Gleich darauf führte man Alvez die vier Amerikaner vor.
Dick Sand näherte sich langsam; er wollte sich von dieser Scene nichts entgehen lassen.
Jose-Antonio Alvez’ Gesicht nahm einen wohlzufriedenen Ausdruck an, als er die gutgewachsenen, kräftigen Neger erblickte, denen einige Ruhe in Verbindung mit etwas kräftiger Nahrung bald ihre natürliche Stärke wiedergeben mußte. Für den alten Tom hatte er freilich nur einen Blick der Geringschätzung. Das Alter verminderte ja seinen Verkaufswerth; die drei Anderen versprachen dagegen bei dem nächsten Lakoni von Kazonnde einen hohen Preis zu erzielen.
Alvez stöberte aus seiner Erinnerung auch einige englische Wörter auf, welche solche Agenten wie Harris ihm gelehrt haben mochten, und der alte Thor glaubte sich verpflichtet, seine neuen Sklaven ironischer Weise willkommen zu heißen.
Tom verstand des Sklavenhändlers Rede; er trat vor und sagte, indem er auf sich und seine Begleiter hinwies:
»Wir sind freie Männer und Bürger der Vereinigten Staaten!«
Alvez verstand ihn offenbar; er antwortete mit höhnischer Miene und verächtlichem Achselzucken:
»Ja… ja… Amerikaner! Nun, willkommen… willkommen!
– Willkommen!« fügte Coïmbra noch einmal hinzu.
Der Sohn des Commandanten von Bihe schritt auf Austin zu, prüfte ihn, wie der Kaufmann eine Waarenprobe, betastete ihm Brust und Schultern und wollte ihm endlich den Mund öffnen, um nach den Zähnen zu sehen.
In diesem Augenblicke erhielt aber Señor Coïmbra eine so wohlgezielte, kräftige Ohrfeige, wie sie kaum jemals dem Sohne eines Majors zu Theil geworden sein mochte.
Der Vertraute Alvez’ taumelte zehn Schritte rückwärts. Mehrere Soldaten stürzten auf Austin los, der in Gefahr kam, das Aufwallen seines Zornes theuer zu bezahlen.
Alvez hielt sie durch eine Handbewegung zurück. Er lachte sogar noch über das Mißgeschick seines Freundes Coïmbra, der von seinen noch vorhandenen fünf oder sechs Zähnen bei dieser Affaire zwei Stück eingebüßt hatte.
Jose-Antonio Alvez gab nicht zu, daß man den Werth seiner »Waare« verminderte; überdies war er ein lustiger Charakter und hatte seit langer Zeit nicht so herzlich gelacht.
Er tröstete wenigstens den ganz außer Fassung gebrachten Coïmbra, und dieser nahm, als man ihn wieder richtig auf die Füße gebracht, mit einer nicht mißzuverstehenden Drohung gegen den kecken Austin an der Seite des Sklavenhändlers seinen Platz wieder ein.
Da wurde Dick Sand, von einem Havildar escortirt, dem Alvez vorgeführt.
Offenbar wußte dieser schon, wer der junge Leichtmatrose war, woher er kam und wie man ihn am Ufer der Coanza gefangen hatte.
Nachdem er ihn mit listig-boshaften Blicken betrachtet, rief er in schlechtem Englisch:
»Aha, der kleine Yankee!
– Gewiß, Yankee! antwortete Dick Sand. Was soll nun hier mit mir und meinen Gefährten werden?
– Yankee! Yankee! Kleiner Yankee!« wiederholte Alvez.
Hatte er die an ihn gerichtete Frage nicht verstanden oder nur nicht verstehen wollen?
Dick Sand wiederholte auch seine Anfrage und wandte sich dabei gleichzeitig an Coïmbra, dessen Gesichtszüge, so sehr diese auch durch den Mißbrauch starker alkoholischer Getränke entstellt waren, es doch verriethen, daß er kein Eingeborner sei.
Coïmbra begnügte sich einfach, die früher an Austin gerichtete, drohende Handbewegung zu wiederholen, gab aber keine Antwort.
Inzwischen führte Alvez mit dem Araber Ibn Hamis ein lebhaftes Gespräch, dessen Inhalt offenbar die Angelegenheit Dick Sand’s und seiner Freunde berührte. Jedenfalls wollte man sie auch fernerhin gesondert halten, und wer konnte wissen, ob sich ihnen jemals wieder Gelegenheit bieten würde, einige Worte zu wechseln.
»Meine lieben Freunde, begann Dick Sand halblaut, als ob er nur mit sich selbst spräche, ich erhielt durch Dingo eine Nachricht von Herkules Er ist der Karawane nachgefolgt. Harris und Negoro führten damals Mistreß Weldon, Jack und Herrn Benedict davon. Wohin? – wenn sie nicht hier in Kazonnde sind, weiß es ich dann nicht. Geduld und Muth! Haltet Euch für jeden Augenblick bereit. Gott habe endlich Erbarmen mit uns!
– Und Nan? fragte der alte Tom.
– Nan ist todt!
– Die Erste!
– Und die Letzte!….. erwiderte Dick Sand, dafür wollen wir sorgen!…«
In diesem Augenblicke legte sich eine Hand auf seine Schulter und er hörte die, mit einem ihm wohlbekannten, freundlichen Tone gesprochenen Worte:
»Ah, wenn ich nicht irre, mein junger Freund. Sehr erfreut, Sie wiederzusehen!«
Dick Sand wandte sich um.
Harris stand vor ihm.
»Wo ist Mistreß Weldon? rief Dick Sand, dem Amerikaner näher rückend.
– O weh, antwortete Harris, der ein ihm gänzlich fernliegendes Mitgefühl erheuchelte, die arme Mutter! Wie hätte sie es erleben können…
– Todt! schrie Dick Sand. Und ihr Kind?
– Das arme Baby, fuhr Harris in dem nämlichen Tone fort, mußten es solche Strapazen nicht tödten?…«
Alles, was Dick Sand liebte, war also nicht mehr! Was geht da aber in ihm vor? Eine unwiderstehliche Erregung edlen Zornes und ein Bedürfniß nach Rache, das er um jeden Preis befriedigen mußte, erfüllen seine ganze Seele.
Dick Sand stürzt sich auf Harris, reißt ein Jagdmesser aus dem Gürtel des Amerikaners und gräbt es ihm in’s Herz.
»Verflucht!…« rief Harris zusammenbrechend.
Der schändliche Verräther war todt!
Zehntes Capitel.
Ein großer Markttag.
Dick Sand’s Bewegung war eine so schnelle gewesen, daß Niemand ihn aufzuhalten vermochte.
Dick Sand reißt ein Jagdmesser heraus und gräbt es ihm in’s Herz. (S. 335.)
Einige Eingeborne fielen über ihn her und hätten ihm auf der Stelle den Garaus gemacht, wenn nicht Negoro hinzugekommen wäre.
Eng gefesselt ward Dick Sand in eine fensterlose Baracke eingesperrt. (S. 338.)
Ein Zeichen des Portugiesen entfernte die Eingebornen, welche nun Harris’ Leichnam aufhoben und wegtrugen. Alvez und Coïmbra verlangten Dick Sand’s schnellste Hinrichtung, doch beschwichtigte sie Negoro mit der Versicherung, daß sie durch einiges Zuwarten nichts verlieren würden, und gab Befehl, den jungen Leichtmatrosen abzuführen, denselben aber nie einen Augenblick aus den Augen zu lassen.
Endlich also sah Dick Sand Negoro wieder, zum ersten Male, seitdem sie die Küste verließen. Er wußte, daß dieser Schurke allein die Katastrophe des »Pilgrim« verschuldete. Ihn mußte sein Haß noch schwerer treffen als dessen Spießgesellen. Und doch würdigte er Negoro, nachdem er den Amerikaner niedergestoßen, auch nicht eines Wortes.
Harris hatte gesagt, daß Mrs. Weldon und ihr Kind nicht mehr am Leben seien!…. Jetzt reizte nichts mehr sein Interesse, nicht einmal sein eigenes ihm bevorstehendes Schicksal.
Eng gefesselt, ward Dick Sand in eine fensterlose Baracke eingesperrt, in eine Art Kerker, in welchem der Sklavenhändler Alvez die wegen Rebellion oder anderer Vergehen zum Tode verurtheilten Sklaven verwahrte. Hier war ihm jede Verbindung mit der Außenwelt abgeschnitten, ohne daß das auch nur sein Bedauern erregte. Er hatte sie ja gerächt, die er liebte und die jetzt nicht mehr waren! Welch’ Loos ihn auch erwarten mochte – er war bereit zu Allem.