Brack hatte wieder am Tisch Platz genommen, und auch der Betrunkene war wieder aufgestanden und auf den Hocker geklettert, wenn auch nur, um erneut nach vorne zu sinken und mit dem Gesicht in einer Bierlache einzuschlafen. Wenigstens hoffte Pia, dass es Bier war.
»Ach«, sagte er. »Das ging schnell!«
»Da … da draußen …«, stammelte Pia.
»Ist draußen, ja, ich weiß«, sagte Brack und trank schlürfend einen Schluck Bier.
»Ja, aber da waren auch …«
»Hinter der Theke«, unterbrach sie Brack und machte eine entsprechende Kopfbewegung. »Im Boden ist eine Klappe.«
»Was hat er gesagt?«, murmelte Alica.
Statt Zeit mit einer Antwort zu verschwenden, legte Pia ihr beide Hände auf die Schultern und bugsierte sie unsanft vor sich her hinter die improvisierte Theke. Der Boden war hier mit feuchtem Stroh bedeckt, das alles andere als vertrauenerweckend roch, und sie musste einen Moment suchen, bis sie die Klappe entdeckte, von der der Fettsack gesprochen hatte. Die Klappe maß kaum fünfzig Zentimeter im Quadrat, hatte schwere eiserne Scharniere und einen noch schwereren Ring, an dem Pia sie mit einiger Mühe in die Höhe zog. Sie hatte eine Leiter oder Treppe erwartet, blickte aber nur in einen kaum kniehohen Keller, dessen Boden noch weit weniger appetitlich aussah als der hier oben.
»Beeil dich lieber, Mädchen«, sagte Brack. »Sie sind gleich da.«
Dass ließ sich Pia nicht zweimal sagen. Da sie keine Lust auf weitere sinnlose Diskussionen hatte, schubste sie Alica kurzerhand in den Kriechkeller hinab, sprang hinterher und presste ihr rein prophylaktisch schon wieder die Hand auf Mund und Nase, während sie mit der anderen nach der Klappe angelte und diese über sich zuzog.
Keinen Moment zu früh. Sie schloss die Klappe nicht vollständig, sondern ließ sie einen halben Zentimeter weit offen, gerade genug, um durch den Spalt nach draußen spähen zu können, und kaum hatte sie es getan, wurde die Tür des Gasthauses aufgestoßen, und zwei schwere, mit zerschrammtem Metall beschlagene Stiefelpaare polterten herein.
»Brack!«, sagte eine raue Stimme. »So spät noch Gäste?«
»Mitnichten, Hauptmann«, antwortete Brack. Seine Stimme klang mit einem Mal vollkommen nüchtern. »Meine Cousins und ich sitzen hier nur noch ein bisschen beieinander.«
»So spät in der Nacht?«
»In der Tat, es ist spät geworden.« Sie konnte sehen, wie Brack aufstand und sich seine in Schnürsandalen steckenden Füße den beiden Stiefelpaaren näherten. »Wie die Zeit doch vergeht, wenn man ins Reden kommt und über alte Zeiten fabuliert.«
»Ist hier gerade jemand hereingekommen?« Neben den Stiefelpaaren senkte sich etwas zu Boden, das wie ein zu dick geratener Besenstiel aussah. Oder auch ein Speer.
»Hier?« Brack lachte. »Wer sollte sich denn hierher verirren? Die ersten Gäste seit Mitternacht seid Ihr, Hauptmann. Möchtet Ihr und Euer Begleiter einen Krug Bier? Oder einen heißen Becher Wein? Der hilft, die Kälte aus den Knochen zu vertreiben.«
»Und es ist ganz bestimmt niemand hereingekommen?«, beharrte der Hauptmann, ohne auch nur mit einem Wort auf Bracks Angebot einzugehen.
»Ganz bestimmt nicht«, antwortete Brack. »Ich gebe ja zu, dass ich ein wenig zu viel von meiner eigenen Ware probiert habe, aber so betrunken bin ich nun doch nicht. Ihr könnt Euch gerne hier umsehen, wenn Ihr wollt. Nur keine Hemmungen. Mein Haus steht ohnehin fast leer. Ich habe nur zwei Gäste, und die waren schon nach dem Abendessen so betrunken, dass ich meine liebe Mühe hatte, sie in ihre Zimmer hinaufzubekommen. Sie wachen bestimmt nicht auf.«
»Das … wird nicht nötig sein«, antwortete der Hauptmann; allerdings erst nach gehöriger Verspätung und alles andere als überzeugt. Vielleicht hatte er einfach nur keine Lust, die steile Treppe hinaufzugehen. »Aber Ihr haltet die Augen offen und meldet, wenn Euch etwas auffällt.«
»Sicher.«
Die beiden Stiefelpaare polterten wieder hinaus, und Bracks schmutzige Füße folgten ihnen und blieben eine geraume Weile vor der Tür. Schließlich hörte Pia das Geräusch eines schweren Riegels, der vorgelegt wurde.
»Ihr könnt jetzt rauskommen, Mädchen«, sagte Brack.
Pia wuchtete die schwere Klappe nach oben, zog sich mit einer kraftvollen Bewegung aus dem Keller und griff hinter sich, um auch Alica hochzuhelfen, erntete aber nur einen zornigen Blick. Achselzuckend richtete sie sich endgültig auf und drehte sich zu Brack herum.
»Mädchen, Mädchen«, seufzte der Fettwanst. »Sagt mir einen einzigen vernünftigen Grund, aus dem ich meinen Hals riskiert habe, um für euch zu lügen.«
»Weil ich ansonsten gelogen und behauptet hätte, dass wir mit deinem Wissen hier sind?«, schlug Pia vor.
Einen Moment lang war sie fast sicher, den Bogen überspannt zu haben, denn in Bracks Augen blitzte es kurz und eindeutig wütend auf. Dann aber sah er eher verdutzt aus, und nach einem weiteren Atemzug lachte er sogar. »Ja, ich glaube, jetzt weiß ich es.«
Pia musste ein Lächeln unterdrücken. Erneut erinnerte Brack sie irgendwie an Esteban, auch wenn die beiden sich gar nicht ähnlich sahen; wenn man ihr Übergewicht einmal außer Acht ließ. »Danke«, sagte sie einfach.
»Wenn ihr euch bedanken wollt, dann sagt mir, wie ihr hergekommen seid«, antwortete Brack. Sein Lächeln war schon wieder erloschen. »Und welcher von diesen beiden Dummköpfen da oben auf die Idee gekommen ist, nicht nur meinen und eure Hälse zu riskieren, sondern auch noch die Zukunft meines Geschäfts.«
»Also, wie gesagt, das ist …«
»Nicht so einfach zu erklären, ich weiß, ich weiß.« Brack winkte ab. »Jetzt kommt erst mal da raus und setzt euch. Ich nehme an, ihr habt nichts gegen einen Krug Bier einzuwenden? Auf Kosten des Hauses, versteht sich.«
Pia hatte sogar eine ganze Menge dagegen einzuwenden. Sie hatten schon viel zu viel Zeit verloren. »Ich weiß nicht, ob wir …«, begann sie.
»Oh, ihr habt es eilig?«, grinste Brack. Er machte eine Geste zur Tür. »Nur zu. Ich bin sicher, der Hauptmann und sein Kamerad freuen sich über ein bisschen Gesellschaft. Die Nacht ist kalt. Da kommt einem jedes bisschen Wärme recht.«
»Hm«, machte Pia. Die Vorstellung, sich zu Brack und den beiden Betrunkenen an den Tisch zu setzen, rief nicht gerade Begeisterungsstürme in ihr hervor. Aber noch einmal nach draußen zu gehen … »Warum nicht?«
»Irgendwie dachte ich mir, dass du das sagen würdest«, grinste Brack. Er schlurfte voraus, stieß den Betrunkenen unsanft zur Seite (er fiel prompt wieder vom Hocker und schlief ungerührt auf dem Boden weiter) und fuhr mit dem Hemdsärmel über den Tisch, vermutlich in der Absicht, ihn sauber zu wischen, nichtsdestoweniger aber mit dem Ergebnis, die Schweinerei nur weiter zu verteilen.
»Setz dich, Mädchen. Ich hole dir einen Becher Bier. Deiner Freundin auch, nehme ich an?« Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern verschwand kurzatmig schnaubend hinter der primitiven Theke, und Pia nahm widerstrebend Platz. Alica auch. Noch widerstrebender.
»Kannst du mir vielleicht verraten, was hier gespielt wird?«, fragte Alica.
»Das weiß ich selbst nicht genau«, antwortete Pia. »Hör doch einfach zu.«
»Sehr witzig«, nörgelte Alica.
Pia sah sie verständnislos an und war fast erleichtert, als Brack in diesem Moment zurückkam und zwei hölzerne Trinkbecher vor ihnen auf die Tischplatte knallte. Sie sahen aus wie zwei winzig kleine in der Mitte durchgeschnittene Fässer, komplett mit einem eisernen Reif, der in den Henkel überging. Ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, schenkte er ihnen aus einem bauchigen Krug ein, der auf dem Tisch stand, und machte eine aufmunternde Geste. Pia probierte vorsichtig, und Alica tat dasselbe und nahm dann einen fast schon unanständig großen Schluck.
»Das ist Bier«, sagte sie, nachdem sie sich den Schaum von den Lippen gewischt hatte. Brack runzelte die Stirn.
»Hat er doch gesagt«, antwortete Pia. Sie nippte noch einmal und musste zugeben, dass das Zeug gut schmeckte. Sehr gut sogar.