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»Bei mir ist das kein Kunststück«, sagte Alica.

Pia blieb ernst. »Wir sollten heute Abend zum Viehmarkt gehen und mit diesem Ter Lion reden.«

»Prima Idee«, spöttelte Alica. »Weil wir einem Mann, von dem wir nichts als seinen Namen kennen, ja sooo viel mehr trauen können als allen anderen hier. Vielleicht sollten wir uns doch besser dem Comandante anvertrauen.« Sie seufzte leise, ging zum Bett und setzte sich auf die Kante. »Wenn du es darauf angelegt haben solltest, mich zu verwirren, dann ist es dir gelungen.«

»Und warum sollte es dir besser gehen als mir?«, fragte Pia. Sie sah weiter aus dem Fenster. Die Frau mit ihren Kindern war verschwunden, und das Bild war wieder so normal, wie es nur sein konnte; jedenfalls unter den gegebenen Umständen. Dennoch spürte sie, dass dort draußen noch mehr war. Irgendetwas … schien sie zu rufen. Es war nichts Neues. Dieses lautlose Wispern und Locken war schon immer da gewesen, nur hatte sie es bisher nicht gehört. Und die Stimme wurde lauter. Nicht mehr lange und sie würde die Worte verstehen.

»Ja, so etwas nenne ich eine echte Freundin«, sagte Alica. »Was würde ich nur ohne dich – he, was ist das denn?«

Ihre letzten Worte wurden von einem gedämpften Klappern begleitet, und Pia drehte sich gerade noch rechtzeitig genug herum, um zu sehen, wie Alica sich vorbeugte und zwischen ihren eigenen Knien hindurch unter das Bett spähte.

»He, du hast deine Decke unter dem Bett vergessen! Und ich dachte, ich wäre hier die Chaotin!«

»Lass sie einfach …«, begann Pia, aber es war bereits zu spät. Alica beugte sich noch weiter vor, angelte nach der zusammengerollten Decke und zog sie mit einem Ruck heraus. Etwas glitt gold blitzend unter dem Stoff hervor, züngelte wie ein zu Kristall erstarrter Blitz nach Pias Füßen und bohrte sich mit einem knirschenden Laut kaum zehn Zentimeter neben ihrem Knöchel in die Wand.

»Ups!«, sagte Alica erschrocken. Dann weiteten sich ihre Augen ein bisschen. »Was ist denn das?«

»Das wäre beinahe deine große Chance gewesen, mir zu beweisen, dass du wirklich meine Freundin bist«, antwortete Pia säuerlich. »Zweifellos würdest du mich für den Rest deines Lebens auf dem Rücken tragen, wenn ich nur noch einen Fuß hätte … oder gar keinen mehr.«

Alica sah sie verständnislos an und ging vorsichtshalber nicht näher auf diese Bemerkung ein. »Was ist das?«, fragte sie noch einmal.

»Das ist Eiranns Zorn, und rühr es nicht an!«

Die letzten Worte hatte sie in hörbar schärferem Ton hervorgestoßen, als Alica sich vorbeugte und die Hand nach dem Schwert ausstrecken wollte. Alica zog den Arm erschrocken zurück, allerdings nur ein kleines Stück, und ihre Verblüffung hielt ebenso nur einen halben Atemzug an und wurde dann zu Misstrauen.

»Was ist das?«, fragte sie zum dritten Mal. »Und woher kommt das Ding?«

»Eiranns Zorn«, wiederholte Pia. »Und du solltest es wirklich nicht anfassen. Es beißt, weißt du?« Sie zwang sich zu einem nervösen Lächeln und hob die Hand, damit Alica die Schnitte in ihren Fingerkuppen sehen konnte. »Siehst du?«

Alica fragte nicht, woher sie den Namen kannte, wofür Pia ihr im Stillen dankbar war. Sie hätte diese Frage nicht beantworten können. Lasar hatte den Namen vorhin zwar benutzt, aber sie hatte ihn schon vorher gekannt. Vielleicht schon, bevor sie überhaupt hierhergekommen war.

»Du bist also tatsächlich dort gewesen«, sagte Alica finster. »Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?«

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich zum Turm des Hochkönigs gehe.«

»Zum Turm, nicht in den Turm«, fauchte Alica. »Hast du vergessen, was diese Valoren gesagt hat? Du findest dort den Tod!«

»Ich dachte, du glaubst nicht an ihr Gefasel?«

Alica machte eine zornige Bewegung, wie um ihre Worte zur Seite zu wischen, und funkelte sie an. Pia rechnete ernsthaft damit, dass sie im nächsten Moment explodieren und irgendetwas wirklich Dummes tun würde, doch dann konnte sie regelrecht sehen, wie ihr brodelnder Zorn einer plötzlichen Resignation wich. Sie seufzte leise, schüttelte mehrmals hintereinander den Kopf und stand zwar mit einer müde wirkenden Bewegung auf, ließ sich aber auch unmittelbar auf die Knie sinken und spähte noch einmal unter das Bett, wie um sich davon zu überzeugen, dass dort nicht noch mehr unangenehme Überraschungen auf sie warteten.

»Ehrlich gesagt, hätte ich nicht geglaubt, dass du es schaffst.«

»Was?«

»In den Turm hineinzukommen« antwortete Alica. »Wie hast du das Tor aufgekriegt?«

Pia überlegte einen kurzen Moment, sich irgendeine fadenscheinige Erklärung einfallen zu lassen (egal ob Alica sie ihr glaubte oder nicht), und sagte dann: »Ich hatte Hilfe.«

»Hernandez?«, fragte Alica.

»Nein«, erwiderte Pia, ein bisschen erstaunt, wie Alica überhaupt auf diese abwegige Idee kam. »Lasar.«

Alica wirkte nicht einmal überrascht; jedenfalls nicht sehr, aber Pia konnte ihr ansehen, wie es hinter ihrer Stirn zu arbeiten begann und sie plötzlich gewisse Dinge in einem anderen Licht zu sehen schien. Schon dadurch, dass sie sich nur mühsam und unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen mit Bracks Küchenjungen unterhalten konnte, war Alicas Verhältnis zu Lasar nicht annähernd so vertraut wie das ihre. Sie mochte den Jungen schon aus Prinzip, weil Brack ihn so schlecht behandelte und er trotzdem stets freundlich und hilfsbereit war, aber im Grunde konnte sie nichts mit ihm anfangen. Irgendwann einmal hatte sie gesagt, dass er ihr zu klein sei – aber das traf schließlich auf so ziemlich jeden in dieser Stadt zu.

»Und?«, fragte Alica, nachdem sie eine Weile vergebens darauf gewartet hatte, dass Pia von sich aus weitersprach. »Wie sieht es dort drinnen aus?«

»Dunkel«, antwortete Pia. Alica wollte auffahren, aber sie fügte rasch und besänftigend hinzu: »Nein, das meine ich ernst. Man sieht nicht viel. Eine Menge leerer Räume voller Staub. Das ist alles.«

Alica machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung, obwohl sie doch gerade so zornig darüber gewesen war, dass Pia den Turm überhaupt betreten hatte. »Und du hast gar nichts gefunden – bis auf das da?«, fuhr sie mit einer Kopfbewegung auf das Schwert fort.

»Nur ein paar alte Gespenster«, erwiderte Pia lächelnd. Sie bildete sich jedenfalls ein, in scherzhaftem Ton gesprochen zu haben, doch so ganz konnte das wohl nicht gelungen sein, denn Alica sah sie stirnrunzelnd und auf eine sehr unangenehme Art an, tat das Thema dann aber auch mit einem Schulterzucken wieder ab, ohne näher darauf einzugehen. Stattdessen deutete sie noch einmal auf Eiranns Zorn.

»Warum hast du es mitgenommen?«

Die Wahrheit war, dass sie weder darüber nachgedacht noch die Wahl gehabt hatte. Vielleicht war es sogar eher umgekehrt gewesen, und das Schwert hatte sie mitgenommen.

Sie verscheuchte diesen albernen Gedanken, zuckte nur mit den Schultern und ließ sich in die Hocke sinken, um das Schwert wieder aus der Wand zu ziehen. Jedenfalls versuchte sie es.

Die Waffe rührte sich nicht. Pia schloss die Hand noch einmal und fester um den Schwertgriff, zog mit aller Kraft und machte dann ein verblüfftes Gesicht, als rein gar nichts geschah.

»Treibst du heimlich Bodybuilding?«, fragte sie. Alica machte ein ratloses Gesicht und sah darüber hinaus ebenso verblüfft aus wie sie, als es ihr auch weiterhin nicht gelang, die Klinge auch nur um einen Millimeter zu bewegen.

Pia richtete sich wieder auf, trat einen Schritt zurück und besah sich die Waffe auf eine neue, aufmerksame Art. Ihre Worte waren natürlich nicht ernst gemeint gewesen. Alica hatte das Schwert ja nicht einmal berührt. Es war einfach durch den Schwung, mit dem sie an der Decke gezogen hatte, aus den Falten gerutscht und das kurze Stück über den Boden geschlittert. Trotzdem hatte es sich tief genug in die Wand gebohrt, dass Pia vermutlich ein gutes Stück der Klinge gesehen hätte, hätte sie sich die Mühe gemacht, das Fenster zu öffnen und an der Wand draußen hinabzublicken.