Zum Glück sollte diese ermüdende Arbeit nicht von Dauer sein. Nach Zurücklegung der ersten Meile erreichte man eine durch das Gebüsch verlaufende weite Oeffnung, welche in schräger Richtung an dem Bache endigte und dann dessen Ufer folgte. Es war das die Spur von Elefanten, welche, jedenfalls zu Hunderten, durch diesen Theil des Waldes zu ziehen pflegten. Große, von den Füßen der ungeheuren Pachydermen eingedrückte Löcher verwandelten den Boden, der von der Regenzeit durchweicht war und den seine schwammige Natur hierzu sehr geeignet machte, fast zu einem Siebe.
Bald zeigte es sich, daß diese Furth durch den Wald jenen gewaltigen Thieren nicht allein gedient habe. Hier waren auch menschliche Wesen mehr als einmal gewandert, aber so, als hätten sie große Heerden mit allen grausamen Mitteln nach dem Schlachthause geschleppt. Da und dort bleichten Knochen auf dem Boden, die Reste der von wilden Thieren halb abgenagten Skelete, von denen einige noch durch Sklavenfesseln gekennzeichnet waren.
Hier im centralen Afrika giebt es lange Wegstrecken, welche in dieser Weise von den Resten menschlicher Körper eingefaßt sind. Die Sklaven-Karawanen durchziehen oft Hunderte von Meilen und wieviel Unglückliche brechen dabei unterwegs von der Peitsche der Agenten, getödtet durch Hunger und Entbehrungen aller Art oder decimirt durch Krankheiten, zusammen!
»Geht Dir’s besser, mein Herz?« (S. 262.)
Wieviel werden daneben noch von den Sklavenhändlern selbst getödtet, wenn an Lebensmitteln Mangel eintritt! Ja, wenn man sie nicht mehr ernähren kann, tödtet man sie einfach durch Flintenschüsse, Säbelhiebe und Messerstiche, und solche Metzeleien sind nicht einmal sehr selten!
Auf diesem Wege waren also, wie gesagt, Sklaven-Karawanen dahingezogen. Eine Meile weit stießen Dick Sand und seine Begleiter bei jedem Schritte auf solche verstreute Gebeine, wobei sie große Ziegenmelker verjagten, die sich bei ihrer Annäherung schwerfälligen Fluges erhoben und kreischend über ihnen hinflatterten.
Mrs. Weldon sah mit offenen Augen doch so gut wie nichts. Dick Sand fürchtete immer eine Frage von ihrer Seite, denn er mochte nicht gern die Hoffnung aufgeben, sie bis zur Küste zurückzuführen, ohne ihr davon Mittheilung zu machen, daß Harris’ Verrath sie in eine Provinz Afrikas verlockt habe. Zum Glück suchte Mrs. Weldon gar nicht nach einer Erklärung dessen, was sie sah. Sie wollte nur ihr Kind wieder haben, und der kleine Jack, welcher jetzt im süßen Schlummer lag, erfüllte ihre Gedanken ganz allein. Nan ging neben ihr her und weder die Eine noch die Andere stellte an den jungen Leichtmatrosen eine jener Fragen, welche er so sehr fürchtete. Der alte Tom wanderte mit niedergeschlagenen Augen dahin, denn er wußte recht wohl, warum so viele menschliche Gebeine längs der Seiten dieser Lücke im Holze lagen.
Seine Gefährten blickten erstaunt nach links und rechts, als durchschritten sie einen Friedhof ohne Grenzen, dessen Gräber eine Erdrevolution aufgebrochen und umgestürzt hatte; aber sie zogen in dumpfem Schweigen weiter.
Dann und wann vertiefte und erweiterte sich wohl das Bett des Baches. Dick Sand hoffte schon, daß er bald schiffbar werden würde. Er zauderte auch gar nicht, den freien Weg zu verlassen, wenn er sich, vielleicht eine geradere Linie bildend, von dem Wasserlaufe entfernte.
Die kleine Gesellschaft drang also noch einmal in das dichte Buschwerk ein. Mit Hilfe der Axt mußte man sich den Weg mitten durch Lianen und unentwirrbar verästeltes Gesträuch bahnen. Wenn aber diese Pflanzen auch den Boden bedeckten, so drängte sich doch nicht mehr der Urwald bis an das Ufer des Baches heran. Die Bäume wurden allmälig seltener. Ueber die Gräser stiegen nur schlanke Bambusstengel, und zwar so weit in die Höhe, daß sie nicht einmal Herkules mehr mit dem Kopfe überragte. Der Zug der kleinen Gesellschaft verrieth sich jetzt nur durch das Schwanken jenes Bambusrohres.
Nachmittags gegen drei Uhr desselben Tages veränderte sich die Natur des Bodens sichtlich. Es zeigten sich lange ausgedehnte Ebenen, welche zur Regenzeit vollständig überschwemmt sein mochten; der in noch höherem Grade sumpfige Boden war mit üppigem Grase bedeckt, welches reizende Farren überragten. Bildete er hie oder da einen steileren Abhang, so sah man den braunen Hämatit, offenbar die Ausläufer eines reichen Lagers dieses Minerals, zu Tage treten.
Da erinnerte sich Dick Sand zu rechter Zeit, was er in Livingstone’s Reisen gelesen hatte. Mehr als einmal blieb der muthige Doctor in diesem Sumpfboden mit den Füßen stecken.
»Gebt wohl Acht, meine Freunde, sagte er also, indem er sich an die Spitze des Zuges begab. Prüft den Boden, bevor Ihr ihn betretet!
– Wahrhaftig, meinte der alte Tom, es sieht so aus, als wäre dieses Terrain vom Regen tüchtig durchweicht, und doch ist in den letzten Tagen kaum ein Tropfen gefallen.
– Nein, antwortete Bat, aber ein Unwetter ist nicht mehr weit.
– Ein fernerer Grund, bemerkte Dick Sand, daß wir uns beeilen, über diese Sümpfe hinauszukommen, ehe es ausbricht! – Herkules, nehmt den kleinen Jack auf den Arm. Ihr, Bat und Austin, haltet Euch in der Nähe Mistreß Weldon’s, um sie im Nothfalle unterstützen zu können. – Sie, Herr Benedict – ja, was machen Sie denn, Herr Benedict?…
– Ich versinke!«…. erwiderte einfach Vetter Benedict, der langsam verschwand, als hätte sich eine Falle unter seinen Füßen geöffnet.
Der arme Mann war wirklich in eine Aushöhlung gerathen, und verschwand bis zum halben Leibe in zähschleimigem Schlamme. Man reichte ihm die Hand und er arbeitete sich wieder aus seiner Versenkung heraus, bedeckt zwar mit Schlamm, doch entzückt, daß seine Entomologen-Trommel dabei keinen Schaden genommen hatte. Acteon ward an seine Seite beordert, um jedem neuen Unfall des unglückseligen Kurzsichtigen vorzubeugen.
Vetter Benedict hatte gerade mit dem Loche, in welches er versank, eine sehr schlechte Wahl getroffen. Als man ihn aus dem breiigen Moraste herauszog, stiegen eine große Menge Blasen herauf, welche beim Zerplatzen ein sehr übelriechendes Gas entweichen ließen. Livingstone, der in solchem Moraste wiederholt bis an die Brust versunken war, verglich dieses Terrain mit einem großen, aus schwarzer, poröser Erde gebildeten Schwamme, aus dem der Eindruck des Fußes überall kleine Wasserfäden hervorlocke. Diese Wege waren stets sehr gefährlich.
Wohl eine halbe Meile weit mußten Dick Sand und seine Gefährten auf diesem schwammigen Boden hinziehen. Es ging sogar so weit, daß sie zuweilen Halt zu machen gezwungen waren, da auch Mrs. Weldon bis halb an’s Knie in den Schlamm versank Herkules, Bat und Austin wollten ihr alle weiteren Unannehmlichkeiten und Mühsale eines Weges durch diese sumpfige Ebene ersparen und fertigten eine Tragbahre aus Bambusrohr, auf welcher sie Platz nehmen mußte. Den kleinen Jack nahm sie dabei in die Arme und man befleißigte sich nun, aus diesem pestilentialischen Sumpfe baldmöglichst herauszukommen.
Der Schwierigkeiten gab es dabei genug. Acteon hielt Vetter Benedict mit kräftiger Hand fest. Tom unterstützte Nan, welche ohne seine Hilfe auch manchmal nahe daran war, einzusinken. Den Anderen voraus sondirte Dick Sand das Terrain. Die Wahl jedes Plätzchens, auf das man die Füße setzen konnte, machte ihm nicht wenig Mühe. Er mußte meist auf dem Uferrand hinwandern, den ein dichtes, zähes Gras bedeckte; oft fehlte auch hier jeder Stützpunkt und man sank bis an’s Knie in den Schlamm ein.