Sie setzte sich.
Zugleich versuchte sie Alica mit Blicken zu bedeuten, dass sie ihr etwas Wichtiges mitzuteilen habe, was diese aber entweder nicht registrierte oder einfach zu übersehen beschloss. Ihre einzige Reaktion bestand darin, die Hand zu heben und mit den Fingern zu schnippen. So schnell, als hätte er hinter ihnen gestanden und nur darauf gewartet, tauchte Lasar auf und stellte einen Krug Bier auf den Tisch.
Pia versuchte noch einmal, Alica einen verschwörerischen Blick zuzuwerfen, und diesmal registrierte sie ihn und zog fragend die linke Augenbraue hoch. Dann nahm sie einen Schluck aus ihrem Krug, wischte sich genießerisch den Schaum von den Lippen und deutete nacheinander auf Brack und Istvan.
»Wir haben gute Nachrichten, Durchlaucht«, sagte sie fröhlich. »Du kannst deinen Job behalten, wie es aussieht.«
Jetzt war es Pia, die Brack und den Stadtkommandanten gleichermaßen fragend wie überrascht ansah.
»Deine Sklavin und Malu sind sich einig geworden, wie es aussieht«, sagte Istvan. Er sah nicht so aus, als wäre er wirklich froh darüber, wirkte aber auch nicht allzu verstimmt. Wenn überhaupt, dann eher ein bisschen verwirrt.
»Aha«, sagte Pia und warf Alica einen verwirrten Blick zu. »Einig?«
»Na ja, so gut wie«, sagte Alica fröhlich. »Über die genauen Modalitäten müssen wir natürlich noch reden, aber ich denke, im Prinzip sind wir uns einig geworden. Bei den abschließenden Verhandlungen brauche ich vielleicht noch einmal Eure Fähigkeiten als Übersetzerin, Erhabene, aber das ist auch alles.«
»Einig«, wiederholte Pia. Eine Spur schärfer fügte sie hinzu: »Lass den Unsinn. Und was bedeutet einig? Du willst doch nicht etwa als …?«
»Sehe ich so aus?«, fragte Alica empört.
»Ja«, antwortete Pia ernst.
Alica warf ihr einen gespielt beleidigten Blich zu, und Pia fragte noch einmaclass="underline" »Worüber seid ihr euch einig geworden? Du sprichst doch kein Wort ihrer Sprache.«
»Wie es aussieht«, mischte sich Istvan ein, der Pias Teil des Gesprächs verstanden hatte, »haben sie und Malu wohl Mittel und Wege gefunden, um sich zu verständigen.« Er maß Alica mit einem kurzen anzüglichen Blick. »Irgendwie.«
»Und das heißt, du … Ihr habt nichts mehr dagegen, dass ich weiter hier arbeite?«, erkundigte sie sich misstrauisch. Was hatte Alica bloß mit Malu gemacht?
»Vorerst«, antwortete Istvan. Eine Spur der alten Strenge kehrte in seinen Blick zurück, aber sie wirkte nicht echt, sondern eher pflichtschuldig. »Auch wenn ich noch nicht wirklich überzeugt bin. Ich bin für die Einhaltung der öffentlichen Ordnung in der Stadt verantwortlich.« Er hob die Schultern. »Deine Sklavin hat mit Malu gesprochen und Malu mit mir. Wenn ihr mir also versprecht, dass es keinen Ärger mehr gibt und es auch hier im Weißen Eber zu keinen Zwischenfällen mehr kommt …« Er machte eine wiegende Kopfbewegung. »Vielleicht kann ich ja Gnade vor Recht ergehen lassen und Brack noch eine Chance gewähren – und dir.«
»Das heißt, es ist alles wieder beim Alten?«, vergewisserte sie sich.
»Vorerst«, wiederholte Istvan. »Natürlich zähle ich darauf, dass du dich anständig benimmst.«
Ich? Pia schluckte die scharfe Antwort hinunter, die ihr auf der Zunge lag, was ihr umso schwerer fiel, als Istvans Blick über ihr Gesicht und dann über eine einzelne Haarsträhne tastete, die unter ihrem Kopftuch hervorgerutscht war. Sie schob sie hastig zurück, hielt Istvans Blick gerade lange genug stand, um ihn begreifen zu lassen, dass sie das auch noch beliebig länger tun könnte, und wandte sich dann ganz zu Alica um.
Hernandez ist hier, formten ihre Lippen.
Alica runzelte die Stirn.
»Und ich habe noch mehr gute Neuigkeiten«, fuhr Brack fort. »Malu und ich werden in Zukunft ähm … enger zusammenarbeiten. Nicht so, wie du denkst«, fügte er hastig hinzu, als Pia zuerst ihn, dann Alica und schließlich wieder ihn überrascht und vorwurfsvoll zugleich anblickte.
»Zusammenarbeiten?«, wiederholte sie.
»Malus Gäste sind hungrig und durstig«, sagte Brack. »Ihre Küche ist gut, aber nicht zu vergleichen mit meiner. Ihre Mädchen haben andere Talente, und gegen meine Kochkünste kommt ohnehin niemand an. Deine Freundin …«, er deutete auf Alica, »hatte die Idee, diese Aufgabe zu übernehmen.«
»Welche Aufgabe?« Pia wandte sich verwirrt an Alica. »Erzähl mir nicht, dass du jetzt als Köchin arbeiten willst!«
»Sehe ich so aus?« Alica schnaubte. »Ganz bestimmt nicht. Nein, nein, es ist viel einfacher. Wir gründen einen Catering-Service.«
»Aha«, sagte Pia.
»Wir kochen hier«, erklärte Alica. »Bracks Portionen sind ohnehin noch immer viel zu groß, da macht es also gar keinen Unterschied. Wir stellen einen Jungen ein, der die Bestellungen aufnimmt und das Essen bringt. Zwischendurch kann er Bier ausschenken und noch ein paar andere Kleinigkeiten erledigen. Malus Mädchen sind nicht ganz talentfrei, aber es sieht dort aus wie Kraut und Rüben. Auch das werden wir ändern.«
»So?«, murmelte Pia.
Sie war immer noch vollkommen verwirrt – und fragte sich allen Ernstes, ob Alica und diese beiden Witzbolde sie vielleicht auf den Arm nehmen wollten.
»Der Laden hat Potenzial«, fuhr Alica aufgekratzt fort. »Lass mich nur machen. Ich muss Malu noch ein wenig bearbeiten, aber …«
»Wo du ihre Sprache doch so gut sprichst«, sagte Pia.
»– warte einfach eine Weile, und du wirst den Elfenturm nicht wiedererkennen«, fuhr Alica völlig ungerührt fort. »Die Leute hier sind motiviert, aber sie haben keine Ahnung, wie man ein Geschäft richtig aufbaut.«
»Ich muss mit dir reden«, sagte Pia.
Alica blinzelte. »Tun wir das nicht gerade?«
»Allein«, antwortete Pia. Es war ihr gleich, ob Istvan und Brack sie verstanden und was sie davon hielten. Sie stand auf, ging mit ein paar schnellen Schritten zur Tür und wartete, dass Alica ihr nachkam. Die trank erst noch einen gewaltigen Schluck Bier, bevor sie es tat, und Pia machte sich in Gedanken eine Notiz über ein weiteres Thema, das sie mit Alica bereden musste. Sie trank in letzter Zeit entschieden zu viel. Bier war in WeißWald das alltägliche Getränk. Niemand hier trank Wasser, nicht einmal die Kinder – was auch an der mangelnden Qualität desselben lag; Pia hatte nur einen einzigen Schluck probiert und danach begriffen, warum hier jedermann zu jeder Gelegenheit Bier bevorzugte. Aber Alica übertrieb es. Niemand brauchte zwei Krüge Bier zum Frühstück, um seinen Durst zu stillen. Sie würden darüber reden müssen.
Doch nicht jetzt.
Alica kam mit schon fast provozierend langsamen Schritten näher. »Also, ich weiß selbst, dass es wie eine Schnapsidee klingt, aber wir müssen schließlich von irgendetwas leben, und …«
»Hernandez ist hier.«
»… du hast ja schließlich nicht –« Alica riss die Augen auf. »Was hast du gesagt?«
»Hernandez«, antwortete Pia. »Er war hier. Gestern Abend.«
»Du spinnst«, murmelte Alica.
»Ich habe mit ihm gesprochen«, bekräftigte Pia. »Er war hier. Zwölf Jahre älter und ein bisschen ruhiger geworden, aber er ist es.«
»Hernandez?«, fragte Alica noch einmal. »Du meinst, er …er ist uns gefolgt?«
Wenn man es genau nahm, dann war es eher umgekehrt gewesen, dachte Pia. Aber sie nickte nur.
»Dann müssen wir von hier verschwinden«, sagte Alica. »Wir müssen …«
»… vor allem einen kühlen Kopf bewahren«, unterbrach sie Pia. Sie sah nicht hin, aber sie konnte spüren, dass Istvan und Brack konzentriert in ihre Richtung starrten und die Ohren spitzten. Auch wenn sie Alicas Worte nicht verstanden, so konnte ihnen doch ihre plötzliche Aufregung nicht entgehen. So aufgekratzt und zufrieden sie bisher gewesen war, so erschrocken wirkte sie nun. Pia versuchte ihr mit Blicken zu signalisieren, sich zusammenzureißen, was natürlich vollkommen ergebnislos blieb.
»Was hat er gewollt?«, fragte Alica.
»Bis jetzt nichts«, antwortete Pia. »Er hat mir nur gesagt, dass er da ist.« Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber sie wusste auch, dass sie Alica überfordern würde, wenn sie jetzt die ganze Geschichte erzählte. Erst einmal musste sie sich selbst darüber klar werden, was sie von Hernandez’ Behauptungen zu halten hatte. Und was davon wahr war. »Ich weiß nicht, was er will.«