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Und da war noch mehr. Pias Gedanken bewegten sich immer noch träge, als wäre ein Teil von ihr gar nicht richtig wach, sondern nach wie vor in dem klebrigen Sumpf des Albtraums gefangen, aus dem sie hochgeschreckt war, aber ihre Erinnerungen kehrten nun doch allmählich zurück. Da war wieder dieses Flüstern, das sie gestern schon einmal gehört zu haben glaubte, eine lautlose, wispernde Stimme, die in diesem Schwert eingesperrt war und ihr Dinge und Geschichten zu erzählen versuchte, die sie nicht hören wollte.

Hastig legte sie das Schwert aufs Bett, trat einen halben Schritt zurück und bemerkte erst danach die Spur aus winzigen hellroten Tröpfchen, die sie auf der ohnehin nicht mehr sehr sauberen Bettwäsche hinterlassen hatte. Die dünnen Schnitte in ihren Fingerspitzen taten nicht mehr weh (seltsam: sie spürte sie nicht einmal mehr), aber sie bluteten immer noch heftig, und Pia sah sich rasch nach etwas um, womit sie sie verbinden konnte. In Wahrheit wahrscheinlich nach etwas, um ihre Gedanken wenigstens für einen kurzen Moment abzulenken.

Schließlich trat sie noch einmal ans Bett heran und betrachtete das Schwert mit einem sonderbaren Gefühl von … ja, was eigentlich? Verwirrung? Ehrfurcht? Abscheu? Neugier? Furcht? Von allem etwas, aber unter diesen Gefühlen war noch etwas anderes, das mit jedem Moment stärker zu werden schien. Ein Teil von ihr wollte dieses Schwert; mehr als irgendetwas anderes auf der Welt.

Sie wusste, dass sie es nicht anrühren durfte, nicht in diesem speziellen Augenblick. Dieses Schwert symbolisierte alles, was sie verachtete und wovor sie Angst hatte. Aber es offerierte ihr auch ein Geschenk, eine unvorstellbare Macht, der nichts auf dieser – oder irgendeiner – Welt widerstehen konnte. Mit der gleichen vollkommenen Sicherheit, mit der sie wusste, was dieses Schwert war und woher es kam, wusste sie auch um den furchtbaren Preis, den es von ihr verlangen würde, wenn sie sein vermeintliches Geschenk annahm. Doch das war ihr in diesem Moment gleich, denn was sie dafür bekam, war diesen Preis mehr als wert.

Nahezu ohne sich der Bewegung bewusst zu sein und ganz eindeutig ohne irgendetwas dagegen tun zu können, streckte sie die Hand aus und machte einen einzelnen Schritt auf das Bett zu, und sie hätte die Waffe berührt, wäre nicht in diesem Moment hinter ihr ein Poltern laut geworden und dann ein keuchender, erschrockener Atemzug. Der Zauber verging. Das unsichtbare Band, das sie an die Waffe hatte fesseln wollen, riss wie Spinnweben im Sturm, und Pia drehte sich herum und blinzelte einen Moment lang verständnislos in Lasars Gesicht.

Der Junge war unter der Tür erschienen und in einer fast grotesk anmutenden Haltung mitten in der Bewegung erstarrt, den linken Arm halb erhoben und die Hand nach dem Türrahmen ausgestreckt, wie um sich daran abzustützen, mit der anderen Hand in ihre Richtung deutend. Seine Augen waren groß und dunkel vor Furcht, und es verging noch einmal ein halber Atemzug, bis sie begriff, dass er gar nicht sie anstarrte, sondern das Bett hinter ihr. Genauer gesagt das Schwert, das darauf lag.

»Das … das ist …«, stammelte er.

Pia streckte nun doch rasch die Hand aus und warf die Bettdecke über die Klinge. »Ich weiß, was das ist«, sagte sie, schärfer und unfreundlicher, als sie es beabsichtigt hatte. Und du solltest es auch wissen. Sie war fast sicher, dass Lasar gestern Nacht gesehen hatte, wie sie das Schwert an sich nahm; und sie war noch sicherer, dass er spätestens in dem Moment, in dem er es in ihr Zimmer gebracht hatte und das erste Mal damit allein gewesen war, gründlich nachgesehen hatte, welchen Schatz sie eigentlich in ihrem Mantel verbarg. Wieso tat er dann jetzt so erschrocken?

»Ich weiß, ich habe verschlafen«, fuhr sie fort. »Geh und sag Brack, dass ich gleich komme.«

Der Junge starrte weiter die Bettdecke an, unter der das Schwert verborgen lag. »Aber das ist …«, murmelte er noch einmal, dann riss er sich mit einer sichtlichen Anstrengung von dem Anblick los, drehte mit einem Ruck den Kopf und sah ihr nun direkt ins Gesicht. Die Angst in seinem Blick schien gewachsen zu sein.

»Aber das ist … Eiranns Zorn«, flüsterte er. »Ihr … Ihr habt es … mitgenommen!«

»Tja, sieht so aus«, antwortete Pia. »Ich hoffe, ich habe damit nicht schon wieder gegen irgendeine Regel oder die guten Sitten verstoßen. Aber du weißt ja: einmal Diebin, immer Diebin.«

Ihr scherzhafter Ton verfing nicht. Sie war nicht einmal sicher, ob der Junge die Worte überhaupt gehört hatte. Er starrte sie nur weiter an.

»Also gut, wenn es dich beruhigt, dann gehe ich nach dem Mittagessen los und bringe das Ding wieder zurück«, sagte sie. Das sollte ein Scherz sein, aber Lasar lachte nicht. Plötzlich war etwas in seinen Augen, das ihr Angst machte. Sie konnte selbst spüren, wie das Lächeln auf ihren Lippen gefror und zu etwas anderem wurde.

»Habe ich dein Wort, dass niemand davon erfährt?«, fragte sie.

»Ich werde es niemandem verraten, Erhabene«, versicherte Lasar hastig. Pia verzichtete darauf, ihn zu verbessern, was die ehrfüchtige Anrede anging, und ertappte sich sogar dabei, es in diesem Fall zu begrüßen.

»Dann lass uns gehen«, sagte sie, »bevor Brack noch der Schlag trifft.« Sie machte einen Schritt in Richtung der Tür, überlegte es sich dann noch einmal anders und ging zum Bett zurück, um das Schwert hastig in die Decke zu wickeln, und schob es anschließend darunter, wobei sie sorgsam darauf achtete, weder den Griff noch die sonderbare gläserne Klinge zu berühren; ein erbärmliches Versteck, aber das einzige, das ihr einfiel.

Eingedenk der Stimmen, die noch immer von unten heraufschallten, stopfte sie ihr Haar unordentlich unter das Kopftuch und war schon auf halbem Weg die Treppe hinunter, während sie es im Nacken zusammenknotete. Sie überzeugte sich nicht davon, dass Lasar ihr folgte, aber nach einem Augenblick konnte sie hören, wie er die Tür von außen schloss, dann das Geräusch seiner raschen Schritte. Stimmengewirr und Kneipenlärm nahmen zu, und sie hörte ein gedämpftes Lachen, das verdächtig nach Alica klang. Wieso war sie eigentlich in der vergangenen Nacht so spät nach Hause gekommen … falls sie überhaupt nach Hause gekommen war?

Pia versuchte sich zu erinnern, ob das Bett neben ihr benutzt ausgesehen hatte, konnte es aber nicht sagen. Einen Moment später war es auch nicht mehr nötig, denn sie entdeckte Alica auf ihrem Stammplatz neben dem Kamin, mit müdem Gesicht und verquollenen Augen, aber einen Krug Bier in den Händen und offensichtlich bester Laune. Brack saß bei ihr und machte ebenfalls einen unerwartet vergnügten Eindruck, und als Pia näher kam, drehte sich auch die dritte Gestalt am Tisch herum, und sie erstarrte unwillkürlich mitten im Schritt, als sie Istvan erkannte. Instinktiv blickte sie zur Tür hin, aber die beiden Soldaten, die sie dort zu sehen erwartete, waren nicht da. Offensichtlich war der Kommandant der Stadtwache ohne seine Bodyguards gekommen; zum ersten Mal, seit sie ihn kennengelernt hatte.

»Prinzessin Gaylen!« Alica winkte sie aufgeregt und trotz ihrer unübersehbaren Müdigkeit schon geradezu unverschämt gut gelaunt heran. »Setzt Euch doch einen Moment zu uns, Euer Merkwürden – wenn es Eure Zeit erlaubt, heißt das.«

Pia warf ihr den giftigsten Blick zu, den sie zustande brachte, aber sie war im Grunde nur verwirrt. Wieso war Istvan schon wieder hier, noch dazu zu dieser frühen Stunde?