»Ha, ha«, sagte Alica. »Hab ich dir schon gesagt, dass du echt lustig bist?«
Pia verstand immer weniger, was sie überhaupt meinte, und wandte sich wieder an Brack. »Vielen Dank. Das ist sehr freundlich von Ihnen. Und ich kann nur noch einmal sagen, dass es mir leidtut. Wir wollten Ihnen ganz bestimmt keine Schwierigkeiten bereiten.«
»Ich war gerade oben und habe mit Teroc und Brasil gesprochen, als deine Freundin und du draußen gewesen seid und die frische Luft genossen habt«, sagte Brack, ohne auf ihre Worte einzugehen. »Weißt du, was? Ich glaube fast, du sagst die Wahrheit. Die beiden sind so besoffen, dass sie sich nicht einmal mehr an ihre Namen erinnern. Also – wie seid ihr hier reingekommen?«
»Das ist wirklich eine lange Geschichte«, antwortete Pia ausweichend.
»Oh, wir haben Zeit«, sagte Brack. Er grinste weiter, aber seine Augen lachten nicht.
»Und wir wollen Sie wirklich nicht mit hineinziehen«, fuhr Pia behutsam fort. »Es könnte unter Umständen gefährlich werden. Ich möchte nicht, dass sie unseretwegen Ärger bekommen.«
»Gefährlicher, als diese Halsabschneider von der Wache zu belügen?« Brack schüttelte den Kopf. »Wohl kaum.«
»Sag mal – würde es dir viel ausmachen, mich an eurem vertraulichen Gespräch teilhaben zu lassen?«, fragte Alica leicht genervt.
»Was hat deine Freundin?«, fragte Brack.
»Ach, nichts«, antwortete Pia hastig. »Sie ist ein bisschen nervös, das ist alles. Wir sind …« Sie entschied spontan, so nahe bei der Wahrheit zu bleiben wie möglich, allein um sich nicht in Widersprüche zu verwickeln und diesen sonderbaren Brack nicht noch misstrauischer zu machen, als er ohnehin schon war. »Jemand war hinter uns her.«
»Ein unzufriedener Kunde?«
»Wir sind einfach gerannt«, fuhr sie fort, ohne auf diese mit großer Wahrscheinlichkeit anzüglich gemeinte Bemerkung einzugehen. Bracks Zähne waren zwar zum Gotterbarmen schlecht, aber vermutlich zog er es vor, sie noch eine Weile zu behalten. »Das hier war einfach das erstbeste Versteck, das wir gefunden haben.«
»Und da seid ihr durch die Hintertür rein«, vermutete Brack und gab sich auch gleich selbst die Antwort. »Hundertmal habe ich diesem Nichtsnutz gesagt, er soll alle Türen und Fenster kontrollieren, bevor er geht, und hundertmal hat er es nicht getan! Ich sollte ihn den Schweinen zum Fraß vorwerfen!«
»Wen?«
»Lasar, diesen Taugenichts!«, schnaubte Brack. »Er hat behauptet, er wäre Küchenjunge bei Hofe gewesen, um sich die Anstellung hier zu erschleichen! Wahrscheinlich hat er das Schloss noch nicht einmal von Weitem gesehen! Ich werde ihn den Schweinen zum Fraß vorwerfen!«
Küchenjunge?, dachte Pia. Schloss?
»Ich verstehe kein Wort«, sagte Alica scharf.
Pia auch nicht. Sie sah Brack abwartend an, und erneut stieg ihr der Duft von gebratenem Fleisch und Brot in die Nase, mit einem Mal so intensiv, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief und ihr Magen hörbar knurrte.
»Klingt so, als wärt ihr wirklich lange auf der Flucht gewesen«, sagte Brack feixend. »Warte einen Moment.« Er stand auf, verschwand hinter der Theke und einen Moment später in den Schatten dahinter. Pia hörte ihn irgendwo rumoren.
»So, also allmählich langt es mir!«, fauchte Alica. »Was. Ist. Hier. Los?«
»Das weiß ich genauso wenig wie du«, antwortete Pia, so ruhig sie konnte. »Aber sollte mich plötzlich ein Blitzstrahl göttlicher Eingebung treffen, dann bist du die Erste, der ich es mitteile, ganz bestimmt.«
Sie wäre nicht erstaunt gewesen, hätte Alica noch zorniger reagiert – eigentlich erwartete sie es sogar –, aber die junge Frau sah eher verletzt aus.
Wenigstens hielt sie die Klappe.
Brack kam zurück. Hätte Pia auch nur die geringsten Zweifel an dem gehabt, was er war, hätte spätestens dieser Anblick sie zerstreut. Er balancierte zwei flache Teller aus Metall auf einer Hand und dem Unterarm, und das mit einem solchen Geschick, wie es auf der ganzen Welt nur Kellner und Gastwirte können. Schwungvoll stellte er sie vor Alica und ihr ab, zauberte zwei Essbestecke – zweischneidige kurze Messer und sonderbar geformte Gabeln mit nur zwei Zinken – aus der schmierigen Tasche seiner Weste und wedelte auffordernd mit der anderen Hand. »Greift ruhig zu.«
Pia musste sich beherrschen, um sich nicht wie eine ausgehungerte Löwin auf den Teller zu stürzen, auf dem zwei dunkle Bratenscheiben und eine großzügige Portion eines ihr gänzlich unbekannten Gemüses lagen, außerdem gleich drei Scheiben des köstlich duftenden Brotes. Alles schwamm in einer dickflüssigen, fetten Soße, die beinahe noch besser roch.
»Nur zu«, wiederholte Brack. »Bloß keine Hemmungen, Mädchen. Es kostet nichts. Ist sowieso von gestern Abend übrig geblieben. Früher sind die Geschäfte besser gelaufen, aber ich habe mir immer noch nicht angewöhnt, kleinere Portionen zuzubereiten.«
Pia zögerte zwar noch einen letzten Moment, nahm dann aber das seltsame Besteck zur Hand und probierte vorsichtig.
Und nach dem ersten Bissen gab es kein Halten mehr.
Es war nicht nur der nagende Hunger. In den ersten Augenblicken fiel es ihr nicht einmal auf, und sie schob es ganz und gar darauf, vollkommen ausgehungert zu sein, doch bald stellte sie fest, dass es eher am Essen selbst lag. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Köstlicheres zu sich genommen zu haben. Das Fleisch war frisch, zart wie Butter und trotzdem bissfest, das Brot kross und gerade weich genug, um nicht unangenehm auf der Zunge zu sein, und die Soße schmeckte nach nichts, was sie jemals probiert hätte. Aber absolut köstlich. Das Gemüse war ihr zwar immer noch fremd, doch es schmeckte einfach fantastisch. Sie leerte ihren Teller in Rekordzeit und ertappte sich dabei, einen fast schon gierigen Blick auf Alicas zu werfen, auf dem sich noch mehr als die Hälfte der ursprünglichen Portion befand.
Hastig sah sie weg und dann wieder zu Brack hin und wurde mit einem breiten Grinsen und dem Anblick seiner erbärmlich schlechten Zähne belohnt.
»Na, das ist doch mal eine Freude«, sagte er.
»Hmwasch?«, fragte Pia mit vollem Mund.
»Zu sehen, wie es einem Gast schmeckt«, sagte er lachend. »Man könnte meinen, ihr wart eine Woche auf der Flucht.«
»Was sagt er?«, fragte Alica. Pia ignorierte sie.
»Ganschscholangewaresch…« Sie schluckte den letzten Bissen hinunter und setzte noch einmal an. »Ganz so lange war es nicht. Aber es war ziemlich anstrengend. Und das Essen ist wirklich köstlich«, beeilte sie sich hinzuzufügen.
»Ja danke.« Brack verzog die Lippen zu einem plötzlich völlig humorlosen Lächeln. »Aber jetzt bist du mir ein paar Antworten schuldig, meine ich. Wer ist hinter euch her? Und warum?«
»Die Peraltas«, antwortete Pia. »Jedenfalls dachten wir das. Aber jetzt … bin ich nicht mehr ganz sicher.«
»Was erzählst du von den Peraltas?« Alica setzte sich stocksteif auf und wirkte alarmiert. Pia ignorierte sie weiter.
»Die Peraltas?« Brack sprach den Namen nicht nur auf eine sonderbare Art aus, sondern dachte auch sichtbar angestrengt über seinen Klang nach, und schüttelte dann den Kopf. »Nie gehört. Was wollten sie von euch?«
»Sie glauben, wir hätten ihnen etwas gestohlen«, antwortete Pia. »Aber das stimmt nicht.«
»Natürlich nicht«, sagte Brack.
»He, was quatscht ihr da von den Peraltas?«, fragte Alica.
»Verdammt, hör doch einfach zu!«, fauchte Pia. Allmählich gingen ihr Alicas Albernheiten gehörig auf die Nerven.
»Würd ich ja gerne«, antwortete Alica. »Wenn ich auch nur ein Wort verstehen würde. Das wolltest du doch jetzt hören, oder? Dass ich dämlich bin.«
»Na ja, das mag sein«, antwortete Pia gepresst, »aber das ändert nichts daran, dass du dich im Moment ziemlich albern benimmst, findest du nicht auch?«
»Nein«, sagte Alica.
»Wie ist dein Name, Mädchen?«, mischte sich Brack in leicht ärgerlichem Ton ein.
Pia, wollte Pia antworten. Stattdessen hörte sie sich zu ihrer eigenen Verblüffung sagen: »Gaylen.«