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  Auf halber Strecke verfing sich die Sohle ihrer Sandalette unter einem Seitenvorsprung. Beinahe hätte sie den Halt verloren und wäre hingefallen. Danach war sie auf der Hut, hob die Füße höher als nötig, beanspruchte ihre Wadenmuskeln stärker als zuvor.

  Keuchend legte sie eine weitere Pause ein. Ihre Schulterblätter schmerzten. Janet fiel auf, wie sich auf der schwarzweißen Geschenkhülle ein feuchter Fleck ausbreitete. Sie nahm die Schachtel, die auf der Eiscreme gelegen hatte, aus der Tüte. Nicht in der Verfassung, ihre Einkäufe erneut neu zu verteilen, quetschte Janet die Schachtel unter den Arm und stieg weiter die Treppen hoch.

  Bei der nächsten Verschnaufpause litt sie unter solchem Seitenstechen, daß sie den Rückenschmerzen gar keine Beachtung mehr schenkte. Ihre Schultern waren steif, ihre Beine zitterten wie Espenlaub. Der Oberarm, der die Schachtel an ihren Körper preßte, pulsierte. Schweiß tropfte ihr in die Augen.

  Gerade, als sie die Tüten erneut abstellen wollte, fiel ihr Blick auf den Boden, auf dem zermatschte Chips, fettiges Papier, eine von Fliegen übersäte Hühnerbrust, ein Kothaufen lagen. Irgendwie gelang es ihr, sich weitere acht Stufen hochzuschleppen. Sie setzte sich auf die letzte Stufe, legte den dröhnenden Kopf auf die Knie, kämpfte tapfer gegen die Tränen an.

  So saß sie lange in dem Wissen da, daß sie nicht weiter konnte, jedenfalls nicht mit den Tragetaschen. Vielleicht konnte sie die lästigen Dinger eine Weile lang in einer Nische verstecken. Nach der Begrüßung würde sie Trixie von den mitgebrachten Köstlichkeiten erzählen und zusammen mit ihr nach unten gehen, um sie zu holen. Ein Gedanke führte zum anderen, und schlagartig wurde ihr klar, daß sie mit hundertprozentiger Sicherheit davon ausgegangen war, Trixie anzutreffen - mit oder ohne diesem geheimnisvollen »V«. Sie stellte sich vor, wie sie zu dritt lachend zusammensaßen, die Won-Ton-Krabben aßen und blubbernden Champagner aus schlanken, langstieligen Gläsern tranken. Voller Vorfreude schaute sie sich nach einem Versteck um.

  Die Eingangstüren der vier Wohnungen zu ihrer Linken gingen auf einen schmalen, offenen Gang hinaus, der von einer ein Meter hohen Backsteinbrüstung eingefaßt war. Janet legte die Schachtel auf die Brüstung, während sie die Tragetaschen in die Ecke stopfte. Plötzlich streckte ein deutscher Schäferhund seinen Kopf aus einem nur wenige Zentimeter entfernten Fenster, knurrte feindselig und fletschte die Zähne. Panisch sprang Janet beiseite und schubste die Schachtel hinunter.

  Aufschreiend streckte sie die Hände aus. Ihre Finger berührten noch kurz das Geschenkband, doch dann war die Schachtel weg, fiel langsam, beinah schwerelos nach unten und drehte sich dabei um die eigene Achse. Ihr Schrei veranlaßte die Motorradfahrer, denen sie vorhin begegnet war, die Köpfe zu heben. Sie beobachtete, wie sie sich in Bewegung setzten, sich der Stelle näherten, wo die Schachtel vermutlich aufschlug. Mit ihren bunten Kappen, ihren quadratischen Körpern und den dünnen Beinen glichen sie einem Schwarm angreifender Insekten.

  Janet wandte sich ab und stieg die nächsten Stufen hoch. Daß sie sich nun am Treppengeländer festhalten konnte, freute sie. Ehe sie die vierte Etage erreichte, waren all ihre Einkaufstüten verschwunden. Im fünften Stockwerk angekommen, starteten die Jungs ihre Motorräder, fuhren zwischen den aufgestellten Betonpfosten herum und spritzten Erde in die Luft. An ihren Stangen mit den unechten Fuchsschwänzen und Flaggen, auf denen Tod und Verwüstung propagiert wurden, flatterte unter anderem auch Janets teures Seidentuch.

Trixie ließ sich auf das schmale Bett fallen und preßte sich an das knochige Rückgrat ihres Geliebten. Sie hatten miteinander geschlafen, sich ausgeruht, wieder miteinander geschlafen und sich danach abermals ausgeruht. Sie empfand freudige Erregung, er Dankbarkeit und Glück, fürchtete aber"immer noch, daß alles nur ein Traum war. Daß seine Frau zurückkehrte.

  Sie hatte Trixie und ihn schon einmal vor sechs Monaten erwischt. Hatte Victor im Badezimmer eingeschlossen, Trixie vermöbelt und sie hinterher blutend und von blauen Flecken überzogen zur Haustür rausgescheucht. Eins müßte man der guten Hedda lassen: Sie war eine kräftige Frau.

  Trixie war zu ihrer Schwester nach Hornchurch geflüchtet und hatte dort in einem Buchladen ein Poster von Golden Windhorse gesehen. Ihrer Anstellung als Boutiqueverkäuferin weinte sie nicht nach, Victor hingegen schon. Wiederholt rief sie bei ihm zu Hause an und legte auf, wenn Hedda daheim war, bis sie ihn eines Tages allein erwischte. Nachdem sie ihm die Adresse ihres Unterschlupfes genannt hatte, erklärte er sich bereit, ein Postfach zu mieten. Fortan schrieben sie sich Briefe, telefonierten manchmal aufgeregt. Aus Feigheit wagte sie es nicht, sich ihm zu nähern, und stellte im Lauf der Zeit fest, wie ähnlich er ihr in dieser Hinsicht war.

  Jetzt drückte sie ihm einen Kuß auf sein kleines zierliches Ohr und sah, wie sein weicher Mund lächelte, als spüre er ihre Gegenwart im Schlaf. Die Luft im Zimmer war abgestanden. Ein paar Aluminiumbehälter vom Mumtaz Takeway standen auf dem Tisch und einige leere Dosen Ruddles Bitter. Vergangenen Abend hatten sie Heddas Abgang gefeiert. Sie war zu einem Profi-Wrestler nach Stamford Hill gezogen. Da all ihre Sachen weg waren, meinte sie es bestimmt ernst, was nichts an Vs Nervosität änderte.

  Trixie machte sich keine Sorgen mehr. Glücklich war sie in die Wohnung getaumelt, hatte ihren Geliebten geküßt, selbstbewußt gelacht. Nach ihrem dritten Bier verkündete sie: »Was würdest du sagen, wenn ich dir erzählte, daß ich jemanden umgebracht habe?« Victor lachte. »Du, hübsches Kätzchen?« Und zog sie auf seinen Schoß. Trixie ließ sich von ihm streicheln, lachte insgeheim über seine Ungläubigkeit und schwor sich, Hedda davon zu erzählen, falls sie zurückkam. Sie wird an meinem Gesicht ablesen können, daß ich die Wahrheit sage, dachte sie, und uns fortan in Ruhe lassen.

  Als auf dem offenen Gang Schritte ertönten, schlug Victor die Augen auf und wurde unruhig. Trixie, deren Herz etwas schneller schlug, sagte: »Ist schon in Ordnung... sei still...«

  Sie schlang die Arme um ihn und kuschelte sich zu ihm unter die Federdecke. Die beiden Liebenden bewegten sich nicht. Die Leichtigkeit der Schritte verriet ihnen, daß dort draußen nicht Hedda lauerte. Vielleicht jemand vom Amt. Ein Schnüffler, der ihnen Schwierigkeiten machen wollte. Der Briefkastendeckel klapperte. Trixie unterdrückte einen Lacher, stopfte sich einen Lakenzipfel in den Mund. Victor flüsterte: »Schhhh...« Reglos und schwer atmend harrten sie im Bett aus. Wieder flüsterte Victor: »Was werden wir tun?«

  »Nichts. Mach dir keine Sorgen. Die Person draußen wird schon wieder verschwinden.«

  Und nach einer ganzen Weile und einer Menge Geklopfe war dem auch so.

13

Die abendliche Gruppenmeditation auf der Terrasse erwies sich als Fehlschlag. Alle hatten sich auf Kissen, die auf den von Thymian eingefaßten Pflastersteinen lagen, niedergelassen und sich isoliert verdrießlichen Gedanken gewidmet. Nach der gemeinsamen Meditation führten sie niedergeschlagen eine Diskussion über die Beisetzung des Meisters. Einhellige Meinung war, sie solle sobald als möglich stattfinden. Suhami bekannte, wie unangenehm ihr die Vorstellung war, daß seine körperliche Hülle in einem Metallsarg unter dunkler Erde vergraben lag. Ihrer Meinung nach sollte er auf einem hohen Katafalk, vielleicht sogar am Strand, unter einer warmen Sonne zur letzten Ruhe gebettet werden. Die Kommunenmitglieder hatten sich auf eine Verbrennung anstatt einer traditionellen Beerdigung geeinigt.

  »Das entspräche auch seiner eigenen Vorstellung«, meinte May. »Schließlich war er ein Geist der Luft und des Lichts. SoZusagen Blowing in the wind.«

  »War eine tolle Platte«, sagte Ken.