können, daß es mit der Faser am Messergriff übereinstimmte, was nichts daran änderte, daß er den Eindruck hatte, daß diese Gewißheit eher zur Verwirrung denn zur Klärung beitrug. Er malte sich aus, wie alle zu der am Boden liegenden Gestalt in extremis stürzten. Wie der Mörder sich die Tasche schnappte, nach dem Messer suchte, zurück zum Podest rannte, Craigie erstach, sich wieder zu den anderen gesellte. Die ganze Sache konnte verrückter nicht sein. Erst jetzt registrierte er, daß Arno sprach.

  »Entschuldigung, Mr. Gibbs?«

  »Ich sagte, es gab noch eine andere Tasche.«

  »Eine andere Tasche?«

  »Sicher«, rief May. »Die war mir ganz entfallen. Ich habe Suhami eine gemacht, als Geburtstagsgeschenk. Weil ihr meine so sehr gefallen hat.«

  »Und Sie haben denselben Stoff verwendet?«

  »Nicht genau denselben. Aber von der gleichen Bahn. Ich hatte noch etwas übrig, müssen Sie wissen.«

  »Ich nehme nicht an«, es kostete Barnaby einige Mühe, nicht laut zu werden, »daß einem von Ihnen aufgefallen ist, ob sie sie mit in den Solar gebracht hat?«

  »Doch, das hat sie«, meinte Arno. »Hat sie neben ihre Füße gelegt.«

  »Auf das Podest?«

  »Ja.«

  »Aaahhh.«

  »Sie wollte sie nicht weglegen«, erklärte May. »Mochte sie so gern. Ist Ihnen das eine Hilfe, Inspector?« Barnaby bestätigte dies nachdrücklich. »Sie haben einen Frosch im Hals«, bemerkte May gutmütig. Die polierten Griffe der Tasche gingen auseinander. »Darf ich Ihnen ein Salbeihustenbonbon anbieten?«

Es war vier Uhr nachmittags. Barnaby wartete darauf, daß Troy von Manor House zurückkehrte, wo er Sylvia Gamelin verhörte. Der Inspector stand vor seiner Vergrößerung und sah sie vor seinem geistigen Auge rechts von Craigies Stuhl stehen, die Tasche zu ihren Füßen, das Messer darin versteckt.

  Wußte sie, daß es drin war, oder nicht? May hatte ausgesagt, Suhami habe ihr Geschenk nicht weglegen wollen, aber diese Form von Übertreibung war beileibe keine Seltenheit. Sätze wie »Wenn ich noch einen Bissen zu mir nehme, platze ich« oder »Wir sind ja so von Ihnen angetan« durften nicht wortwörtlich genommen werden. Zweifellos hatte Suhami ihre Tasche tagsüber irgendwann einmal - oder sogar öfter - weggelegt oder sie zumindest aus den Augen gelassen.

  Auf der anderen Seite, wenn sie nicht gewußt hatte, daß das Messer darin war... Das Mädchen hatte genau an der richtigen Stelle gestanden, um mit dem Messer zuzustoßen. Nur ein einziger Schritt nach vorn, eine Drehung, und schon stand sie dem Opfer direkt gegenüber. Was, wenn alle anderen weggegangen waren und den altersschwachen Mann mit einer kräftigen jungen Frau allein zurückgelassen hatten? Ja, was dann? Hatte sie überhaupt ein Motiv?

  Barnaby schlenderte zu seinem Schreibtisch zurück, blätterte die Unterlagen und Fotos durch und fischte ihre Aussage heraus. Im Grunde genommen kannte er sie auswendig, wie alle anderen auch. Er erinnerte sich an ihr zorniges Geschrei, ihre aufgebrachten, gegen den Vater gerichteten Beschuldigungen. Barnaby war kein Mann, der sich leicht irreführen ließ - schon gar nicht von Tränen -, doch die Echtheit ihres Gefühlsausbruchs zweifelte er nicht an.

  Er las weiter. Wie alle anderen war sie schnell bereit gewesen zu erwähnen, daß der Sterbende auf Gamelin gedeutet hatte. Des weiteren hatte ihr viel daran gelegen herauszustellen, daß ihr Vater die Gelegenheit gehabt hatte, Messer und Handschuh an sich zu nehmen. Aber wer hatte ihn allein in der Küche gelassen? Und falls er das Messer genommen und es versteckt hatte, warum hätte er dann das Risiko eingehen und es später in ihre Tasche schieben sollen? Er hätte sich nicht sicher sein können, daß sie sie zur Rückführung mitnehmen würde.