Und es würde auch niemand kommen. Sie würde hier sterben, bald, wenn sie endgültig verdurstet war oder das Fieber ihren Körper aufgezehrt hatte. Noch war sie nicht so weit, diesen Moment herbeizusehnen, aber das würde kommen. Bald.
Das Poltern wiederholte sich, und nun gesellte sich auch das Geräusch schwerer Schritte hinzu, dann hörte sie das Klappen eines hölzernen Riegels, hob mühsam den Kopf und schloss im nächsten Moment gequält die Augen, als die Tür ihres Gefängnisses aufging und grelles Licht so schmerzhaft wie eine Messerklinge in ihre Augen stach. War es schon wieder Zeit für die Soldaten, ihr Wasser zu bringen?
Das Gerede wurde lauter und klang plötzlich aufgeregter, dann näherten sich schnelle Schritte. Rotes Licht drang durch ihre geschlossenen Lider, und sie spürte die Hitze einer Fackel auf dem Gesicht.
»Bei Kronn! Wer ist für diese Ungeheuerlichkeit verantwortlich?«, keuchte eine Stimme, in der sich Zorn und Abscheu mischten.
»Aber Ihr habt doch …«, begann eine andere Stimme und wurde von einem klatschenden Laut zum Schweigen gebracht. Die Fackel näherte sich ihrem Gesicht noch weiter und wurde dann rasch zurückgezogen, als ihr Besitzer anscheinend sah, dass er im Begriff stand, sie zu verbrennen.
»Prinzessin Gaylen?«, fuhr die Stimme fort, die jetzt nicht mehr aufgebracht und zornig klang, sondern beinahe ängstlich. »Könnt Ihr mich hören?«
Die Bewegung fiel ihr unendlich schwer, doch irgendwie gelang es ihr, den Kopf zu heben und die Augen zu öffnen. Vor ihr war ein Durcheinander aus rotem Licht, das immer noch wehtat, und Schatten, die zu einem vertrauten Gesicht zusammenfließen wollten, ohne dass es ihnen wirklich gelang. Dann erkannte sie es, und die schwache Erinnerung an ein Gefühl namens Hass regte sich in ihr und erlosch beinahe sofort wieder. Sie war zu müde.
»Könnt Ihr mich verstehen, Erhabene?«, fragte Istvan.
Verstehen, ja, aber antworten konnte sie nicht. Sie hätte es auch nicht gewollt. Er war gekommen, um seine Rache zu genießen, und es gab nichts, was sie dagegen auszurichten vermochte – aber die Genugtuung, sie um ihr Leben betteln zu hören, würde sie ihm nicht gönnen.
Wenigstens noch nicht.
»Bei Kronn, jemand wird dafür bezahlen, das schwöre ich!«, sagte Istvan. Seine Stimme bebte vor Wut und wurde dann lauter. »Macht sie los! Und ruft eine Heilerin, die sich um ihre Wunden kümmert. Und dann sorgt dafür, dass sie gewaschen wird und zu essen bekommt!«
Das Poltern wiederholte sich, und der Tanz von rotem Licht und Schatten wurde hektischer. Rasche Schritte entfernten sich und grobe Hände machten sich an ihrem Körper zu schaffen, dann lösten sich ihre Handfesseln und Pia brach zusammen. Starke Hände fingen sie auf, und ihr erleichtertes Seufzen ging in einen wimmernden Schmerzlaut über, als ihre verkrampften Oberarmmuskel nach mehr als drei Tagen in eine Haltung gezwungen wurden, in der sie sich in flüssiges Feuer zu verwandeln schienen.
Das Schicksal war nicht barmherzig genug, sie das Bewusstsein verlieren zu lassen, aber immerhin versank sie für die nächsten beiden Stunden in eine Art Dämmerzustand zwischen Trance und Ohnmacht, in dem sie alles, was um sie herum und mit ihr geschah, nur noch wie durch einen dämpfenden Nebel hindurch wahrnahm.
Selbst das Verstreichen der Zeit … entglitt ihr. Starke und nicht wirklich behutsame Arme hoben sie auf und wickelten sie in eine übel riechende Decke, dann wurde sie eine lange Treppe hinaufgetragen und gleißendes Licht hüllte sie ein. Kälte, noch schlimmere Kälte und grausame Kälte wechselten einander ab, und irgendwann wurde sie in eine Wanne mit heißem Wasser gelegt. Eine Frau, die mindestens achtzig Jahre alt sein musste, aber kaum so groß wie ein zwölfjähriges Kind war und ihrem Blick die ganze Zeit über auswich, badete sie ausführlich, wusch anschließend noch einmal und noch gründlicher ihre Wunden aus und versorgte sie mit einer scharf riechenden, aber kühlenden Salbe, bevor sie sie mit großer Kunstfertigkeit verband. Pia dämmerte ganz allmählich in einen Zustand hinauf, in dem sie wieder zu Scham und anschließend zu Stolz fähig war, aber nicht die Kraft aufbrachte, irgendetwas gegen das zu unternehmen, was mit ihr geschah.
Die Alte versorgte ihre Wunden zwar mit großer Kunstfertigkeit, aber nicht besonders sanft, doch Pia gab nicht einmal einen Laut der Klage von sich. Als sie fertig war – nach einer Prozedur, die mindestens zwei Stunden gedauert hatte und ihr wie das Zehnfache dieser Zeit vorgekommen war –, half sie ihr, ein sauberes Kleid anzuziehen und bürstete ausgiebig (und kein bisschen sanfter als zuvor) ihr Haar. Pia hatte sich inzwischen weit genug erholt, um dagegen protestieren zu wollen, aber sie konnte es nicht. Ihre Arme schmerzten zwar nicht mehr so grausam wie bisher, waren jedoch vollkommen gelähmt und nutzlos, und obwohl sie ausgiebig getrunken hatte und die Alte ihr auch jetzt immer wieder kleine Schlückchen einer heißen, würzig schmeckenden Suppe einflößte, war ihre Kehle noch immer so ausgetrocknet, dass sie nicht einmal ein Krächzen herausbrachte, geschweige denn ein halbwegs verständliches Wort. Als sie es mit bloßer Willenskraft trotzdem versuchte, bezahlte sie dafür mit einem qualvollen Hustenanfall, der ihr die Tränen in die Augen trieb.
Sie wartete darauf, dass Istvan kam, um mit ihr zu reden – oder irgendjemand anderes –, und ein- oder zweimal glaubte sie auch Schritte draußen vor der Tür zu hören, aber sie wurde nicht geöffnet, und die alte Frau blieb ihre einzige Gesellschaft.
Später bekam sie etwas zu essen, von dem sie nur ein paar winzige Bissen hinunterbrachte und Mühe hatte, selbst diese bei sich zu behalten, und noch später führte die alte Frau sie in ein anderes Zimmer, das bis auf ein Bett, einen einzelnen Stuhl und einen Kamin vollkommen leer war. In dem Kamin prasselte ein für hiesige Verhältnisse gewaltiges Feuer, das das Zimmer mit behaglicher Wärme erfüllte (die alte Frau litt vermutlich Höllenqualen), und Pia registrierte fast amüsiert, dass das Fenster vergittert und zusätzlich mit einem groben Vorhängeschloss gesichert war – als wäre sie in der Verfassung, sich aus eigener Kraft auf den Beinen zu halten, geschweige denn aus dem Fenster zu klettern!
Sie hatte ohnehin nur Augen für das Bett. Es war breit, bequem und frisch bezogen, und es roch nicht nur herrlich, sondern war eigentlich das erste richtige Bett, das sie seit ihrer Ankunft in WeißWald zu sehen bekam; zumindest das erste, das diesen Namen verdiente. Allein sein Anblick stellte eine Verlockung dar, der sie kaum widerstehen konnte. Zugleich erfüllte es sie mit einer Furcht, die an Panik grenzte. Sie würde einschlafen, wenn sie sich hinlegte, und dann würden die Dunkelheit und die Träume zurückkommen, die sie in den zurückliegenden drei Tagen so sehr gequält hatten.
Pia streckte sich trotzdem darauf aus und ließ es zu, dass die Alte eine saubere Decke über ihr ausbreitete, zwang sich aber mit aller Kraft, die sie nur aufbringen konnte, die Augen offen zu halten, und drehte schließlich mühsam den Kopf auf dem Kissen, um das vergitterte Fenster hoch oben in der Wand zu fixieren. Es war grau, und trotz der wohligen Temperaturen, die hier drinnen herrschten, konnte man ihm regelrecht ansehen, wie kalt es draußen war.
Dann gab es so etwas wie einen spürbaren Ruck in der Wirklichkeit, und aus dem Grau des verblassenden Tages wurde die Morgendämmerung eines anderen.
Ein Teil von ihr begriff sofort, was geschehen sein musste. Sie war eingeschlafen, und das hier war ein anderer Tag. Aber sosehr sie es auch versuchte, sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, geschlafen oder gar geträumt zu haben.
»Drei Tage, Erhabene«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Pia fuhr so hastig hoch und halb herum, dass ihr prompt schwindelig wurde. Übelkeit und Schwäche wollten sich hinzugesellen, aber sie drängte beides zurück, blinzelte ein paarmal und zwang ihre Augen, sich scharf zu stellen.