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»Das lassen Sie doch nicht zu, oder, Colonel?« Leonards schien überzeugt davon zu sein, daß so etwas Unausdenkbares nie geschehen konnte.

»Ich bin mir nicht so sicher, Paul«, sagte Devall leise, bewußt den Vornamen des Jungen verwendend.

»Was, Sir?«

»Was Sie getan haben, ist offensichtlich etwas sehr Ernstes. Der Hohepriester beruft Ihretwegen eine Priesterversammlung ein. Morgen mittag wird man hier wieder erscheinen, um Sie zu holen, sagte er.«

»Aber Sie werden mich doch nicht übergeben, Sir! Schließlich war ich im Dienst. Ich hatte keine Ahnung von dem Verstoß, den ich beging. Das geht sie doch überhaupt nichts an!«

»Machen Sie denen das klar«, sagte Devall tonlos. »Es sind fremde Wesen. Sie verstehen die rechtlichen Begriffe der Erde nicht. Sie wollen von unseren Gesetzen nichts hören. Nach den ihrigen haben Sie eine Blasphemie begangen, und das muß bestraft werden. Auf Markin hält man sich an die Gesetze. Es handelt sich um eine ethisch hochstehende Gesellschaft, ohne Rücksicht darauf, daß man technologisch noch nicht weit fortgeschritten ist. Ethisch stehen die Wesen auf derselben Ebene wie wir.«

Leonards war leichenblaß geworden.

»Sie übergeben mich?«

Devall zuckte die Achseln.

»Das habe ich nicht gesagt. Aber betrachten Sie das von meinem Standpunkt aus. Ich bin Leiter einer kulturellen und militärischen Mission. Unsere Aufgabe besteht darin, unter diesen Leuten zu leben, ihre Lebensweise kennenzulernen, sie zu leiten, so gut wir das in der begrenzten Zeit hier können. Wir versuchen zumindest, so zu tun, als achteten wir ihre Rechte als Einzelpersonen und als Rasse, wissen Sie.

Nun, jetzt entscheidet es sich. Sind wir Freunde, die unter ihnen leben und ihnen helfen, oder sind wir Oberherren, die sie unter dem Daumen halten?«

»Sir, das würde ich für eine unzulässige Vereinfachung halten«, sagte Leonards zögernd.

»Mag sein. Aber der Fall liegt klar genug. Wenn wir ablehnen, heißt das, daß wir einen Abgrund von Überlegenheit zwischen der Erde und diesen Wesen aufreißen, trotz der großen Schau, die wir als angebliche Brüder aufgezogen haben. Und das wird sich auf andere Planeten verbreiten. Wir versuchen, uns wie Freunde zu gebärden, aber unser Verhalten im berühmten Fall Leonards zeigt uns in unserem wahren Licht. Wir sind arrogant, imperialistisch, herablassend und — verstehen Sie nun?«

»Sie wollen mich also übergeben«, sagte der junge Mann leise.

Devall schüttelte den Kopf.

»Ich weiß es nicht. Ich habe mich noch nicht entschieden. Wenn ich Sie übergebe, wird das sicherlich ein gefährlicher Präzedenzfall. Und wenn ich — ich bin nicht sicher, was dann geschehen wird.« Er zuckte die Achseln. »Ich werde den Fall an die Erde verweisen. Die Entscheidung liegt nicht bei mir.«

Aber sie lag bei ihm, dachte er, als er die Unterkunft des Jungen verließ und mit steifen Beinen zum Nachrichtenraum ging. Er war an Ort und Stelle, und nur er konnte die komplexen Faktoren beurteilen, um die es ging. Die Erde würde fast mit Sicherheit die Entscheidung an ihn zurückverweisen.

Für eines wenigstens war er dankbar: Leonards hatte nicht auf Grund ihrer familiären Verbindung einen Appell an ihn gerichtet. Das war Anlaß zum Stolz und einiger Erleichterung. Die Tatsache, daß der Junge sein Neffe war, würde er rigoros wegschieben müssen, bis das Ganze vorbei war.

Der Funker war über seinen Arbeitstisch gebeugt und bemerkte ihn gar nicht. Devall wartete einen Augenblick, räusperte sich und sagte: »Mr. Rory?«

Rory drehte sich um.

»Ja, Colonel?«

»Stellen Sie sofort eine Hyperradio-Verbindung mit der Erde her. Direktor Thornton im Amt für außerirdische Angelegenheiten. Und rufen Sie mich, wenn es soweit ist.«

Es dauerte zwanzig Minuten, bis der Hyperraumimpuls die Lichtjahre durchzuckte und einen Empfänger auf der Erde erreichte, und weitere zehn Minuten, um über den Relaispunkt nach Rio de Janeiro zu gelangen. Devall kehrte in den Funkraum zurück und sah das flackernde, grüne Solidofeld vor sich. Er trat hindurch und stand plötzlich einen Meter vor dem Schreibtisch des Leiters seines Amtes. Thorntons Bild war scharf, aber der Schreibtisch schien an den Kanten zu verschwimmen. Feste, nicht organische Gegenstände waren immer undeutlich.

Devall berichtete knapp. Thornton saß geduldig und regungslos da, bis der andere verstummte; mit seinen gefalteten Händen und seinem schmalen, starren Gesicht hätte er eine Statue sein können.

»Unangenehme Geschichte«, sagte er schließlich.

»Allerdings.«

»Der Priester kommt morgen wieder, sagen Sie? Das gibt uns nicht viel Zeit, eine Stabsbesprechung abzuhalten und das Problem zu durchdenken, Colonel Devall.«

»Ich könnte ihn vielleicht ein paar Tage hinhalten.«

Thornton preßte die Lippen zusammen.

»Nein«, sagte er nach einer Pause. »Handeln Sie so, wie Sie es für notwendig halten, Colonel. Wenn die psychologische Struktur der Rasse so beschaffen ist, daß bedauerliche Folgen eintreten, falls Sie die Forderung ablehnen, müssen Sie den Mann auf jeden Fall übergeben. Wenn der Schritt vermieden werden kann, dann vermeiden Sie ihn natürlich. Der Mann muß auf jeden Fall bestraft werden.« Der Direktor lächelte schief. »Sie sind einer unserer besten Leute, Colonel. Ich bin zuversichtlich, daß Sie schließlich zu einer befriedigenden Lösung gelangen werden.«

»Danke, Sir«, sagte Devall mit trockener, unsicherer Stimme. Er nickte und trat aus dem Feldbereich. Thorntons Bild schien zu flackern. Devall hörte einen letzten Satz. »Melden Sie sich, wenn der Fall abgeschlossen ist«, dann fiel das Feld in sich zusammen.

Er stand allein im Funkraum und blinzelte in der plötzlichen Dunkelheit, die nach dem grellen Licht des Solidofons über ihn hereinbrach, dann tastete er sich hinaus.

Es war gekommen, wie er es erwartet hatte. Thornton war ein tüchtiger Mann, aber Zivilbeamter, der von der Regierung kontrolliert wurde. Er fällte ungern wichtige Entscheidungen — und schon gar, wenn ein Colonel, der einige hundert Lichtjahre entfernt war, dazu gezwungen werden konnte, sie für ihn zu fällen.

Devall berief für den folgenden Morgen um 9.15 Uhr eine Besprechung ein. Die Arbeit im Stützpunkt war praktisch eingestellt worden; das Linguistenteam mußte bleiben, und Devall hatte an allen Ausgängen Posten aufstellen lassen. Selbst bei den friedlichsten Fremdvölkern konnte es plötzlich zu Gewalttaten kommen; man konnte den Augenblick nicht vorhersagen, zu dem sich schlagartig wilder Haß entlud.

Sie hörten sich schweigend die Bänder von Leonards Aussagen, Meyers Kommentaren und dem kurzen Gespräch Devalls mit den fünf fremden Wesen an. Devall schaltete ab und schaute sich in der Tischrunde um: zwei Majore, ein Hauptmann und vier Leutnants, von denen einer Stubenarrest hatte.

»So sieht es also aus. Der alte Hohepriester kommt gegen Mittag hierher, um sich meine Antwort abzuholen. Ich wollte zuerst darüber diskutieren lassen.«

Major Dudley bat ums Wort. Er war ein kleiner, stämmiger Mann mit dunklen, blitzenden Augen, und in der Vergangenheit war er in Verfahrensfragen mit Devall schon einige Male ernsthaft zusammengestoßen. Devall hatte ihn trotzdem bei vier aufeinanderfolgenden Flügen mitgenommen, weil er für Meinungsvielfalt war und Dudley außerdem hervorragend organisieren konnte.

»Sir, mir scheint überhaupt nicht in Frage zu stehen, wie hier vorgegangen werden muß. Es kann nicht sein, daß Leonards den Wesen übergeben wird. Das ist unmenschlich — oder unser unwürdig!«

»Würden Sie das begründen, Major?« sagte Devall.

»Ganz einfach. Wir sind die Rasse, die den Raumantrieb entwickelt hat — und damit die fortgeschrittenste Rasse der Galaxis. Ich glaube, das versteht sich von selbst.«