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Der nächste weiße Fleck war etwa fünfundzwanzig Meter von der Luftschleusentür entfernt. Trotz seines schweren Anzugs war Ken rasch zur Stelle und sah sich die Substanz genau an. Bücken konnte er sich nicht, um das Material zu untersuchen. Ein Stück einfach aufzuheben, war ihm nicht geheuer. Da fiel ihm ein, daß die Handextremitäten seines Anzugs über die Spitzen seiner Tentakel hinausreichten und daß die Bodenprobe vorhin auch harmlos gewesen war. Er langte also hinunter und versuchte ein Stück abzukratzen.

Es ging ganz einfach. Der Greifarm kratzte über die Fläche und hinterließ einen braunen Streifen. Das weiße Material bildete nur eine ganz dünne Schicht auf dem Boden, Ken, der die Probe in Augenhöhe hob, entdeckte, daß an seinen Greifklauen nur dunkler Sand hing.

Kein Wunder, daß er staunte und den Vorgang wiederholte. Diesmal schaffte er es so schnell, daß er noch mitansehen konnte, wie das weiße Material sich von den Sandkörnern verflüchtigte. »Laj, Sie hatten recht«, sagte er über Funk. »Hier haben wir es mit einer überaus flüchtigen Substanz zu tun. Ich habe noch nicht so viel beisammen, daß es für eine gründliche Untersuchung reicht. Na, ich versuche mal, eine ausgiebigere Ablagerung zu finden.«

Wieder setzte er sich in Bewegung, auf das Zentrum des weißen Fleckes zu.

Die weiße Fläche hatte einen Durchmesser von über vierzig Meter. Ken vermutete, daß dieser so leicht verdampfbare Überzug in der Mitte dicker sein würde. Er sollte recht behalten, doch wurde die Schicht nie so dick, daß sie sein Fortkommen behindert hätte. Seine Spur war von blankem Boden gekennzeichnet, da das Zeug sich um jeden Fußabdruck verflüchtigte. Ken, der sich in seinem Anzug sehr wohl hätte umblicken können, ohne den ganzen Körper umdrehen zu müssen, bemerkte dies gar nicht. Die Beobachter an Bord des Schiffes machten ihn darauf aufmerksam, und Ken rief zurück:

»Sagen Sie mir, wenn es aufhört… dann ist die Schicht vielleicht genügend dick, daß ich von der Substanz etwas abkratzen kann. Ich möchte es mir näher ansehen, ehe es verdampft. Im Moment kann ich mir nicht denken, was es ist. Ich brauche dringend einige Unterlagen, damit ich wenigstens eine halbwegs vernünftige Vermutung äußern kann.«

»Die Spur wird jetzt schmäler. Es sind einzelne Flecken von der Form Ihrer Fußabdrücke. Sie verlaufen nicht mehr ineinander. Noch ein Stück, dann dürfte es reichen.«

Es reichte. Ken hatte noch nicht die Mitte des weißen Fleckes erreicht, als Drai meldete, er hinterließe jetzt keine Spur mehr. Prompt blieb er stehen, stützte sich auf wie vorhin und kratzte eine kleine Ladung von der rasch schwindenden Substanz ab. Diesmal war praktisch kein Sandanteil dabei. Das Material war an dieser Stelle dreißig Zentimeter tief. Die Masse schrumpfte auf seinen Greifern sofort zusammen, trotzdem schaffte er es, die Beschaffenheit dieser Substanz näher zu überprüfen.

Sie war kristallin. Millionen winzigster Facetten fingen das matte Sonnenlicht ein und verstrahlten es wieder. Die einzelnen Kristalle waren zu klein, als daß er ihre Form hätte bestimmen können. Die Masse war verschwunden, ehe er seine Neugierde richtig befriedigen konnte, und es war wenig wahrscheinlich, daß ihm ein längerer Blick vergönnt sein würde. Irgendwie mußte er sich eine Probe verschaffen und analysieren. Er glaubte auch schon eine Möglichkeit zu sehen, die allerdings sorgfältige Vorbereitung erforderte. Nachdem er diese Nachricht ans Schiff weitergegeben hatte, machte er sich auf den Rückweg.

In seiner halbsitzenden Haltung hatten seine Füße womöglich den Kontakt mit dem Anzug verloren. Auch war er in seine Überlegungen so versunken gewesen, daß er nicht bemerkt hatte, was passierte. Was immer der Grund sein mochte, erst als er aufstand, durchschnitt ihn eine schneidende Kälte von Kopf bis Fuß. Augenblicklich ließ er sich zurückfallen und versuchte die Füße von der eiskalten Isolierschicht wegzubekommen. Als ihm klar wurde, daß er mit seinem Zögern die Sache nur noch verschlimmerte, zwang er sich zum Handeln. Nur mühsam einen Schmerzensschrei unterdrückend, kämpfte er sich zur Luftschleuse zurück, wobei jeder einzelne Muskel durch die Metallmasse des Anzugs bis aufs äußerste beansprucht wurde. Trotz seiner Qualen drängte sich ihm der Gedanke auf: Kein Wunder, daß die Spur schmäler geworden war. Die Füße seines Anzugs mußten die Temperatur ihrer Umgebung fast angenommen haben. Von fünfhundert Grad über Null auf fünfzig unter Null – für eine dünne zehn Zentimeter dicke Schicht aus Stahl, Vakuum, Heizrohren und Isoliermaterial ein zu großes Temperaturgefälle. Die hohe Temperatur im Inneren hatte sich trotz der gut funktionierenden Heizanlage nicht aufrechterhalten lassen.

Die Beschwerden ließen nach, während er sich zur Schleuse durchkämpfte, doch machte ihn dieser Umstand nicht froher. Er jagte ihm vielmehr Angst ein. Sollte er die Herrschaft über seine Füße verlieren, dann würde er in Sichtweite der Besatzung der Karella sterben, denn es gab an Bord keinen zweiten Spezialanzug, den jemand zur Rettung Kens hätte anziehen können.

Jetzt war auch sein Gesicht eiskalt – sicher trat auch durch das Spezialglas seiner Gesichtsplatte ein Strahlungsverlust auf. Seine Tentakelspitzen spürten die Kälte, aber längst nicht so schlimm. Die Tatsache, daß die todbringende weiße Masse nur die Greifer berührt hatte, war in diesem Punkt ein großer Vorteil. Er hatte jetzt den Rand des tödlichen Gebietes erreicht. Zwischen ihm und der Schleuse lagen nur mehr fünfundzwanzig Meter. Der Boden fühlte sich noch immer sehr kalt an. Er mußte hier so kalt sein wie die weiße Fläche. Die Schleusentür stand offen, eine metallgefaßte Höhle, die immer weiter zurückzuweichen schien, je angestrengter er sich vorwärtskämpfte. Jetzt spürte er die Kälte bis zu seinen unteren Knien. Zum erstenmal empfand er die unbeholfene Steifheit der Anzugbeine als Vorteil. Er hatte das Gefühl, auf Stelzen zu gehen, ohnehin die einzige Möglichkeit, seine Füße zu bewegen. Einmal stolperte er. Dabei schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, ob er es schaffen würde, mit diesem Ungetüm von Anzug je wieder in die Höhe zu kommen. Irgendwie fing er sich – wie, das wußte er nicht, und die beiden im Schiff konnten es ihm auch nicht sagen. Wieder ging es stockend weiter. Zehn Meter… fünf… und er stieß dumpf gegen den Rumpf der Karella. Nur noch ein Schritt, und er stand in der Schleuse. Zwei Schritte, und er befand sich außer Reichweite der massiven Tür. Mit verzweifelter Hast drückte er den Ärmel gegen den Schließ-Schalter. So heftig drückte er dagegen, daß die Vorrichtung fast zerstört wurde, aber die Schaltung funktionierte, und die Tür fiel dumpf hinter ihm zu. Er hörte das Geräusch durch den Anzug hindurch. Dann kam automatisch die Luft in die Schleuse, kondensierte auf seinem Anzug, fror an den Extremitäten zu einer gelben Kruste. Nach entsprechendem Druckanstieg ging die Innentür auf. Drai und Ordon Lee standen im Gang dahinter. Drai wich vor der entsetzlichen Kälte zurück, die aus der Kammer strömte. Der Pilot reagierte geistesgegenwärtiger und war mit einem Satz bei einem Schrank, aus dem er einen Lötkolben holte. Die Flamme vor sich hertragend näherte er sich Ken vorsichtig.

Die Schwefelkruste verdampfte unter der Flamme sofort und war sofort wieder da, wenn die Flamme auf eine andere Stelle gerichtet wurde. Lange Sekunden vergingen, ehe das Metall sich so erwärmt hatte, daß sich kein Niederschlag mehr darauf bildete. Noch länger dauerte es, ehe man es anfassen und den halb bewußtlosen Ken herausholen konnte. Minuten vergingen, bis der bohrende Schmerz aus seinen Gliedern gewichen war und er wieder zusammenhängend sprechen konnte. Ken war heilfroh, daß er keinen bleibenden Schaden davongetragen hatte: Richtige Erfrierungen hatte er nicht abbekommen, seiner Hautfarbe nach zu schließen, war er jedoch nah daran gewesen.