»Was wollen Sie hier, Hernandez?«, fragte Pia.
»Nur Nandes«, antwortete er. »Die Leute hier haben … gewisse Schwierigkeiten mit meinem Namen. Man muss sich anpassen. Und ich wollte dich sehen.«
»Sehen?«
»Du bist eine Berühmtheit, Pia. Man spricht landauf, landab von der wiedergekehrten Prinzessin Gaylen, die in einem heruntergekommenen Gasthof am Ende der Welt als Bedienung arbeitet. Irgendwie wusste ich, dass du es sein musst.« Er trank wieder von seinem Bier, einen weitaus größeren Schluck diesmal.
»Und jetzt lass dir etwas erzählen, Pia. Mein Leben hat eine radikale Änderung erfahren. Eine sehr radikale Änderung. Ich führe sozusagen ein komplett anderes Leben. Ich bin zwölf Jahre älter und nicht einmal sicher, ob es wirklich schlechter ist als das, das ich zuvor geführt habe.« Er hob die Schultern. »Natürlich vermisse ich das eine oder andere. Satellitenfernsehen. Hot Dogs. Eine gute Zigarre dann und wann …«
»Was ist passiert?«, fragte Pia ungläubig. »Es ist doch kaum zwei Wochen her!«
»Zwei Wochen?« Jetzt wirkte Hernandez wirklich überrascht. »Ja, ich dachte mir so etwas. Kein Wunder, dass du dich praktisch nicht verändert hast.« Ein flüchtiges Lächeln erschien in seinen Augen und erlosch sofort wieder. »Nur dein Modegeschmack lässt ein bisschen zu wünschen übrig.«
»Was? Ist? Passiert?«, fragte Pia noch einmal. Wenn er es denn unbedingt wollte, konnte sie diese Frage auch noch zehnmal wiederholen.
Hernandez schnaufte. Sein Lächeln war endgültig fort, und in seinen Augen war plötzlich etwas, das ihr Angst machte. »Das solltest du vielleicht deinen Freund fragen, dieses verdammte Spitzohr!«
»Den Elfenkrieger?«
»Er hat mich niedergeschlagen«, bestätigte Hernandez. »Ich habe dem Kerl drei Kugeln verpasst, und er hat sie einfach geschluckt, als wären es Pfefferminzbonbons. Er hat mich niedergeschlagen, und als ich wieder zu mir gekommen bin, da war ich hier. So einfach ist das.«
Für ihn mochte das einfach klingen, aber Pia hatte das Gefühl, dass plötzlich alles viel komplizierter geworden war. Gut, die Kleinigkeit von zwölf Jahren, die ihm irgendwie abhandengekommen waren, klammerte sie für den Moment einfach einmal aus, aber auch der Rest war verwirrend genug. Hernandez war Jesus und ihr gefolgt, als sie in diese Welt gewechselt waren, um sich vor ihm in Sicherheit zu bringen, und sie hatte gesehen, wie der Mann mit dem Silberhelm mit ihm gekämpft hatte. Danach waren Jesus und sie in die Wirklichkeit zurückgekehrt, und Hernandez war das offensichtlich nicht gelungen. Er war hier gestrandet. Aber zwölf Jahre? Großer Gott!
Sie deutete auf die Narbe in seinem Gesicht. »War er das?«
»Nein.«
»Und was wollen Sie jetzt hier? Von mir?«
»Von dir?« Hernandez schien einen Moment ernsthaft über diese Frage nachdenken zu müssen, dann schüttelte er den Kopf. »Nichts. Was sollte ich von dir wollen? Mach dir keine Sorgen um die zwei Millionen. Die sind hier nichts wert.«
»Sie glauben, ich könnte Sie zurückbringen«, vermutete Pia. »Aber wenn ich das könnte, dann wäre ich schon längst nicht mehr hier.«
»Zurück?« Hernandez lächelte schmerzlich. »Ich bin nicht sicher, ob ich das noch will. Natürlich, in den ersten Jahren war ich von dieser Idee besessen. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, als irgendwie einen Weg zurückzufinden, das kannst du mir glauben. Aber irgendwann beginnt selbst ein Starrkopf wie ich einzusehen, dass man die Wirklichkeit nicht ändern kann. Diese Welt ist nicht so schlecht. Sie hat auch eine Menge guter Seiten.«
»Sie ist kalt.«
Hernandez lächelte. »Ja, das ist sie.«
»Und was wollen Sie jetzt wirklich von mir?«, fragte Pia. »Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich weiß nicht, wie wir zurückkommen. Ich würde alles darum geben.«
»Vielleicht kommst du nicht zurück«, sagte Hernandez. »Und warum auch? Du gehörst hierher.«
»Blödsinn!«, sagte Pia.
»Dann sollten wir eine andere Erklärung finden, nicht wahr?«
»Und wie sollte die aussehen?«
»Du bist erst seit – wie lange? Zwei Wochen? – hier. Du weißt noch nicht viel über diese Welt. Jedenfalls nicht annähernd genug, um auch nur eine Ahnung davon zu haben, worauf du dich eingelassen hast.«
»Eingelassen?«, wiederholte Pia. »Ich habe mich auf gar nichts eingelassen. Alica und ich …«
»Alica?«, unterbrach sie Hernandez. Er runzelte die Stirn, und nach einer oder zwei Sekunden nickte er. »Ja, jetzt erinnere ich mich. Estebans kleines Betthäschen, nicht wahr? Ich habe mich schon gefragt, wer die Begleiterin der Elfenprinzessin sein mag. Aber um deine Frage zu beantworten: Ihr habt euch auf etwas eingelassen. Ihr wisst es vielleicht nicht, aber es ist ziemlich groß.«
»Was soll das heißen?« Pia fragte sich, ob er das vielleicht nur gesagt hatte, um sie zu quälen, verwarf den Gedanken aber auch fast sofort wieder als ziemlich albern. Für sie mochte es vielleicht erst wenige Tage her sein, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, aber für ihn waren zwölf Jahre vergangen.
Und wenn es zwölf Jahre gewesen waren, in denen sein Hass auf sie Zeit gehabt hatte, sich an sich selbst zu nähren?
Dann wärst du jetzt wahrscheinlich schon tot, beantwortete sie ihre eigene Frage.
»Kommen Sie, Nandes, Sie sind doch nicht nur hier, um ein wenig über alte Zeiten zu plaudern oder mich mit ein paar gezielt kryptischen Bemerkungen nervös zu machen.«
Hernandez lächelte. »Ich weiß, für dich muss es albern klingen, nach so kurzer Zeit, aber trotzdem: Du hast dich kein bisschen verändert. Charmant wie eine Dampfwalze.«
»Verdammt noch mal, was wollen Sie, Hernandez?«, fauchte sie, scharf und eindeutig lauter, als sie beabsichtigt hatte. Die Gespräche an den unmittelbar benachbarten Tischen verstummten, und selbst Brack sah auf, blickte stirnrunzelnd in ihre Richtung und kam dann mit wiegenden Schritten und einem grimmig-entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht auf sie zu. Wäre er nicht selbst im Stehen ein gutes Stück kleiner gewesen als Hernandez im Sitzen, hätte es durchaus beeindruckend ausgesehen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Pia. »Kein Problem. Ich habe nur … einen alten Freund getroffen. Wir haben etwas zu besprechen. Es dauert nicht lange.«
Brack wirkte nicht überzeugt. »Bestimmt?«
»Ganz bestimmt«, versicherte Pia. »Ich komme gleich zurück, keine Sorge.«
Brack machte sich Sorgen, das sah man ihm deutlich an, aber er sagte nichts mehr, sondern schenkte Hernandez nur noch einen weiteren grimmigen Blick und ging.
Hernandez sah ihm amüsiert nach. »Manche Dinge sind anscheinend überall gleich«, sagte er. »Kaum ist eine junge Dame irgendwo in Gefahr, taucht ein Ritter in schimmernder Rüstung auf, um ihr beizuspringen. Obwohl …« Er sah noch einmal und noch deutlich amüsierter in Bracks Richtung, und sein Grinsen wurde abfällig.
»Brack ist ein Freund«, sagte Pia kühl. »Vielleicht einer von sehr wenigen, die wir hier haben.«
»Nein«, antwortete Hernandez, »das ist er nicht. Nicht, wenn es derselbe Brack ist, der dich und deine Freundin an den Kommandanten der Stadtwache verkauft hat.«
»Blödsinn!«, fauchte Pia. »Ohne Brack …«
»Hätten deine Freundin und du die Stadt vielleicht schon längst verlassen und wärt entweder tot, in der Gefangenschaft irgendwelcher Barbaren – was mit ein bisschen Pech auf dasselbe hinausläuft, aber vorher wesentlich unangenehmer sein kann – oder würdet im besten Fall durch die Wildnis irren. Und Istvan müsste euch suchen und würde nicht nur seine manikürten Fingernägel riskieren, sondern wahrscheinlich auch die Hälfte seiner Männer verlieren, statt in aller Ruhe abzuwarten, bis die Truppen aus Apulo hier sind, um euch einzukassieren.«