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  Janet blieb zögernd stehen, während Menschen an ihr vorbeigingen, Autohupen ertönten, Auspuffabgase in ihre Lungen strömten. Sollte sie das Tuch zurückbringen? Würde das Geschäft sich darauf einlassen, ihr das Geld zurückzugeben? Handelte sie so, bedeutete das, daß sie mit leeren Händen auftauchte, und ihr lag sehr viel daran, ihrer Freundin eine Freude zu machen. Ich hätte, dachte Janet mit später Reue, etwas kaufen sollen, was wirklich nützlich ist. Etwas zu essen. Oder etwas zu trinken.

  Auf der anderen Seite war ein Marks and Spencer. Mit derselben Unüberlegtheit und Spontanität, mit der sie Xerxes betreten hatte, schloß sie sich einer Gruppe Fußgänger an, die die Straße überquerte, und fand sich einen Augenblick später in der Lebensmittelabteilung wieder.

  Es war lange her, daß sie bei Marks and Spencer eingekauft hatte. Insofern waren die gefüllten Regale wie eine Offenbarung für sie. Sie beugte sich über die Gefrierkühltruhe, hielt die heißen Wangen in die aufsteigende Kälte und griff nach einer von funkelnden Eiskristallen überzogenen Schachtel. American Fudge Pie. Dazu wählte sie einen Topf Zitroneneiscreme. Danach begab sie sich zu den Fertiggerichten, wählte knusprige Pekingente, Won-Ton-Krabben, Filetsteak mit grünen Pfefferkörnern und Lachs in Blätterteig aus. In den Einkaufswagen legte sie echten Kaffee, double cream, einen runden, in Weinblätter gehüllten Kräuterkäse und Marmelade von wilden Erdbeeren. Eine große Schachtel belgische Schokoladentäfelchen. Natürlich Brot (flaches italienisches Ciabatta), ungesalzene Butter, Spargel. An der Obsttheke suchte sie zwei Mangos heraus, eine herrlich duftende Melone und eine Staude Muscat-Trauben. Dabei fiel ihr Blick auf den Blumenkohclass="underline" schneeweiße, dichtstehende Röschen, umgeben von knackigen grünen Blättern. Als sie an Arnos armselige Exemplare dachte, mußte sie einfach einen nehmen. Und sie brauchte Champagner.

  Während sie all die Sachen auf das Rollband legte, dämmerte ihr, daß es sinnvoller gewesen wäre, einen Korb mitzunehmen. Sie hatte eine Menge Sachen ausgewählt, von denen einige ganz schön schwer waren. Da die Möglichkeit bestand, größere und festere Einkaufstüten zu kaufen als diejenigen, die der Laden umsonst ausgab, nahm sie ein paar davon und legte sie ebenfalls aufs Rollband. Die Rechnung für ihre Einkäufe belief sich auf vierundfünfzig Pfund und siebzehn Pence.

  Aus dem klimatisierten Geschäft zu treten kam einem Schock gleich. Auf dem glühenden Asphalt stellte Janet ihre Tragetaschen ab und bemühte sich, den enervierenden Verkehr nicht zu beachten. Sie warf einen Blick auf ihre Straßenkarte, um sich neu zu orientieren, wandte sich schließlich an eine Frau mit einem Sportwagen und zeigte ihr die Adresse.

  »Geradeaus, und dann müssen Sie in die Caley Street einbiegen.« Sie beäugte Janets Tüten. »Ist ’ne ganz ordentliche Strecke.«

  »Ach - wirklich?«

  »Gute zwanzig Minuten. Ich würde einen Bus nehmen.« Mit dem Kinn zeigte sie auf eine Warteschlange in der Nähe. »Siebenundfünfzig.«

  Im Bus Nr. 57 fand Janet keinen Sitzplatz, konnte ihre Tragetaschen aber wenigstens gleich neben dem Ausgang abstellen. Die schwarzweiße Schachtel in der einen Hand haltend, umklammerte sie mit der anderen den Haltegriff über ihrem Kopf. An der vierten Haltestelle stieg die Hälfte der Fahrgäste aus. Der Schaffner rief: »Sie müssen hier raus«, und reichte ihr die Taschen.

  Janet stieg die Stufen hinunter, schaute sich einigermaßen bestürzt um, drehte den Kopf und fragte: »Sind Sie sicher, daß ich hier richtig bin?« Bedauerlicherweise war der Bus schon abgefahren.

  Sie stand vor einem großen, mit Müll übersäten Areal, um das sich sechs riesige schlackefarbene Hochhaustürme gruppierten. Ein Junge rollte auf einem Skateboard an ihr vorbei. Sie hielt ihn am Arm fest und fragte: »Waterhouse?«

  Er rief: »Können Sie nicht lesen?«, und zeigte mit dem Daumen über die Schulter.

  Ein Holzschild mit orangefarbenen und weißen Buchstaben, deren Farbe abblätterte, und gestrichelten Linien, die für überdachte Gehwege standen, verrieten ihr den Lageplan des Areals. Offenbar war Waterhouse der hinterste Wohnblock. Sie hob ihre Taschen hoch und lief los.

  Nach ein paar Minuten war vom geschäftigen Straßenverkehr kaum mehr was zu hören. Betroffen registrierte sie, wie sich die Atmosphäre veränderte. Bedrückend. Seltsam leer war die Gegend. Die Leere kam ihr komisch vor, zumal sie sich von mehreren hundert Menschen - nur ein paar Schritte entfernt und hoch oben in den Wolken - umgeben fühlte, von denen sie keinen sah. Janet blickte nach oben. Kein Zeichen menschlichen Lebens. Trotz des schönen Wetters saß niemand auf dem Balkon, was vielleicht daran lag, daß überall Wäsche hing und somit kein Platz mehr war. Niemand schaute aus dem Fenster. Janet erinnerte sich, daß sich die anderen Fußgänger schlagartig in Luft aufgelöst hatten. Die ganze Situation mutete gespenstisch an.

  Sie kam an zwei Metallmülleimern vorbei, die größer waren als sie, gräßlich stanken und von summenden Fliegen umzingelt waren. Neben ihnen befand sich ein Durchgang. Leise, verunsichert und darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, schritt sie hindurch. Die Wände waren mit Graffitis übersät. Ziemlich phantasielos wiesen sie die Fußgänger an, wohin sie gehen und was sie - einmal dort angekommen - tun sollten. Verschwitzt und nervös, aber glücklich erreichte Janet das andere Ende.

  Wieder ins Freie tretend, bekam sie erneut einen Schock. Dort draußen wartete eine Gruppe Motorradfahrer auf sie. Die vorderste Maschine war ein großes, schwarzglänzendes Ding, eher eine Waffe als einem Transportmittel vergleichbar. Alle Motorräder waren mit hohen Stangen ausgerüstet, an denen Fahnen flatterten.

  Janet hielt inne. Ihr Herz machte einen Satz. Die Jungs musterten sie hartherzig. Einer stimmte ein Wolfsgeheul an, woraufhin die anderen aus vollem Hals ihre Zustimmung brüllten. Aus schierer Verzweiflung spielte Janet mit dem Gedanken, sie zu fragen, wo Waterhouse lag, beschloß aber, einfach weiterzugehen. Schließlich war es ja nicht so, als ob einer von ihnen ihr den Weg versperrte. Nach ein paar Schritten ertönte ohrenbetäubender Lärm. Vor Schreck ließ Janet die schwarzweiße Schachtel fallen. Die Jungs bogen sich vor Lachen auf ihren Sitzen.

  Endlich am Ziel, trat sie unter ein Betonvordach und stellte ihre Tüten ab. Dahinter befanden sich vier schäbige, numerierte Türen. Wenn es vier Wohnungen pro Stockwerk gab, hieß das, daß V in der fünften Etage lag. Sie drückte auf den Fahrstuhlknopf, wartete und drückte noch ein paar Mal. Mit ihrer Geduld am Ende, hörte sie plötzlich rechts ein Geräusch. Ein junges Mädchen in hautengen Jeans und spitzen weißen Stöckelschuhen schleppte ein Baby in einem Kinderwagen die Treppe hinunter. Ein Kleinkind lief ihr weinend hinterher und hatte Angst, zurückgelassen zu werden. Das Mädchen sprach Janet an.

  »Sie werden noch an Weihnachten hier stehen.«

  »Wie bitte?«

  »Funktioniert nicht, oder?« Sie zog den kleinen Jungen hinter sich her, verdrehte ihm den Arm und hob ihn die letzten beiden Stufen hinunter. »Komm endlich...« Sie klang vollkommen entnervt. »Beweg dich, verdammt noch mal...«

  Sie entfernte sich. Janet rief: »Wissen Sie, ob die Leute aus Nr. 17 daheim sind?« Der kleine Junge heulte laut auf. Das Mädchen antwortete ihr nicht.

  Janet ging zum Treppenabsatz und warf einen Blick nach oben. Acht Stufen, ein Absatz, dann wieder acht Stufen. Kein Problem. Schließlich hatte sie es ja nicht eilig. Gott sei Dank war sie nicht vom Zentrum zu Fuß hierhergelaufen. Sich einigermaßen frisch fühlend, begann sie, die Stufen hinaufzusteigen.

  Auf dem ersten Absatz mußte sie eine Pause einlegen, um ihre Einkäufe neu zu ordnen. Die Champagnerflasche schlug ihr seitlich gegen das Knie. Sie drehte die Tüte um, atmete tief durch und kämpfte sich die nächsten beiden Stockwerke hoch.