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»Woher kannst du das?«, murmelte sie ungläubig.

»Keine Ahnung«, antwortete Alica und lachte leise. »Hab ich doch gesagt. So schwer ist es nicht.« Das Schwert drehte sich immer schneller in ihren Händen, spießte spielerisch in Pias Richtung, ohne sie wirklich zu berühren, und zeichnete immer kunstvollere Muster in die Luft.

Etwas knackte, und Alica starrte verdutzt auf das Bett, das mit einem Mal ein wenig schräg stand. Die Schwertklinge hatte eines seiner Beine gekappt.

»Ups«, murmelte sie.

»Habe ich schon erwähnt, dass es sehr scharf ist?«, fragte Pia.

Alica schenkte ihr einen bösen Blick und setzte dazu an, eine giftige Antwort zu geben, doch in diesem Moment wurden auf der Treppe polternde Schritte laut, und sie konnte das Schwert gerade noch hinter dem Rücken verbergen, bevor die Tür auch schon aufgestoßen wurde und Brack hereinstürmte, dicht gefolgt von Lasar.

»Ist etwas passiert?«, fragte er aufgeregt. »Ich habe Lärm gehört und …« Seine Augen wurden groß, als er das schräg stehende Bett bemerkte. »Bei Kronn! Was habt ihr jetzt wieder angestellt?«

»Nichts«, antwortete Pia, und machte sich in Gedanken eine Notiz, ihm das wieder übel zu nehmen, sobald sie Zeit dafür hatte. »Außer, dass ich versucht habe mich hinzusetzen. Ich muss entweder kräftig zugenommen haben, ohne es zu bemerken, oder deine Möbel sind genauso alt und baufällig wie alles andere hier.«

Brack schürzte beleidigt die Lippen, sparte sich aber jeden Kommentar und ging zum Bett, um das abgebrochene Bein aufzuheben. Aus der Verwirrung in seinem Blick wurde ungläubiges Staunen, als er die völlig glatte Schnittfläche sah.

»Und du hast dich nur … hingesetzt?«, fragte er zweifelnd.

»Nein«, antwortete Pia. »Alica und ich üben heimlich Schwertkampf, nur für den Fall, dass ungebetene Gäste hier auftauchen sollten … oder jemand zu viele dumme Fragen stellt.«

Alica wurde ein bisschen bleich und versuchte unauffällig in eine Ecke zurückzuweichen, damit Brack das Schwert hinter ihrem Rücken nicht sah, und Brack sah jetzt deutlich verärgert aus. Am interessantesten aber war Lasars Reaktion: Auch er starrte den abgeschnittenen Bettpfosten in Bracks Händen an, doch er wirkte kein bisschen erstaunt. So, wie er am Morgen auf den Anblick des Schwertes reagiert hatte, hätte Pia Entsetzen in seinem Blick erwartet oder auch Zorn, aber was sie sah, das war das genaue Gegenteil. Seine Augen leuchteten in wildem Triumph.

»Ja, das war wirklich sehr komisch«, sagte Brack. »Und was habt ihr nun wirklich getan? Ich hoffe, nicht gestritten. Alica hat es nur gut gemeint, da bin ich ganz sicher.«

Es dauerte einen Moment, bis Pia seinem komplizierten Gedankengang überhaupt folgen konnte, und dann hätte sie fast laut aufgelacht. Anscheinend war Brack der Meinung, Alica und sie wären sich wegen ihrer eigenmächtigen Entscheidung in die Haare geraten.

»Du hast recht, wir hatten … eine kleine Meinungsverschiedenheit«, antwortete sie bewusst zögernd. »Aber so schlimm war es nicht. Deine Möbel sind wirklich nicht mehr die stabilsten.«

Brack dachte sich sichtlich seinen Teil dazu, aber er schürzte nur noch einmal die Lippen, warf den Pfosten mit einer ärgerlichen Bewegung auf das Bett und raunzte Lasar an: »Das kannst du gleich reparieren, aber mach es gefälligst anständig. Nicht dass ich hinterher wieder mehr Arbeit habe als zuvor!«

»Ja, das kann er«, sagte Pia rasch. »Aber nicht jetzt. Später. Alica will noch einmal auf den Markt, und ich muss sie begleiten, um für sie zu übersetzen.«

»Was will ich?«, fragte Alica verstört.

»Wozu?«, erkundigte sich auch Brack.

»Sie muss noch das eine oder andere besorgen, um Malus Geschäft auszustatten«, improvisierte Pia. »Und wir würden uns gerne vorher noch umziehen, also wäre es nett, wenn du uns alleine lässt. Oder möchtest du zuschauen?«

XXIV

Der Markt hatte sich verändert wie jedes Mal, wenn Alica und sie hier gewesen waren. Abgesehen von ihrem Besuch am zweiten Morgen, an dem sie möglicherweise einfach zu früh gekommen waren, als dass die Gilde der Händler und Marktschreier mit ihrem allmorgendlichen Spielchen hätte beginnen können, hatten sie nie auch nur einen einzigen Stand jemals am gleichen Platz wie am Tag zuvor wiedergefunden. Stattdessen wechselten diese täglich einem komplizierten System folgend ihre Position, sodass jeder Marktbesuch zu einem neuen Abenteuer wurde, das in gleichem Maße an Pias Nerven zehrte, wie es Alica zu freuen schien. Heute jedoch war diese Veränderung weitaus radikaler. Der Markt, wie sie ihn kannten, war verschwunden. Von den zahllosen Ständen war keine Spur mehr zu sehen.

Auf dem großen Platz unter der Stadtmauer war eine für hiesige Verhältnisse vollkommen ungewohnte Aktivität ausgebrochen. Überall wurde gewerkelt und gearbeitet, gesägt und gehämmert. Männer und Frauen eilten hektisch und zumindest auf den ersten Blick vollkommen ziel- und sinnlos durcheinander, riefen sich Kommandos und Scherzworte zu, brüllten Befehle oder lachten, soweit sie sich nicht in einem Dutzend unterschiedlicher Dialekte gegenseitig verwünschten. Wo bisher ein Labyrinth aus Zelten, Verkaufsständen und bunten Buden gestanden hatte, deren Besitzer sich gegenseitig in dem Bemühen zu überbrüllen versuchten, jedem, der es hören wollte, ihre Waren anzupreisen (und ebenso jedem, der es nicht wollte), da entstand nun ein kaum weniger verwirrendes Durcheinander aus Koppeln und Gattern, die rasch und mit erstaunlicher Präzision aus offenbar vorgefertigten Teilen aufgestellt wurden. Unmengen von Stroh und Heu warteten auf hoffnungslos überladenen Karren darauf, in diesen improvisierten Gattern verteilt zu werden, und auch die ersten Tiere waren schon da: sonderbar kleinwüchsige Rinder mit dafür umso größeren Hörnern und dickem Fell, durch deren Nasen schwere eiserne Ringe gezogen waren. Verbunden waren sie untereinander mit massiven Ketten, was angesichts ihres kleinen Wuchses und ihres freundlichen Aussehens einigermaßen übertrieben wirkte. Aber die Männer, die sie trieben, waren mit wuchtigen Eisenstangen ausgerüstet, an denen spitze Dornen befestigt waren, und Pia entging auch nicht der unübersehbare Respekt, mit denen die Männer die Tiere behandelten. Ein friedliches Aussehen allein bedeutete anscheinend gar nichts.

»Herzlichen Glückwunsch«, spöttelte Alica, nachdem sie eine ganze Weile nebeneinandergestanden und das Chaos angestarrt hatten. »Und wie willst du jetzt diesen Türütütüt finden?«

»Ter Lion«, verbesserte Pia sie. Gleichzeitig warf sie Alica einen warnenden Blick zu. Ihre beiden schweigsamen Schatten folgten ihnen zwar in guten zehn oder zwölf Schritt Abstand und sahen so müde aus, dass Pia sich schon ein paarmal im Stillen gefragt hatte, wie es ihnen eigentlich gelang, sich noch auf den Beinen zu halten, trotzdem war es besser, wenn sie vorsichtig waren. Sie hatte keine Ahnung, wie scharf das Gehör der Leute hier war. Oder über welche Sinne sie sonst noch verfügten.

»Aber jetzt mal im Ernst: Hast du eine Idee, wie wir ihn hier finden sollen?«

»Fragen?«, schlug Pia vor.

»Einfach so?« Alica machte ein noch zweifelnderes Gesicht.

»Ja, eine wirklich hervorragende Idee. Wir gehen los und fragen den Erstbesten, ob er jemanden kennt, der der wiedergeborenen Elfenprinzessin dabei hilft, unbemerkt aus der Stadt zu verschwinden. Wie toll.«

»Ist ja schon gut«, maulte Pia. Auch wenn sie es ungern zugab: Alica hatte recht. Der Markt war offiziell noch nicht einmal eröffnet, aber der Platz wimmelte jetzt schon von Menschen. Gut, Valoren hatte gesagt, dass sie einen Mann suchen sollten, der eine Karawane Rinder in die Stadt brachte. Das schränkte die Auswahl immerhin ein. Auf vielleicht achtzig oder hundert Leute …

Ohne viel Hoffnung sah sie sich noch einmal um und bedeutete Alica, ihr zu folgen. Alica machte ein noch missmutigeres Gesicht, aber sie folgte ihr immerhin kommentarlos.

Eigentlich hätte sie sich längst daran gewöhnen müssen, auf Schritt und Tritt angestarrt zu werden, und in gewissem Umfang war das auch schon geschehen. Trotzdem war das Gefühl nun wieder da, und das beinahe stärker als jemals zuvor. Vielleicht lag es daran, dass man Alica und sie hier in WeißWald mittlerweile kannte. Sie erregten immer noch ein gewisses Maß an Aufsehen, und oft genug wurde hinter ihrem Rücken getuschelt. Jetzt aber wurden sie wieder ganz unverhohlen angestarrt, dabei hatten Alica und sie ganz bewusst nicht die aufreizenden Kleider angezogen, die Aressa für sie geschneidert hatte, sondern trugen die hier üblichen modischen Säcke. Außerdem hatte Pia ihre Haare nicht nur sorgfältig unter einem mausgrauen Kopftuch verborgen, sondern auch die Kapuze ihres Umhanges hochgeschlagen, obwohl es für hiesige Begriffe nicht einmal besonders kalt war. Vielleicht lag es weniger an Alica und ihr, überlegte sie, sondern mehr an ihren beiden Wachhunden. Die Männer gaben sich weder irgendeine Mühe, unauffällig zu sein, noch stellte ihr Anblick hier eine Besonderheit dar. Pia sah auf Anhieb mindestens ein Dutzend weiterer Soldaten, die in den üblichen Zweiergruppen über den Platz schlenderten, mit misstrauischen Blicken die Vorbereitungen beäugten oder dann und wann einmal stehen blieben, um auf irgendetwas hinzuweisen, das ihrer Meinung nach nicht seine Ordnung hatte (oder auch gegen ein entsprechendes Bakschisch darüber hinwegzusehen, vermutete sie), doch die beiden Soldaten hinter ihnen machten keinen Hehl daraus, dass sie das emsige Treiben ringsum nicht interessierte, sondern sie aus keinem anderen Grund hier waren, als sie zu bewachen – oder auf sie aufzupassen. Den genauen Unterschied hatte sie bis jetzt nicht begriffen.