»Gaylen«, wiederholte Brack seufzend. »Ja natürlich. Was auch sonst?«
Pia starrte ihn mit einem Ausdruck von Fassungslosigkeit an, der einzig und allein ihr selbst galt. Gaylen? Warum um alles in der Welt hatte sie das gesagt? Gaylen, das war der Name, mit dem sie ihr seltsamer Verbündeter mit dem Silberhelm angesprochen hatte. Sie war sicher, ihn noch nie zuvor gehört zu haben, und noch nicht einmal sicher, ob es sich tatsächlich um einen Namen handelte, aber er war ihr so glatt und selbstverständlich über die Lippen gekommen, als wäre sie ihn zeit ihres Lebens gewöhnt.
Brack seufzte noch einmal und irgendwie resignierend, sah sie einen Moment lang fast erwartungsvoll an und deutete dann auf Alica. »Und deine seltsame Freundin?«
Pia musste trotz allem lächeln. Immerhin hatten sie gerade eine Gemeinsamkeit entdeckt: Sie beide fanden Alica seltsam. »Alica«, sagte sie.
»Alica«, wiederholte Brack. Er sprach es falsch aus, nicht wie Alischah, sondern mit einem harten, klackenden k.
»Wenn ihr zwei Hübschen wollt, dass ich ein bisschen spazieren gehe, während ihr über mich redet, dann musst du es nur sagen«, sagte Alica. Pia wandte widerwillig den Kopf und starrte sie an.
»Es ist nicht besonders höflich, in einer Sprache zu sprechen, die nicht alle am Tisch verstehen, Alica«, sagte Brack betont.
»Wie?«, machte Alica.
»Was?«, fragte Pia.
»Was ist mit deiner Freundin?«, fragte Brack. »Spricht sie unsere Sprache nicht?«
»Was brabbelt er da?«, fragte Alica.
»Wovon … redest du?«, fragte Pia verwirrt. Sie war nicht einmal ganz sicher, wem diese Frage galt.
»Seid ihr Ausländerinnen?«, wollte Brack wissen.
»Was hat er gesagt?«, fragte Alica.
»Wenn ihr unsere Sprache nicht sprecht, dann müsst ihr wirklich von weit her kommen«, meinte Brack.
»Aber sie spricht doch …«, begann Pia.
Und dann verstand sie … oder auch nicht. Etwas wie eine unsichtbare Hand aus Eis mit viel zu vielen Fingern schien an ihrem Rückgrat entlangzustreichen. Fassungslos wandte sie sich zu Alica um.
»Du … verstehst nichts von dem, was er sagt?«, fragte sie ungläubig.
»Stell dir vor, nein«, antwortete Alica in patzigem Ton. »Kann ja sein, dass du dieses Kauderwelsch verstehst, aber für mich ist es nichts als Blabla.«
»Was sagt sie?«, wollte Brack wissen. Er klang ein bisschen ungeduldig. Vielleicht schon wieder misstrauisch.
»Was hat er gesagt?«, fragte Alica.
Das drohte kompliziert zu werden. Pia verdrehte (innerlich) die Augen und zählte nicht zum ersten Mal lautlos bis drei, bevor sie antwortete. »Ja, wir haben hier offensichtlich ein kleines Sprachproblem.«
»Stimmt«, sagten Brack und Alica wie aus einem Mund.
»Ja, das scheint mir auch so«, seufzte Pia. Für einen Moment wurde es sehr still. Aber sie kam auch wieder in den zweifelhaften Genuss des (sehr unangenehmen) Gefühls, sowohl von Alica als auch von Brack durchdringend angestarrt zu werden. Von dem Betrunkenen am Tisch übrigens auch.
»Ihr … ihr versteht euch nicht?«, vergewisserte sie sich noch einmal.
»Nein«, antworteten Alica und Brack unisono.
»Dann sollte ich vielleicht das Wichtigste übersetzen«, sagte sie zögernd. Oder wenigstens das, was sie selbst verstand.
»Das scheint mir eine gute Idee zu sein«, sagte Brack.
»Würde sich anbieten«, meinte Alica. Sie sah immer noch völlig fassungslos aus.
Pia wünschte sich weit, weit weg.
»Vielleicht«, wandte sie sich direkt an Brack, »können wir es für den Moment dabei belassen, dass wir fremd hier sind und in gewissen Schwierigkeiten stecken?«
Brack nickte. »Ja, stell dir vor: Darauf bin ich auch schon von selbst gekommen.«
Alicas Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
»Die Geschichte ist wirklich kompliziert«, fuhr Pia fort, leise und nun wieder an Brack direkt gewandt. »Und ziemlich lang. Und wir wollen dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Vielleicht wäre es tatsächlich das Beste, wenn wir einfach aufstehen und unserer Wege gehen.«
»Bestimmt sogar«, sagte Brack. »Wenn du das möchtest …die Tür ist offen. Ihr könnt gerne gehen. Wohin auch immer ihr wollt.«
»Was hat er gesagt?«, fragte Alica. Ihre Stimme klang jetzt beinahe hysterisch.
»Nichts«, antwortete Pia rasch. »Nur dass wir noch ein bisschen bleiben können, wenn wir wollen.«
Alica wirkte erleichtert, und Brack legte die Stirn in noch tiefere Falten und nahm einen gewaltigen Schluck Bier. »Eigentlich nicht.«
Pia seufzte. Noch tiefer.
»Ja, das verstehe ich. Und ich verspreche dir, alle deine Fragen zu beantworten, Brack …«
»Meine auch?«, fragte Alica.
»… soweit ich es kann. Aber dürfte ich vielleicht vorher ein paar Fragen an dich stellen?«
»Nur zu«, sagte Brack. Warum gefiel ihr der Blick eigentlich nicht mehr, mit dem er sie jetzt maß?
»Wo sind wir hier?«, fragte Pia. »Ich meine: dieses Gasthaus, diese Straße … die ganze Stadt? Wie heißt sie?«
Brack zog die Augenbrauen zu einem missbilligenden »V« zusammen. »Hat dir jemand auf den Kopf geschlagen, Mädchen?«
»In letzter Zeit nicht«, antwortete Pia. »Obwohl es der eine oder andere versucht hat.«
»Ja, das scheint mir auch so«, sagte Brack. Er trank einen weiteren, noch größeren Schluck Bier, und Alica hob ihren eigenen Krug und versuchte mit grimmiger Entschlossenheit, ihn zu übertrumpfen. Pia konnte nicht sagen, ob es ihr gelang oder nicht, aber es brachte ihr immerhin einen anerkennenden Blick von Brack ein.
»Deine Freundin hat einen kräftigen Zug«, kommentierte er.
»Wenn das eine Anzüglichkeit war, lernt er mich kennen«, sagte Alica.
»War es nicht«, antwortete Pia hastig. Sie nahm an, dass Alica die Bemerkung sowieso eher als Kompliment aufgefasst hätte, verzichtete aber darauf, sie zu übersetzen.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, wandte sie sich an Brack. »Diese Stadt. Wie heißt sie?«
»Und du hast mir immer noch nicht gesagt, wo ihr herkommt«, erwiderte Brack lächelnd. »Und jetzt sag bitte nicht schon wieder, dass das eine komplizierte Geschichte wäre. Das habe ich mittlerweile begriffen.«
»Ist es aber«, seufzte Pia. Bracks Blick wurde bohrend. »Also gut, auch wenn es sich vielleicht verrückt anhört: Nimm einfach für den Moment an, wir wären vom Himmel gefallen.«
»Vom Himmel?«, wiederholte Brack.
»Oder aus den Wolken, meinetwegen«, sagte sie. Was der Wahrheit im Übrigen ziemlich nahekam. Näher, als ihr lieb war.
»Aus den Wolken.« Brack leerte seinen Becher, schenkte sich sofort nach und sah sie mit enttäuschter Miene an. Aber nicht nur. Da war noch etwas in seinem Blick, das ihr gar nicht gefiel. »Also gut, du willst nicht darüber sprechen. Das ist deine Sache. Aber es bleibt die Frage, was ich jetzt mit euch anfange.«
»Anfange?«, wiederholte Pia misstrauisch. Alica warf ihr einen leicht beunruhigten Blick zu, angelte nach dem Krug und schenkte sich selbst nach.
»Ich kann euch schließlich nicht einfach auf die Straße jagen, nicht wahr?«, erklärte Brack. »Vielleicht habe ich euch ja auch falsch eingeschätzt, und ihr kommt wirklich von weit her und kennt euch mit unseren Gesetzen nicht so gut aus, wie ihr es besser solltet.«
»So könnte man es nennen«, sagte Pia vorsichtig. Alica trank neben ihr mit so großen Schlucken, als hätte sie sich vorgenommen, Bracks Vorsprung innerhalb der nächsten sechzig Sekunden aufzuholen.
»Ihr wärt nicht die Einzigen, die Ärger bekämen, wenn die Wache euch aufgreift«, fuhr er fort. »Ich ebenfalls. Und wenn mir eines zuwider ist, dann ist es Ärger mit der Obrigkeit.«
»Wem nicht?«, fragte Pia. Alica hatte ihren Becher bereits wieder geleert und schenkte sich nach.
»Blabla«, sagte sie.
»Was meint sie?«, fragte Brack.
»Blablablablablablabla«, sagte Alica.
»Nichts Besonderes«, antwortete Pia rasch. »Sie ist nur … ein bisschen durcheinander.«
»Bla«, stimmte ihr Alica zwischen zwei Schlucken zu.