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«Bruder <Eien-Dina>?» versuchte Licinius den Namen des Fremden auszusprechen.

Der Mann bestätigte lächelnd.

«Und was habt Ihr um diese Stunde hier zu suchen?» fragte der junge Offizier.

Der rundliche Mönch breitete beschwichtigend die Hände aus.

«Ich kam gerade aus meiner Studierstube, tesserarius», erklärte er und deutete auf die Tür, die hinter ihm lag.

«Seid Ihr drüben im kleinen Innenhof beim Gästehaus gewesen?» erkundigte sich Licinius und zeigte mit dem kurzen, breiten Schwert auf den dunklen Gang, aus dem er gekommen war.

Der mondgesichtige Mönch blinzelte ihn erstaunt an.

«Warum hätte ich dort gewesen sein sollen?»

Licinius seufzte verzweifelt.

«Weil ich jemanden durch diesen Gang verfolgt habe. Ihr wart es nicht?»

Der Mönch schüttelte den Kopf.

«Ich habe die ganze Zeit über an meinem Pult gesessen und meine Studierstube eben erst verlassen. Ich war gerade über die Schwelle getreten, als Ihr mich angesprochen habt.»

Licinius steckte sein Schwert in die Lederscheide zurück und strich sich verwirrt mit der Hand über die Stirn.

«Und Ihr habt auch sonst niemanden gesehen?»

Wieder verneinte der Mönch kopfschüttelnd.

«Niemanden. Bis Ihr mich aufgefordert habt, Euch meinen Namen zu nennen.»

«Dann verzeiht mir, Bruder. Ihr könnt in Frieden Eurer Wege gehen.»

Der rundliche Mönch neigte dankbar den Kopf, ehe er über den Hof davoneilte. Das Leder seiner Sandalen klatschte über das Pflaster. Rasch verschwand er durch einen der Rundbögen in die dahinterliegenden Straßen der Stadt.

Eine der Wachen vom Haupttor, ein decurion, kam über den Hof, um sich zu erkundigen, was vorgefallen sei.

«Ah, Licinius! Du bist es! Was war denn los?»

Der tesserarius machte ein ärgerliches Gesicht.

«Jemand hat sich drüben im kleinen Innenhof herumgetrieben, Marcus. Ich habe ihn bis hierher verfolgen können, dann aber ist er mir entwischt.»

Der decurion kicherte leise.

«Warum hast du ihn verfolgt, Licinius? Was ist verdächtig daran, daß sich jemand um diese oder irgendeine andere Stunde im kleinen Innenhof aufhält?»

Licinius schenkte seinem Kameraden einen verdrießlichen Blick. Im Augenblick haderte er mit der ganzen Welt und ärgerte sich vor allem darüber, daß er ausgerechnet heute abend zum Dienst eingeteilt worden war.

«Weißt du nicht, daß dort drüben das domus hospitale, das Gästehaus, liegt? Und Seine Heiligkeit hat ganz besondere Gäste: Bischöfe und Äbte aus den fernen sächsischen Königreichen. Ich wurde beauftragt, sie sorgsam zu bewachen. Es heißt, die Sachsen hätten Feinde in Rom. Und man hat mich strengstens angewiesen, jeden zu befragen, der sich auf verdächtige Weise den Gastquartieren nähert.»

Der andere custos schnaubte verächtlich.

«Und ich dachte immer, die Sachsen wären noch Heiden!» Er hielt inne und deutete in die Richtung, in die der Mönch verschwunden war. «Wen hast du da eben befragt? War das nicht dein Verdächtiger?»

«Das war ein irischer Mönch. Bruder <Eien-Dina> oder so ähnlich. Er kam gerade aus seiner Studierstube. Im ersten Augenblick dachte ich, er wäre der Mann, den ich verfolgt hatte. Wie dem auch sei, er hat niemanden gesehen.»

Der decurion grinste.

«Diese Tür führt zu keiner Studierstube, sondern zum Lagerhaus des sacellarius, des Schatzmeisters Seiner Heiligkeit. Sie ist seit Jahren verschlossen, jedenfalls seitdem ich bei der Palastwache bin.»

Erschrocken sah Licinius seinen Kameraden an, riß die nächste Pechfackel aus dem Wandhalter und ging zu der Tür, auf die der Mönch gedeutet hatte. Der Rost auf Schloß und Riegel bestätigte die Aussage des decurion, und Licinius stieß einen Schwall von Flüchen aus, die für ein Mitglied der Palastwache Seiner Heiligkeit alles andere als schicklich waren.

Der Mann saß an einem Holztisch, den Kopf über ein Pergament gebeugt, die Lippen in höchster Aufmerksamkeit zusammengepreßt. Trotz seiner gekrümmten Haltung konnte man erkennen, daß er von hohem Wuchs war. Sein unbedeckter Kopf wies die unverwechselbare römische Tonsur auf, eine kreisrunde, kahlgeschorene Stelle auf der Mitte des Scheitels, umgeben von kräftigem, pechschwarzem Haar, das zu seiner braunen Haut und seinen dunklen Augen paßte. Sein Gesicht ließ auf ein Leben in einem warmen, sonnigen Klima schließen. Seine Züge waren schmal und hager, er hatte die Adlernase eines römischen Patriziers, und seine Wangenknochen traten deutlich hervor. Seine Haut war mit kleinen Narben bedeckt, vielleicht hatte er sich in der Kindheit die Pocken zugezogen. Die schmalen Lippen waren so rot, daß sie fast künstlich gefärbt aussahen.

Er saß reglos da, stumm in seine Papiere vertieft.

Auch wenn seine Tonsur nichts über seine religiöse Berufung verraten hätte, war seine Kleidung unverwechselbar: Er trug die mappula, ein weißes, mit Fransen gesäumtes Tuch, campagi flache, schwarze Pantoffeln, und udones, weiße Strümpfe -die überlieferte Tracht eines kaiserlichen Magistrats im römischen Senat, an der man inzwischen hohe geistliche Würdenträger erkannte. Auch die dünne, purpurrote Seidentunica zeigte deutlich, daß er mehr war als ein einfacher Mönch.

Als ihn das leise Bimmeln einer Glocke aus seinen Gedanken riß, blickte er gereizt auf.

Am anderen Ende des großen, kühlen Marmorsaals öffnete sich eine Tür, und ein junger Mann in einer groben, braunen Mönchskutte trat ein. Er schloß die Tür sorgfältig hinter sich, schob die Hände in die weiten Ärmel seines Gewandes und eilte auf den Mann am Holztisch zu. Sein leicht schwankender Gang erinnerte an das Watscheln einer Ente, und seine Sandalen klatschten auf den Mosaikfußboden.

«Beneficio tuo», sagte der Mönch und beugte ehrerbietig den Kopf.

Ohne den traditionellen Gruß zu erwidern, lehnte der ältere Mann sich seufzend zurück und bedeutete dem Mönch durch ein Handzeichen, sein Anliegen vorzutragen.

«Mit Eurer gütigen Erlaubnis, ehrwürdiger Gelasius, im Vorzimmer ist eine junge Schwester, die verlangt, zu Euch vorgelassen zu werden.»

Gelasius zog eine dunkle Augenbraue hoch.

«Sie verlangt, vorgelassen zu werden? Eine junge Schwester, sagst du?»

«Aus Irland. Sie hat die Regularien ihres Klosters mitgebracht, um sie dem Heiligen Vater vorzulegen und von ihm segnen zu lassen. Außerdem hat sie eine persönliche Nachricht Ultans von Armagh für Seine Heiligkeit.»

Gelasius lächelte schwach. «Die Iren suchen also noch immer den Segen Roms, obwohl sie gegen die römischen Beschlüsse ständig Einwände erheben? Ist das nicht ein seltsamer Widerspruch, Bruder Donus?»

Der Bruder beschränkte sich auf ein Achselzuk-ken.

«Ich weiß wenig über dieses fremde Land. Allerdings glaube ich gehört zu haben, daß die Leute dort noch immer der Ketzerei des Pelagius folgen.»

Gelasius schürzte die Lippen.

«Und die junge Schwester verlangt...?» betonte er das Wort zum zweiten Mal.

«Angeblich wartet sie seit fünf Tagen darauf, vorgelassen zu werden, ehrwürdiger Gelasius. Zwischen den verschiedenen Abteilungen muß es wohl einige Mißverständnisse gegeben haben.»

«Nun, da uns die irische Schwester Nachricht vom Erzbischof von Armagh bringt, sollten wir sie unverzüglich empfangen, vor allem, wenn man bedenkt, daß sie eigens den weiten Weg nach Rom gereist ist. Ja, schauen wir sie uns an, befragen wir sie nach den Regularien, und lassen wir uns von ihr erklären, warum sie der Heilige Vater ihrer Meinung nach persönlich empfangen sollte. Hat diese junge Schwester auch einen Namen, Bruder Do-nus?»