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  Je länger Janet über den Text nachdachte, desto klarer sah sie alles. Bei Hedda, die ohne Zweifel Ausländerin war, handelte es sich bestimmt um ein Au-pair-Mädchen, das gegangen war und mit dem Trixie nicht ausgekommen war. Nun, wo sie weg war, war es in Ordnung, wieder heimzukehren.

  Erst nach diesen Überlegungen fiel es Janet wie Schuppen von den Augen, wie dumm sie war. Trixie war vor dem Eintreffen des Briefes verschwunden. Die beiden Dinge hatten also nichts miteinander zu tun.

  Gerade als sie das Papier zusammenknüllen wollte, kam ihr eine andere Idee. In einer Hinsicht hatte sich nichts geändert. V konnte wissen, wo Trixie sich aufhielt, auch wenn er sie nicht beherbergte. Als nächstes würde sie das Postamt in Slough an-rufen und nach der genauen Adresse fragen.

  Janet stand auf. Nachdem sie eine Entscheidung gefällt hatte, ging es ihr gleich besser. Zu ihrer Überraschung verspürte sie Hunger. Sie nahm eine Orange aus ihrer Obstschale und verließ das Zimmer, um zu telefonieren.

»Wo ist der Indy?«

  »Ich sitze drauf.«

  »Gott, bist du gemein!«

  In der Ecke von Barnabys Küche klapperte und schleuderte und hüpfte die Waschmaschine. Jedes Mal, wenn Cully daheim war, war das Ding ohne Unterbrechung, den ganzen Tag lang, in Betrieb. Der Geruch von gebratenem Speck und Kaffee vermischte sich mit dem Duft von Sommerjasmin, von dem ein großes Büschel über dem offenstehenden Fenster hing. Die Nacht war lau gewesen, und die Luft war schwer. Kein Lüftchen regte sich.

  »Es ist ja nicht so, als ob du die Zeitung lesen würdest. Du denkst nur über deinen Fall nach. Ist es nicht so, Ma?«

  »Ja.« Joyce drehte den Speck mit einem Messer um.

  »Und... wer ist es?«

  »Wer ist was?«

  »Der Mann mit dem schwarzen Hut.«

  »Keine Ahnung.«

  »Puh. Drei volle Tage, und du weißt es nicht.«

  »Nimm dich in acht«, riet ihre Mutter. »Er ist groß, aber schnell.«

  »Das hört sich recht verrückt an, dieses Windhorse. Tanzen sie da nackt unter dem Vollmond? Ich könnte wetten, daß sie es alle miteinander treiben. Im Kloster tun sie das.«

  »Eine Kommune ist kein Kloster.«

  »Was für einen Unterschied macht das? Was tragen sie? Weite Kittel und selbstgestrickte Unterhosen?«

  »Mehr oder weniger.«

  »Ich bezweifle, daß man weniger tragen kann«, verkündete Joyce.

  Der Toaster spuckte das geröstete Brot aus. Joyce stand auf, und Cully raffte die weichen Falten ihres Morgenmantels zusammen (der heute aus blaßgraumarmorierter Seide war). Der Mantel war viel zu lang. Sie hatte ihn in einem Secondhand-shop in Windsor gefunden und sich auf der Stelle in ihn verliebt, weil sie sich - wie sie behauptete - darin wie Anna Karenina vorkam. Joyce prophezeite, daß sie irgendwann über den Saum stolpern und sich verletzen würde. Cully zog die Toastscheiben heraus und beäugte die Bratpfanne.

  »Schalt ab! Schalt ab!« Sie griff nach dem Messer, nahm den Speck heraus und schnappte sich einen Teller.

  »Ich will ihn knusprig.«

  »Er ist längst knusprig.« Mit zwei Tüchern von der Haushaltsrolle tupfte sie die Speckscheiben ab. »Noch knuspriger, dann zerbröseln sie.«

  »Was machst du denn jetzt schon wieder?«

  »Ich bewahre ihn vor einem Herzinfarkt.« Cully stellte den Teller vor Barnaby und reichte ihm den Toast. Der Speck war perfekt. Dann setzte sie sich auf ihren Stuhl und sagte: »Erzähl mir mehr über deine Verdächtigen.«

  »Wieso denn?«

  »Durchaus möglich, daß ich eines Tages so eine Ökotussi spielen muß.«

  »Ah.« Natürlich die Schauspielerei. Am Ende lief es immer darauf hinaus. »Nun, es gibt da jemanden, der Geister herbeirufen kann und dessen Gattin die Venus besucht, wenn sie nicht gerade Feen abkommandiert, die beim Abwasch helfen sollen -«

  »Ich wünschte, die würden mir jemanden schicken«, meinte Joyce.

  »Und dann lebt da eine Frau, die Auras deutet. Ach ja, um meine macht sie sich große Sorgen, auch wenn das hier keiner tut. Rät mir, meine schlechte Laune abzureagieren.«

  »Wie können die Leute nur an einen solchen Mist glauben?«

  »Tunnelvision«, erläuterte Cully. »Stimmt das nicht?«

  »Ist mir alles ein großes Rätsel«, verriet Barnaby, der keine Veranlassung sah, in der Welt etwas anderes zu sehen, als das, was sie war. Würde er sie als etwas anderes sehen, könnte er seiner Arbeit nicht gerecht werden.

  »All diese Kulte laufen doch auf dasselbe hinaus. Man muß nur jeden und alles, was dem eigenen Glauben widerspricht, ausschalten. Solange man dazu fähig ist, funktioniert es. Ich wette, die besitzen weder Radio noch Fernsehen.« Barnaby gab zu, daß dem so war. »Ist aber gefährlich, so isoliert zu leben. Bricht irgendwann die wahre Welt über einen herein, ist man am Boden zerstört. Friede unserer just verstorbenen Klostervorsteherin.«

  »Oh, hör auf, hier eine Aufführung zu geben«, meinte Joyce, immer noch erzürnt wegen des Specks. Mit ihrer Kaffeetasse in der Hand setzte sie sich an den Küchentisch. »Dann hat also eines dieser spirituellen Wesen einen Mord begangen.«

  »Vielleicht zwei.«

  »Ach?« Sie gab zuviel Zucker in den Kaffee, rührte ihn aber nicht um. »Du spielst doch nicht etwa auf den Mann an, der die Treppe hinuntergepurzelt ist?«

  Barnaby hörte auf zu essen. »Was weißt du denn darüber?«

  »Ann hat mir davon erzählt. Wir haben uns auf einen Kaffee getroffen, kurz nach dem Unfall. Jedermann war überzeugt, daß er eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Und die Dorfbewohner waren außerordentlich unzufrieden mit dem Ergebnis der gerichtlichen Untersuchung.«

  »Wieso, zum Teufel, hast du mir nicht -«

  »Ich habe dir noch am selben Abend davon berichtet.«

  »Ich kann mich nicht erin -«

  »Ich erzähle dir immer, was ich tagsüber erlebe. Du hörst einfach nicht zu.«

  Unbehagliches Schweigen breitete sich aus. Cully grinste ihren Vater an und sagte: »Dieser große weiße Häuptling - der, der erstochen wurde? War er einer von diesen charismatischen Typen?«

  »Definitiv.« Barnaby atmete tief durch in dem Wunsch, seine Irritation abzuschütteln. »Silberne Mähne, zungenfertig. Scheint jeden verzaubert zu haben.«

  »Die Römer hingen der Überzeugung an, daß ein guter Rhetoriker von Natur aus auch ein guter Mensch ist.«

  »Hah.« Er verschluckte sich und stellte die Teetasse ab. »Bei Craigie haben sie sich da allerdings getäuscht. Er war ein Betrüger, seit Jahren.« Kurz fragte sich der Chief Inspector, wie es die Kommunenmitglieder aufnehmen würden, wenn sie von der Vergangenheit ihres geliebten Gurus erfuhren. Die vom Glauben Geblendeten würden ihre Blindheit zweifelsohne nicht mal angesichts der unwiderlegbaren Beweise ablegen. Gott wußte, daß es im Lauf der Geschichte für solch ein Verhalten viele Beispiele gegeben hatte.

  »Muß mich auf den Weg machen. Ich hole Gavin ab. Maureen bringt die Kleine ins Krankenhaus und braucht daher den Wagen. Keine Frage, daß ich mir heute den lieben langen Tag jede Menge langweiliger Schilderungen von Talisa Leannes Entwicklung anhören darf.«

  »Talisa Leanne.« Cully brach in höhnisches Gelächter aus.

  »Du warst genauso«, sagte Joyce mit einem Lächeln.

  »Ich?«

  »Hast Schnappschüsse von Cully mit dir rumgetragen und sie Fremden gezeigt.«

  »Unsinn.« Seiner Tochter einen Blick zuwerfend, zwinkerte er. Als wäre das ihr Stichwort gewesen, schlüpfte Cully in die Rolle einer glamourösen, kamerahungrigen Schauspielerin. Mit offenem Mund und heftig mit den Lidern klappernd, stützte sie das Kinn auf den Handrücken.