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Für Herrn Beck

Prolog – oder warum man an manchen Tagen besser im Bett geblieben wäre …

»Los, nun mach schon!« Leonie lächelt mich an. Aber es ist kein aufmunterndes Lächeln, so viel ist selbst mir klar. Es wirkt eher irgendwie … höhnisch. Okay, damit ist es wohl eher ein Grinsen. »Oder traust du dich etwa nicht?«

Ich muss trocken schlucken. »Klar traue ich mich. Also, ich meine, ich würde mich schon trauen, aber …«

»Was, aber?« Nun grinst nicht nur Leonie, sondern auch Emilia, Ruth und Helene sehen aus, als hätten sie gerade den Spaß ihres Lebens.

»Äh, ich meine, dass es sehr unklug wäre, in ein Geschäft hineinzuspazieren, das von schätzungsweise vier Kameras überwacht wird, und dort ein T-Shirt zu klauen. Die juristischen Probleme wären unvermeidlich.«

Jetzt reißt Leonie die Augen auf. »Die juristischen Probleme wären unvermeidlich? Was redest du da für einen Müll?« Sie dreht sich auf dem Absatz um und lässt mich einfach stehen. Die drei anderen folgen ihr.

Verdammt. So wird das nichts. Ich weiß einfach zu wenig darüber, was es wirklich bedeutet, ein Mensch zu sein. Geschweige denn ein Mädchen. Das hatte ich mir deutlich einfacher vorgestellt.

Hinterher ist man immer schlauer – aber wenn mir vorher jemand gesagt hätte, wie zickig meine neuen Mitschülerinnen sind, dann hätte ich mir nie und nimmer gewünscht, mit Kira zu tauschen. Dann wäre ich liebend gern der wunderschöne, schlaue und vielleicht ein bisschen verwöhnte Rassekater geblieben, der ich bis zu diesem verfluchten Gewitter war. Dann läge ich jetzt weiterhin auf meinem gemütlichen Sofa in der Hochallee und mein menschlicher Mitbewohner, Professor Werner Hagedorn, würde irgendetwas über Quantenphysik vorlesen. Oder über Schrödingers Katze und wie man mit der den Nobelpreis gewinnen kann. Für den fährt man dann nach Stockholm, kriegt sehr viel Geld und lernt den König von Schweden kennen. Was überhaupt mal wieder der Beweis dafür wäre, dass wir Katzen sehr wichtige Haustiere sind. Ach, was sage ich: die wichtigsten Tiere überhaupt! Aber statt auf meinem Sofa zu liegen, stehe ich hier und … bei meinen Ölsardinen, was für ein gigantomanischer Schlamassel! Aber jetzt der Reihe nach, damit hier alle noch mitkommen. Beginnen wir also mit dem Anfang, mit dem ersten Kapitel meiner unglaublichen Geschichte …

Eine Dose wird geöffnet.

Und das bleibt nicht die einzige böse Überraschung.

Was in aller Welt ist das? Es riecht seltsam und sieht noch seltsamer aus … aber es liegt in meinem Napf! Ich vermute also, dass ich es fressen soll. Ach du heiliges Katzenklo! Das muss ein Missverständnis sein. Und zwar ein großes. Ich werde das aufklären, sofort! Denn ich, der vornehme Hauskater Winston Churchill, werde keinesfalls etwas fressen, was meinem edlen Gaumen nicht bekommt. Noch dazu, wenn ich es gar nicht bestellt habe!

Missmutig trabe ich aus der Küche, um Olga zu suchen. Olga ist unsere Haushälterin und somit bestimmt verantwortlich für das Desaster in meinem Fressnapf. Normalerweise bekocht Olga mich und meinen Professor ganz vorzüglich, aber heute ist da offensichtlich etwas schiefgelaufen.

Ich werde mich also beschweren. Wenn ich Olga überhaupt finde, denn momentan fehlt von ihr jede Spur. Sie ist nicht im Wohnzimmer und nicht im Esszimmer, auch im Arbeitszimmer: Fehlanzeige. Komisch. Ich setze mich in die Mitte unseres langen Flurs und blicke abwechselnd mal in die eine, mal in die andere Richtung. In der Wohnung ist es ganz still. Wenn sie irgendwo wäre, müsste ich sie doch hören. Als Kater habe ich nämlich richtig gute Ohren.

Da! Ein leises Rascheln kommt aus dem Schlafzimmer! Sofort sause ich an das andere Ende des Flurs und schlüpfe durch die Tür, die einen Spalt geöffnet ist. Olga steht mit dem Rücken zu mir vor dem Kleiderschrank und sortiert Wäsche ein. Mit Schwung will ich mich an ihre Beine schmeißen, als ich eine Vollbremsung einlegen muss: Das sind gar nicht Olgas Beine! Vor mir steht eine mir völlig unbekannte Frau. MAUNZ! Wer ist das?

Die fremde Frau dreht sich zu mir um und schaut mich erstaunt an. Ich habe sie offenbar genauso überrascht wie sie mich. Sie bückt sich und will mir über den Kopf streicheln. Ich lege den Rückwärtsgang ein. Mit Fremden kuschele ich grundsätzlich nicht!

»Oh, wer bist du denn?«, will sie von mir wissen. Ihre Stimme hat den gleichen Klang wie die von Olga. Erstaunlich! Und auch sonst sieht ihr die Fremde ähnlich: schlanke Figur, lange blonde Haare, Pferdeschwanz. Etwas jünger vielleicht, aber da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich kann das Alter von Menschen nicht besonders gut schätzen. Wenn sie erst mal keine Kinder mehr sind und ihre endgültige Größe erreicht haben, sehen sie für mich alle ziemlich gleich alt aus.

Ich mache wieder einen Schritt auf die Frau zu und mustere sie. Sie lächelt mich freundlich an, als ob sie auf eine Antwort warten würde. Tja, wer bin ich? Wenn ich sprechen könnte, würde ich mich der Dame natürlich formvollendet vorstellen. Und ihr erzählen, dass ich Winston Churchill heiße, mich aber alle immer nur Winston nennen. Dass ich schon ziemlich lange hier bei Professor Werner Hagedorn in der vornehmen Hamburger Hochallee 106a lebe. Dass ich am liebsten auf dem gemütlichen Sofa im Wohnzimmer oder dem flauschigen Teppich vor dem Kamin liege. Dass meine Leibspeise frisch gekochtes Geflügelherz mit einem Hauch Petersilie ist. Und dass ich ein reiner Hauskater bin, also die Wohnung niemals verlasse. Schon gar nicht freiwillig, denn wenn ich vom Fenster die struppigen Katzen im Hof beobachte, dann graust es mich vor der ungemütlichen Welt da draußen.

Könnte ich sprechen, würde ich dieser fremden Frau vielleicht all das über mich erzählen. Oder zumindest einen Teil davon. Aber ich kann ja nicht sprechen und deswegen sage ich einfach nichts. Ist aber auch wurscht, denn die viel wichtigere Frage lautet doch: Wer ist die Frau? Und was macht sie hier?

Ich setze mich vor die Frau, maunze ein wenig und schlage mit dem Schwanz hin und her. Sie streckt noch einmal die Hand aus und krault mich hinter den Ohren. Ich lasse es geschehen und es fühlt sich sogar ziemlich gut an. Trotzdem: Könnt ihr Menschen euch nicht einmal richtig vorstellen? Man krault keine fremde Katze, der man sich noch nicht vorgestellt hat. Die meisten Menschen haben einfach kein Benehmen!

Die Tür zum Schlafzimmer schwingt auf und Olga kommt herein. Ich laufe zu ihr hinüber und begrüße sie stürmisch, indem ich meinen Kopf an ihren Beinen reibe und laut miaue.

»Hallo, Winston«, begrüßt sie mich lachend, »hast du mich vermisst? Ich war nur kurz draußen. Und ich sehe, dass du Anna schon kennengelernt hast.«

»Klar, wir sind gerade dabei, uns anzufreunden«, antwortet die fremde Frau, die offensichtlich Anna heißt. Wir freunden uns an? Na, das wüsste ich aber!

»Ach, das ist schön!« Olga lächelt. »Weißt du, Winston, ich hatte gehofft, dass du Anna magst. Anna ist nämlich meine Schwester.«

Donnerwetter – Olgas Schwester! Daher also die Ähnlichkeit! Wenn ich nicht so viele Haare im Gesicht hätte, würde ich jetzt überrascht gucken. So bleibt mir nur ein leises Miauen.

»Winston ist Professor Hagedorns Katze«, erklärt Olga ihrer Schwester. »Du musst dich also nicht nur um den Herrn Professor, sondern auch um seinen Kater kümmern.«

Anna nickt. »Das hat mir der Professor bereits erklärt. Ich habe Winston gleich etwas zu fressen gegeben.«

Ha! DIE war das! Ich schnaube laut – aber Anna und Olga bemerken es nicht, sondern unterhalten sich munter weiter.

»Du hast ihm schon etwas gegeben? Was denn?«

»Na, ich habe Katzenfutter gekauft. Eben, als ich das Waschmittel besorgt habe. Sie hatten einen ganzen Karton Dosenfutter im Angebot. Den habe ich gleich mitgenommen.«