»Ich denke, Sie wissen«, mischte sich Barnaby ein, »daß - soweit es den Mord an Craigie betrifft - Mr. Gamelins Besuch nicht von Bedeutung war.«
Verblüffung unterschiedlichen Ausmaßes spiegelte sich auf den Gesichtern seiner Zuhörer. Nur May, die davon ausging, daß die Polizei sich endlich ihrer Art zu denken angeschlossen hatte, nickte ernst. Mit ineinander verschränkten Fingern neigte sich Suhami vor.
»Wollen Sie sagen... denken Sie etwa, er war nicht für den Tod verantwortlich?«
»Daran besteht nicht der geringste Zweifel, Miss Gamelin. Er war definitiv nicht verantwortlich, sondern hielt sich unglücklicherweise zur falschen Zeit am falschen Ort auf.«
»War dann Tim auch sein Mörder?« fragte Heather. »Ist er wahnsinnig geworden?«
»Ganz und gar unmöglich«, entgegnete Arno. »Er war dem Meister vollkommen ergeben. Ihr habt doch mitbekommen, wie sehr er gelitten hat.«
»Solche Leute können sich verändern«, gab Ken zu bedenken. »Und wenden sich dann gegen die, die sie lieben. Wie Hunde.«
»Er war kein Hund!« rief May.
»Vielleicht war es Trixie?« warf Andrew ein. »Könnte das der Grund sein, warum sie weggelaufen ist?«
»Was für ein Motiv sollte Trixie haben?« fragte Ken und richtete sich dann an Barnaby. »Sie hätten mich darüber aufklären müssen, daß Sie nicht von Gamelins Schuld überzeugt waren. Dann hätte ich Hilarión für Sie gechannelt.«
»Wollen Sie behaupten, Inspector, daß mein Treuhandfonds kein Motiv gewesen ist?«
»Daß die ganze Sache ein Unfall war?«
»O nein, Mrs. Beavers, der Mord an Arthur Craigie wurde ganz bewußt, aber aus opportunistischen Gründen verübt. Damit meine ich, daß er geplant war bis zu einem gewissen Punkt und dann, als die Dinge eine andere Wendung nahmen, impulsiv und spontan ausgeführt wurde.«
Er stand auf und vermittelte - ohne ein Wort darüber zu verlieren - den anderen den Eindruck, er müsse sich die Beine vertreten, doch in Wirklichkeit konnte er nicht länger stillsitzen. Troy beobachtete ihn. Die Vorgehensweise seines Chefs stellte er nicht in Frage, spürte jedoch eine gewisse Anspannung. Der Chief Inspector bewegte sich auf dünnem Eis. Ahnungen, Rückschlüsse, Vermutungen, ein gewisses Maß an Hintergrundinformationen, aber kein einziger Beweis. Hielt die fragliche Partei den Mund...
»Eine der wichtigsten Komponenten«, begann der Chief Inspector, »bei einem Mordfall - mit Ausnahme eines zufälligen Opfers - ist der Charakter des Opfers. Was für eine Mann oder Frau war die Person? Was trieb sie an? Die Antwort findet man nur, indem man die Leute befragt, die die Person kannten. In diesem Fall vertraten alle eine einhellige Meinung. Mit einer Ausnahme: Guy Gamelin weigerte sich, das Bild eines fast heiligen Mannes zu zeichnen, dem ausschließlich das Wohlergehen seiner Mitmenschen am Herzen lag. Und selbst er räumte ein, daß Craigie ihn im Verlauf des Gesprächs relativ stark beeindruckt hatte. Kurz gesagt, der Meister wurde von allen geliebt. - Was an Mr. Craigie wirklich interessant war, war die Tatsache, daß ich nichts über ihn herausfinden konnte, soviel Mühe ich mir auch gab. Falls ich es richtig verstanden habe, hat er sich vor ein paar Jahren in einen großen Seher verwandelt. Nun, das ist mehr als eigenartig. In diesen von Computern beherrschten Zeiten ist es nicht gerade einfach, nirgendwo registriert zu sein. Hat man irgendwann einmal Steuern oder Sozialversicherungen bezahlt, einen Wagen, ein Haus oder ein Bankkonto besessen, ist das irgendwo vermerkt. Nicht so bei Arthur Craigie.«
»Er hatte ein Bankkonto«, verteidigte ihn Ken. »In Causton.«
»Windhorse hatte ein Bankkonto, Mr. Beavers. Das ist nicht dasselbe. Um die eigene Spur so gründlich zu verwischen«, fuhr Barnaby fort, »muß man mit Bedacht Vorgehen und sich gut auskennen.«
»Ich verstehe nicht, in welche Richtung Ihre Ausführungen gehen, Chief Inspector«, sagte Ken.
»Einen Menschen anzuschwärzen, der sich nicht verteidigen kann, ist nicht nett«, meinte Heather und schaute sich überrascht um, als Suhami auflachte.
»Einer der Gründe, wieso es uns so schwerfiel, ihn ausfindig zu machen, ist der, daß Craigie ein Pseudonym war. Eins von vielen, seit er vor zwei Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, wo er fünf von sieben Jahren Haft wegen Betrugs abgesessen hatte. Um ehrlich zu sein, Miss Gamelin, ihr Vater lag nicht falsch mit seiner Einschätzung von Craigie, als er ihn als Betrüger bezeichnete.«
»Das ist ja das allerletzte!« Am ganzen Leib zitternd, sprang May auf. So wütend hatten die anderen sie noch nie erlebt. »Sein Astralkörper strahlte. War in blaues Licht getaucht. So was kann niemand vortäuschen.«
»Ich bin sicher, Sie irren sich, Inspector«, sagte Suhami. Auch sie schien sehr bewegt zu sein und kurz vor einem Tränenausbruch zu stehen. »Sie haben wahrscheinlich alles mögliche überprüft, aber irgendwo muß es eine Verwechslung gegeben haben. Sie täuschen sich garantiert.«
»Denkt mal nach«, meldete Ken sich zu Wort. »Ich nehme an, daß jemand, der bei einer Sache wie Betrug erfolgreich ist, sehr überzeugend sein muß. Sonst funktioniert es nicht.«
Heather nickte. Offenbar hatten die beiden schlagartig vergessen, wo ihr Platz war. Arno vergaß, wie benommen Alkohol und Tabletten ihn machten, und schüttelte heftig den Kopf, als er mitbekam, wie die Beavers das sinkende Schiff verließen. Das Kopfschütteln bereute er auf der Stelle, weil er sich einen Augenblick lang so fühlte, als ob ihm der Kopf abgefallen wäre.
»Möchten Sie damit sagen, daß jemand aus seiner Vergangenheit hier eingebrochen ist«, fragte Heather, »und ihn angegriffen hat?«
»Das ist doch kompletter Unsinn«, entgegnete Andrew. »Die einzigen Menschen, die bei seinem Tod anwesend waren, sind wir gewesen.«
»In der Tat«, pflichtete Barnaby bei. »Wenngleich ich meine, daß Mrs. Beavers nicht ganz falschliegt, wenn sie denkt, daß jemand aus seiner Vergangenheit anwesend war. Und seine Vergangenheit ist auch für seinen Tod verantwortlich. Andererseits hänge ich der Überzeugung an, daß Craigie nicht sterben mußte, weil er ein Betrüger war, sondern weil er kein Betrüger war.«
»Ich wußte es!« rief May triumphierend. »Die Aura lügt nie.«
»Nun begreife ich gar nichts mehr«, gestand Andrew. »Sie haben uns doch gerade verklickert, er sei ein Betrüger gewesen.«
»Lassen Sie mich das erklären. Nachdem ich von seiner Vergangenheit erfahren hatte, wertete ich den Kauf von Manor House als Hauptbestandteil eines großangelegten Schwindels. Das Geld für den Kauf stammte, wie ich annahm, von dem anderen Betrug. Aber als ich mir die Unterlagen zu Windhorse ansah, stellte ich nicht nur fest, daß die finanziellen Angelegenheiten einwandfrei geregelt waren, sondern daß hier eine altruistische Lebensweise praktiziert wurde. Bedürftigen wurde finanziell unter die Arme gegriffen, manchmal sogar denen, die es nicht ganz so dringend nötig hatten. Die Menschen, die hierherkamen, um sich heilen zu lassen oder sich einer Therapie zu unterziehen, mußten nicht eine festgelegte Summe bezahlen, sondern durften so viel geben, wie sie ihrem eigenen Ermessen nach erübrigen konnten. Jeden Monat wurde eine Summe unterschiedlicher Höhe an wohltätige Organisationen überwiesen. Und dennoch... irgendwas lief hier ab. Wir haben Jim Carters Brief, der das beweist. Heute abend, durch Mr. Gibbs Aussage, wissen wir, was er gesagt hat: >Ich werde dir das nicht erlauben. Ich werde allen verraten, was ich weiß.< Der Brief, den Mr. Carter kurz vor seinem Tod geschrieben hat, drückt - wenn Sie mich fragen - große Besorgnis aus. Jetzt, wo wir wissen, wie er gestorben ist, interpretiere ich ihn anders. Die ausgesprochene Bedrohung - und ich werte die beiden Sätze als Bedrohung - bleibt jedoch. Was wußte Jim Carter, was beabsichtigte Craigie zu unternehmen? Was ist so wichtig und ruft solch eine heftige Reaktion hervor? - Die Schlußfolgerung, die sich aus der ersten Hälfte der Frage ableitet, liegt auf der Hand. Jim Carter wußte über die Vergangenheit Bescheid. Die zweite Hälfte der Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Ich hoffte, es würde sich als hilfreich erweisen, wenn ich mehr über Carter herausfände. Zusammen mit dem Sergeant habe ich mich in seinem Zimmer umgesehen, und obgleich seine Kleider und Habseligkeiten nicht mehr vorhanden waren, habe ich zwei Dinge herausgefunden, die meiner Einschätzung nach von Interesse sind.«