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»Das ist gar nicht Eiranns Zorn, oder wie immer du es nennst«, witzelte Alica. »Das ist Excalibur. Du weißt doch: Wer das Schwert aus dem Nachbarn zieht, wird der König der Favelas.«

Pia verzog die Lippen zu einem freudlosen Grinsen, packte den Griff mit beiden Händen und zog und zerrte mit aller Kraft, ohne dass sich irgendetwas tat. Das Schwert saß so fest in der Wand, als wäre es einbetoniert.

»Lass mich mal«, sagte Alica.

Pia zerrte und wackelte trotzig noch einen weiteren Moment an dem wuchtigen Schwertgriff, gab dann mit einem zornigen Achselzucken auf und rutschte auf den Knien ein Stück zur Seite. Alica nahm ihre bisherige Position ein, schmiegte beide Hände um den wuchtigen goldenen Griff und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Pia konnte sehen, wie sich ihre Muskeln unter dem dünnen Stoff des Kleides spannten, dann zog sie mit aller Kraft – und fiel mit einem halblauten, überraschten Keuchen nach hinten, als die Klinge vollkommen widerstandslos aus der Wand herausglitt. Pia konnte gerade noch das Gesicht zur Seite drehen, um nicht getroffen zu werden, und Alica fiel schwer auf den Rücken und hielt Eiranns Zorn dabei mit ausgestreckten Armen gerade in die Höhe.

Pia starrte die Schwertklinge aus weit aufgerissenen Augen an. Die Waffe … sang. Ein ganz feiner, hoher Ton, der an das Geräusch erinnerte, mit dem eine Fingerkuppe über den Rand eines dünnen Glases strich, und die ohnehin kaum sichtbaren Ränder der gläsernen Klinge schienen für einen Moment zu verschwimmen, als wäre diese Waffe scharf genug, das Gewebe der Wirklichkeit zu zerschneiden.

Sie schüttelte den verrückten Gedanken ab, griff rasch zu und half Alica dabei, wieder auf die Füße zu kommen, wobei sie ganz ohne ihr eigenes Zutun sehr sorgsam darauf achtete, der gläsernen Klinge nicht zu nahe zu kommen.

»Danke«, murmelte Alica benommen. Eine geschlagene Sekunde lang starrte sie das Schwert in ihren Händen an, dann – deutlich länger und ziemlich verwirrt – Pia, und schließlich zog sie überrascht die Augenbrauen hoch, als ihr Blick über die Wand tastete, aus der sie die Waffe herausgezogen hatte. Die Klinge hatte einen fast armlangen Schnitt darin hinterlassen, so dünn und präzise wie mit einem Skalpell durch Seidenpapier gezogen.

»Entweder sind in Bracks Bier mehr Anabolika als Wasser oder du lässt nach, Pia«, witzelte sie lahm.

Pia ging weder darauf noch auf den unmöglichen Anblick der Wand ein, sondern nahm ihr das Schwert aus der Hand, wobei sie auch jetzt sorgsam darauf achtete, nur den schweren Griff zu berühren. Etwas … flüsterte tief in ihrer Seele. Die Stimme war wieder da, aber diesmal war sie leiser und … anders, ohne dass Pia diesen Unterschied in Worte fassen konnte.

Alica sah ihr stirnrunzelnd zu, und für einen ganz kurzen Moment war Pia beinahe sicher, dass sie sich widersetzen wollte. Etwas wie Unwillen, vielleicht sogar Zorn huschte über ihr Gesicht, und ihre Hände leisteten für den Bruchteil einer Sekunde trotzigen Widerstand, dann ließ sie mit einer schon fast schuldbewussten Bewegung los und trat rasch zwei, drei Schritte zurück.

Pia legte das Schwert auf das Bett und wartete darauf, dass das Flüstern in ihren Gedanken aufhörte. Es verklang, aber nur langsam, widerwillig wie ein zorniges Raubtier, das sich um seine Beute betrogen sieht und verärgert knurrend in seine Höhle zurückkriecht.

»Das ist … unglaublich«, murmelte Alica. »Und das Ding hat da einfach so rumgelegen?«

Einfach so traf es nicht ganz, aber Pia reagierte trotzdem nur mit einem knappen Nicken. Als Alica an ihr vorbeigehen und die Hand nach dem Schwert ausstrecken wollte, hätte sie sie um ein Haar wieder zurückgerissen, doch dann beließ sie es bei einem mahnenden Blick und zeigte Alica noch einmal ihre zerschnittenen Fingerkuppen. »Sei vorsichtig. Das Ding ist wirklich scharf.«

Alica nickte zwar, streckte den Arm trotzdem weiter aus und berührte den schweren goldenen Griff zaghaft mit den Fingerspitzen. »Es ist wunderschön«, flüsterte sie. »Was mag es wohl wert sein?«

Seltsam … Pia hatte das sichere Gefühl, dass sie eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen. Etwas, das ihr vermutlich nicht gefallen hätte.

»Hier oder bei uns?«, fragte sie.

Alica maß sie mit einem sonderbaren Blick und schloss die Hand fester um den Schwertgriff. Täuschte Pia sich, oder hörte sie schon wieder jenes seltsame gläserne Singen, wie einen Laut, der eigentlich weit jenseits der Grenzen des Hörbaren lag, aber ein wisperndes Echo in die Wirklichkeit herüberschickte?

Was sie sich nicht einbildete, das war der mehr als handlange Schnitt, der plötzlich in der strohgefüllte Matratze klaffte. Dabei war sie vollkommen sicher, dass Alica das Schwert nicht bewegt hatte.

»Oh!«, sagte Alica erschrocken, ließ den Schwertgriff los, als wäre er plötzlich glühend heiß geworden, und prallte ein kleines Stückchen zurück. »Du hast recht. Das Ding ist wirklich höllisch scharf.« Was sie allerdings nicht daran hinderte, sich sofort wieder vorzubeugen und die armlange Klinge mit eindeutig bewundernden Blicken zu mustern. Sie streckte auch wieder die Hand danach aus. Allerdings hütete sie sich, ihre Finger in die Nähe der Schneide kommen zu lassen.

»So etwas habe ich noch nie gesehen«, murmelte sie. »Was ist das? Glas?«

Pia musterte den armlangen Riss in der Wand mit einem schrägen Blick. »Kaum.«

»Nein, wahrscheinlich nicht.« Alica überlegte einen Moment, trat dann vom Bett zurück und kam nach kaum einer Sekunde mit einem von Bracks schlampig aus Gusseisen gefertigten Löffeln zurück. Pia war nicht einmal überrascht, als sie ihn behutsam an der Schneide entlangführte und er in zwei Teile zerfiel. Alica riss die Augen auf und ächzte.

»Unglaublich!«, keuchte sie. »Das … das muss Diamant oder so was sein!«

Pia nahm den abgeschnittenen Teil des Löffels mit spitzen Fingern vom Bett und betrachtete ihn nachdenklich. Diamant? Die Schnittkante war so glatt, als wäre sie mit einem Laser oder irgendeiner Science-Fiction-Waffe geschnitten worden, und als sie vorsichtig mit den Fingerspitzen darüberfuhr, fühlte sie, wie kalt sie war. Es tat regelrecht weh.

»Kannst du dir vorstellen, was dieses Ding bei uns wert wäre?«, fragte Alica.

Sie antwortete nicht darauf, musste aber an einen anderen, vermeintlich gläsernen Dolch denken, der Jesus so schwer verletzt hatte. Plötzlich machte ihr dieses Schwert Angst.

»Und kannst du dir vorstellen, was wir hier damit anfangen könnten?«, fuhr Alica fort, als Pia ihr nicht den Gefallen tat zu antworten. Entschlossen nahm sie das Schwert mit beiden Händen auf und bewegte es hin und her. Das helle Singen erklang wieder, und die Klinge schien sich in einem lautlosen Gewitter aus Lichtblitzen und flimmernden Reflexen aufzulösen.

»Sei vorsichtig damit«, mahnte Pia.

»Mit diesem Schwert könnten wir Istvan samt seiner gesamten Garde aus der Stadt jagen«, behauptete Alica. »Und dieses Heer, das angeblich im Anmarsch ist, gleich mit dazu.«

»Ja, wenn einer von uns damit umgehen könnte«, antwortete Pia unbehaglich.

Alica bewegte die Waffe weiter hin und her, und sie tat es zunächst genau auf die unbeholfene Art, die man bei einem Menschen erwartete, der noch nie ein Schwert in der Hand gehalten hatte. Trotzdem war da zugleich etwas ungemein Elegantes an dieser Bewegung, eine selbstverständliche Leichtigkeit, die Pia zutiefst erschreckte, und das umso mehr, als sie sich daran erinnerte, wie vertraut und selbstverständlich sich das Schwert gestern Abend in ihrer Hand angefühlt hatte.

»Och, das lerne ich schon«, sagte Alica leichthin. »So schwer kann das doch gar nicht sein.«

Und wie es aussah, hatte sie es bereits gelernt, dachte Pia verwirrt. Alica fuchtelte weiter mit der Waffe herum; ihre Bewegungen schienen mit jeder Sekunde fließender und schneller zu werden. Eiranns Zorn sang wie eine gläserne Harfe, bewegte sich vor und zurück, beschrieb komplizierte Kreise, Achten und noch viel kompliziertere Muster. Pia kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.