Er legte eine Pause ein. Troy, der ganz hinten an der Wand stand, nickte kaum wahrnehmbar und zollte damit der Persönlichkeit seines Bosses und dessen narrativen Fähigkeiten unbewußt Respekt. Niemand bewegte sich. Keiner blinzelte.
Die Menschen im Raum hatten nur Augen und Ohren für Barnaby.
»Ein Gegenstand, der meine Neugierde weckte,'war eine leere Schuhschachtel, in der früher einmal sehr teure italienische Slipper aufbewahrt worden waren. Sehr ungewöhnlich für einen Mann, der sich ansonsten so wenig den weltlichen Dingen widmete. Eine kleine Abweichung von der Norm und - wie ich meine - höchst interessant. Dann waren da noch die Bücher. Auf den ersten Blick genau von der Sorte, wie man es erwartet hatte. Alle antiquarisch - nichts Besonderes, nicht jeder kann sich neue Bücher leisten. Die ausgezeichneten Preise waren dezimal. Nun hat uns aber Jims Neffe berichtet, sein Onkel habe sein ganzes Leben lang spirituelle Literatur gelesen, und doch war keines der Bücher vor 1971 angeschafft worden. Unsere Fachleute haben sogar herausgefunden, daß keins der Bücher vor 1990 gekauft wurde. Alle Bücher, insgesamt fast sechshundert Bände, stammen aus mehreren Second-hand-Buchläden in Slough und Uxbridge.«
»Die Bücher meines Onkels wurden möglicherweise woanders aufbewahrt«, warf Andrew ein. »Vielleicht unten in der Bibliothek.«
»Aber Sie haben uns erklärt, daß Sie die Bücher in seinem Zimmer erkannt haben, Mr. Carter. Und wie sehr ihr Anblick Ihnen zugesetzt hat.«
»Möchten Sie damit andeuten, sie wurden gekauft, um diese Wirkung zu erzielen?« fragte Ken.
»Ganz genau«, sagte Barnaby, der der Schauspielgruppe seiner Frau oft genug geholfen hatte, einen Spannungsbogen zu erzeugen, um zu wissen, wovon er sprach. »Wirklich eigenartig an diesen umfangreichen Ankäufen ist, daß sie in zwei Fällen von Carter und nicht von Craigie abgeholt und bezahlt worden sind.«
»Von Jim?« May verstand die Welt nicht mehr. »Hei warum sollte er denn so etwas tun?«
»Möglicherweise kann sein Neffe uns das sagen?«
»Ich hab keine Ahnung.« Andrew zuckte mit den Schultern, gestikulierte verständnislos. »Es sei denn, man hätte ihn überredet, seine Bücher der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.«
»Oh, ich denke nicht, daß Ihr Onkel so leicht zu überreden war. Wenn Sie mich fragen, dann war es genau anders herum.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Chief Inspector, aber ich weiß ganz genau, daß ich hier nicht sitzen und zuhören werde, wie Sie ihn mit Schmutz bewerfen.« Er rutschte vom Tisch und war schon auf halbem Weg zur Tür, als Barnaby weitersprach.
»Warum haben Sie Ihr Haar gefärbt, Mr. Carter?«
»Das haben wir doch alles schon in Ihrem Büro durchgekaut. Ich wollte verhindern, daß mich jemand mit meinem Onkel in Verbindung bringt.«
»Die Ähnlichkeit war gering. Mir ist sie überhaupt nicht aufgefallen.«
»Ich dachte, es gäbe sie - in Ordnung? Und beschloß, mich vorzusehen. Großer Gott - vor drei Tagen bin ich knapp dem Tode entgangen, und heute hat mich ein Wahnsinniger mit einem Radkreuz angefallen. Man möchte annehmen, daß man mir Verständnis und Anteilnahme entgegenbringt. Doch weit gefehlt.«
»Ganz blond auf dem Foto, nicht wahr? Fast weiß - sehr eindrucksvoll. Jeder, der Sie als Kind kannte, wie beispielsweise Craigie, hätte Sie nach all den Jahren mühelos erkannt.«
»Als Kind...« Andrew blickte sich um, lud die anderen ein, seine Empörung zu teilen.
»Wie alt waren Sie? Acht, neun? Als sie zusammen arbeiteten?« Jetzt schüttelte Andrew den Kopf - wie ein Mensch, der mit etwas konfrontiert wird, das er absolut nicht fassen kann. »Ich würde sagen, das war der Hauptgrund, warum Sie dagegen waren, daß die Polizei nach dem Tod Ihres Onkels gerufen wurde. Nicht weil die Menschen hier etwas spitzkriegen konnten, sondern aus Angst vor dem, was wir in Erfahrung bringen könnten.«
»Das ist absoluter Quatsch.«
»Ich stimme Andrew Zu«, sagte May. »Beim ersten Treffen, das ich besuchte, stand Jim auf dem Podest und sprach darüber, wie die Begegnung mit dem Meister sein Leben verändert hat. Aus diesem Grund habe ich mich der Kommune angeschlossen. So sehr hat mich seine Schilderung bewegt.«
»Diesen Trick, Miss Cuttle, kriegen Sie auf jedem Jahrmarkt vorgeführt. Ein Betrüger verkauft irgendeinen Mist, und ein anderer in der Menge ruft, daß dieser Mist sein Leben verändert hat. Sagen Sie mir - fanden Sie das Leben auf Windhorse kurz nach Ihrem Eintreffen nicht etwas teuer?«
Der abrupte Themenwechsel schien May zu irritieren. »Ich fürchte, ich muß dem zustimmen. Man ist an mich herangetreten und hat mich gebeten, eine höhere Gebühr für meine Kurse zu verlangen, als mir persönlich recht war. Arno... du bist kurz nach mir hierhergezogen, ich weiß nicht, wie du...?«
»Ja. Ich entsinne mich, im Schaufenster eines Reisebüros eine Notiz entdeckt zu haben, kurz nachdem ich mein erstes Wochenende gebucht hatte. Für die gleiche Summe hätte ich gut und gerne eine Woche nach Spanien reisen können. Damit möchte ich nicht sagen, daß das Wochenende nicht jeden Penny wert gewesen ist.« Er warf May einen Blick von der Seite zu, errötete und wackelte nervös mit den Zehen, zumindest mit den fünfen, die er noch bewegen konnte.
»Das war doch nur so, bis sich Windhorse einigermaßen etabliert hatte?« fragte Heather. »Ein Jahr später, als wir hier auftauchten, waren die Preise schon vernünftig.«
»Ansonsten hätten wir gar nicht bleiben können«, erläuterte Ken.
»Ich glaube nicht, daß es um die Etablierung von Windhorse ging. Ich denke, daß ursprünglich geplant war, den Leuten soviel Geld wie nur irgend möglich aus der Tasche zu ziehen«, meinte Barnaby.
»Und was ist dann schiefgelaufen?« fragte Ken und schob hastig nach, »oder besser gesagt, richtig gelaufen?'«
»Meine Meinung ist - und das ist keine Seltenheit, obgleich es eigenartig anmutet, wenn der Kriminelle schon lange seinem Handwerk nachgeht -, daß Craigie eine Veränderung durchmachte. Das könnte an der Literatur gelegen haben, die er las, an seinen Meditationen, an der Begegnung mit den vielen Menschen, die sich ernsthaft darum bemühten, ein spirituelles Leben zu führen. Ich spreche nicht von einem abrupten Sinneswandel, sondern eher von einer langsamen Verwandlung, was der Echtheit dieser Verwandlung allerdings nicht widerspricht. Mit anderen Worten, der Mann wurde zu dem, was er zu sein vorgab.«
»Ich wußte es«, seufzte May erleichtert. »Er hätte sonst nicht so lehren können, wie er es tat -«
»Oder sich so um uns kümmern können«, warf Suhami ein.
»Und dann ist da noch Tim gewesen«, gab Arno zu bedenken. »Er reagierte ganz emotional auf Menschen. Er begriff, wie sie wirklich waren. In dieser Hinsicht war er wie ein Kind, und Kinder lassen sich nicht an der Nase herumführen.«
Auf diese Bemerkung ging Barnaby nicht weiter ein. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt zu betonen, wie leicht Kinder sich zum Narren halten ließen. Er fuhr fort: »Irgendwann wurde Craigie krank. Und begriff später, daß er niemals wieder gesund würde. Diese Erkenntnis führte zu - wie ich vermute - der Erwähnung von »etwas Schrecklichem«, wie Carter sich im Brief an seinen Neffen ausgedrückt hat. Das Wort Treuhandvermögen wollte mir von Anfang an einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wieso dem so war, wußte ich lange Zeit nicht zu sagen. Ich wußte alles, was es über Miss Gamelins Erbe zu wissen gab und in welcher Beziehung es zu diesem Fall stand. Schließlich erinnerte ich mich an Ihr erstes Verhör, Mr. Gibbs, und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Hier ging es nicht um einen, sondern um zwei Treuhandfonds.«