Выбрать главу

»Aber so, wie es sich anhört, scheint Jesus der Zweite ihn nicht besonders zu mögen. Und du?«

»Ich? Ich kenne ihn doch so wenig wie …«

»Was hältst du von der Idee? Ich meine: Irgendwie ist die Vorstellung schon ein bisschen abenteuerlich, unser Schicksal in die Hände eines Mannes zu legen, den wir gar nicht kennen.«

»Hast du eine bessere Idee?«

Wenn, dann kam Alica nicht dazu, sie ihr vorzutragen, denn in diesem Moment kam Lion zurück, und etwas am schaukelnden Ächzen des Ochsenkarrens änderte sich, als das Gefährt seinen Kurs änderte.

»Wir legen eine kurze Rast ein«, sagte er. »Nani ist müde, und auch das Zugtier braucht eine Pause. Eine Stunde sollte reichen.«

»Was hat er gesagt?«, fragte Alica. Pia übersetzte, und auch Alica war ihre Erleichterung deutlich anzumerken. »Wunderbar«, seufzte sie. »Ein Drive-in oder vielleicht sogar ein Motel? Wenn sie ein Zimmer mit Kabelfernsehen haben, dann melde ich hiermit schon einmal vorsorglich Anspruch darauf an!«

»Einverstanden. Und ich nehme das mit Whirlpool und Massagebett … auch wenn ich fürchte, dass wir mit einem Stück Waldboden vorliebnehmen müssen.«

»Solange die Bäume nicht versuchen uns aufzufressen, soll es mir auch recht sein. Wenn ich noch zehn Minuten weiterlaufen muss, fangen meine Füße ganz von selbst an zu brennen.«

Sie brauchten nicht zehn, sondern gute zwanzig Minuten, um den Wald zu erreichen, aber Alica hinterließ keine brennenden Fußspuren, Pias Rücken brach nicht in der Mitte durch, und zu ihrer beider Erleichterung entpuppten sich die Bäume auch nicht als menschenfressende Ungeheuer, die sich nur als Nadelbäume mit erstaunlich dicken Stämmen tarnten, sondern als ganz normale Bäume.

Lion dirigierte den Wagen gute zwanzig Meter tief in den Wald hinein, bis sie eine halbrunde Lichtung erreichten. In ihrer Mitte befand sich eine mit Steinen grob eingefasste Feuerstelle, die aber offenbar schon seit Längerem nicht mehr benutzt worden war. Die Büsche an ihrem Rand wuchsen irgendwie seltsam, als wären sie so oft immer wieder geknickt und nachgewachsen und wieder abgebrochen worden, bis die Natur schließlich kapituliert und sie in sonderbar falschen Winkeln hatte wachsen lassen. Offensichtlich wurde diese Lichtung nicht zum ersten Mal als Lagerplatz benutzt. Dieser Ort entsprach nicht unbedingt Pias Vorstellung von einem idealen Versteck.

Sie äußerte ihre Bedenken auch laut, aber Lion schüttelte den Kopf. »Wenn wir verfolgt würden, dann hätte ich das gemerkt«, sagte er überzeugt. »Und selbst wenn nicht, hätten sie uns längst eingeholt. Aber ich sehe mich gerne um, wenn Ihr es wünscht.«

»Das ist nicht nötig«, sagte sie, ebenso hastig wie auch ein bisschen schuldbewusst. Lion war sicher in weitaus besserer Form als Alica und sie, aber er hatte genau wie sie einen dreistündigen Fußmarsch hinter sich und ihm stand eine kleine Rast genauso zu.

Doch es war bereits zu spät. »Ihr habt vollkommen recht, Erhabene«, sagte er. »Ich bin für Eure Sicherheit verantwortlich. Ich werde mich ein wenig umsehen. Ruht Euch in der Zwischenzeit aus. Ihr könnt etwas essen, aber macht kein Feuer. Das wäre zu gefährlich.« Und damit verschwand er, schnell und trotz des dicht wachsenden Unterholzes so gut wie lautlos.

»Wohin geht er?«, erkundigte sich Alica. »Für kleine Cowboys?«

»Keine Ahnung«, antwortete Pia kühl. »Willst du ihm hinterher und nachsehen?«

Alica zog eine Grimasse, antwortete aber nicht mehr, sondern suchte sich einen frei stehenden Baum, beäugte ihn einen Moment lang sehr misstrauisch und setzte sich dann. Sie schloss die Augen und lehnte sich mit einem tiefen Seufzen gegen den glatten Stamm.

»Wenn das Ding plötzlich Augen und Zähne entwickelt und mich aufzufressen versucht, weck mich nicht«, murmelte sie. »Vielleicht geht es ja schnell.«

Pia sah sich einen Moment lang suchend um, ging dann zu einem anderen Baum und lehnte sich auf dieselbe Weise dagegen. Sie fühlte sich unendlich müde, aber auf eine sehr seltsame Art, als würde sie nicht einschlafen, wenn sie jetzt nachgab. Ganz im Gegenteil. Da war eine Unruhe in ihr, die mit jedem Moment stärker zu werden schien und deren wahren Grund sie zwar noch verleugnen konnte, das aber bestimmt nicht mehr lange. Sie war auch gar nicht sicher, ob sie es überhaupt wollte.

Nach einer Weile kam Lasar zu ihnen. Pia hatte nichts von irgendwelchen Vorbereitungen bemerkt, aber er hielt zwei reichlich ramponierte Blechteller in den Händen, auf denen sich eine kalte Mahlzeit befand, die unappetitlich aussah und noch schlechter schmeckte. Alica stellte den Teller nach dem ersten Bissen empört ab, doch Pia dachte daran, dass keiner von ihnen wusste, was der morgige Tag bringen würde und wann sie die nächste Mahlzeit bekämen, und zwang sich, den Teller vollkommen zu leeren – auch wenn sie sich mit jedem Bissen, den sie hinunterwürgte, ernsthafter fragte, ob sie Nanis Mann nicht letzten Endes einen Gefallen erwiesen hatte, falls das ihre normalen Kochkünste waren …

Lasar kam und holte nicht nur das schmutzige Geschirr, sondern brachte ihr auch einen Becher mit Wasser, das ausnahmsweise ausgezeichnet schmeckte. Trotzdem hätte sie in diesem Moment ohne zu zögern ihre Seele verkauft für eine einzige Tasse Kaffee … oder doch wenigstens die Alicas.

Der Gedanke zauberte ein flüchtiges Lächeln auf ihre Lippen und ließ sie zugleich den Kopf drehen – Alica hatte jetzt lange genug geschmollt, und es wurde allmählich Zeit, dass sie sich wieder vertrugen –, doch Alica war nicht mehr da. Pia entdeckte sie nach einem kurzen Moment auf der anderen Seite der Lichtung. Sie war vor einem Busch in die Hocke gegangen und tat irgendetwas, das sie nicht genau erkennen konnte.

Pia leerte sorgfältig ihren Becher, stellte ihn noch sorgfältiger neben sich auf den Boden und ging zu ihr. Alica war nicht vor einem Busch in die Hocke gegangen, sondern vor einer schlanken Pflanze mit gut halbmeterlangen, faserigen Blättern, die ein bisschen wie fettes Farn aussah. Pia sah sie fragend an.

»Das könnte funktionieren«, sagte Alica nachdenklich. »Ich bin nicht ganz sicher, was die Konsistenz angeht, aber wenn man sie trocknet und eine Weile liegen lässt …«

»Du gibst wohl nie auf, wie?«, fragte Pia.

»Aufgeben? Ich habe noch nicht einmal angefangen, wie könnte ich da aufgeben?«

»Meinst du nicht, dass du dich allmählich lächerlich machst?«, fragte Pia sanft.

Offenbar war es trotzdem der falsche Tonfall gewesen, denn Alica funkelte sie einen Moment lang fast hasserfüllt an. »Das sagst ausgerechnet du?«, fauchte sie. Ihre Finger strichen weiter an dem vermeintlichen Farnblatt entlang. »Du bist doch schuld daran, dass meine gesamten Zigarettenvorräte zum Teufel sind!«

»Es war genau eine Zigarette«, antwortete Pia.

»Trotzdem war es alles, was ich noch hatte«, beharrte Alica. »Jetzt kann ich sehen, wie ich an Nachschub komme!«

Pia gab auf. Es gab Dinge, über die konnte man mit Alica nicht sprechen. Eigentlich über eine ganze Menge Dinge, wenn sie es recht bedachte.

Sie sah ihr noch ein paar Sekunden lang zu, wandte sich dann um und ließ ihren Blick über den Rand der Lichtung wandern. Sie brauchte nur ein paar Sekunden, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte.

»Darf ich fragen, wo du hingehst?«, erkundigte sich Alica, als sie sich in Bewegung setzte.

»Ach, nirgendwohin. Ich will nur sehen, ob ich vielleicht ein paar Haschischpflanzen finde.«

Alica knurrte irgendeine Antwort, von der es vermutlich besser war, dass sie sie nicht verstand, und Pia bog vorsichtig das Unterholz auseinander und folgte der Spur aus geknickten Zweigen und niedergetrampeltem Unterholz, die Lion hinterlassen hatte. Wenn sie bedachte, wie vollkommen lautlos er sich bewegt hatte, dann hatte er eine eigentlich schon erstaunlich deutliche Spur hinterlassen. Pia war völlig unerfahren in solchen Dingen, aber selbst ihr fiel es leicht, seiner Spur zu folgen.

Ungefähr hundert Schritt weit, dann löste sich eine dunkle, sehr hochgewachsene Gestalt aus den Schatten des Waldes und vertrat ihr den Weg.