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»Nichts«, erwiderte Pia.

»Deine Freundin ist wirklich erstaunlich«, sagte Brack, während er ebenfalls am Tisch Platz nahm und seine auffordernde Geste zum dritten Mal wiederholte. »Ich bin noch nie jemandem begegnet, der so viele Worte macht, um nichts zu sagen.«

»Was meint er?«, fragte Alica misstrauisch.

»Nichts«, sagte Pia. »Nur dass du dir dein Frühstück schmecken lassen sollst.«

»Genau genommen habe ich das nicht gesagt«, sagte Brack.

Pia zog es vor, darauf gar nichts mehr zu erwidern. Allmählich drohte die Sache wirklich kompliziert zu werden. Offensichtlich verstand weder Alica, was Brack sagte, noch umgekehrt Brack etwas von dem, was Alica sagte, ihre jeweiligen Antworten darauf aber sehr wohl. Vielleicht hatte Alica ja doch recht, und das alles hier war nur eine Halluzination. Wenn das stimmte, musste ihre Fantasie wirklich durchgeknallt sein.

Sie griff zu, und das Frühstück stellte sich zwar als weit einfacher als das verspätete Abendessen von gestern heraus, auf seine Art aber mindestens ebenso köstlich. Alica funkelte abwechselnd sie, Brack und die beiden Männer am Nebentisch mit verschiedenen Abstufungen von Feindseligkeit an, begann dann aber ebenfalls zu essen, und als Letzter griff auch Brack selbst zu. Sie frühstückten schweigend und ausgiebig, was zu einem Gutteil daran lag, dass das Essen so ausgezeichnet war. Pia vermisste ein wenig den starken Kaffee, den sie normalerweise brauchte, um richtig wach zu werden, aber das war auch der einzige (winzige) Wermutstropfen. Schließlich lehnte sie sich rundum zufrieden zurück und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, nicht auf einem Stuhl zu sitzen, sondern auf einem lehnenlosen Hocker, und brachte das Kunststück fertig, nicht hintenüberzufallen.

»Das war wirklich köstlich«, sagte sie. »Ich danke dir. Aber allmählich meldet sich mein schlechtes Gewissen.«

»Wieso?«

»Wir können nicht dafür bezahlen«, erinnerte Pia.

»Ist das klug, ihn auch noch mit der Nase darauf zu stoßen?«, fragte Alica.

»Was sagt deine Freundin?«, fragte Brack und antwortete gleich selbst. Anscheinend eine Angewohnheit von ihm. »Ach ja, ich weiß. Nichts.« Er schmunzelte. »Aber wenn es dich beruhigt: Es spielt keine Rolle. Die Geschäfte gehen zwar schlecht, aber eine Schale Milch für zwei hilflose Frauen habe ich immer noch übrig.«

Irgendwie hörte sich das für Pia so an, als spräche er von zwei streunenden Katzen, die sich in sein Haus verirrt hatten, und sie konnte selbst spüren, wie ihr Lächeln um mehrere Grade abkühlte.

»Was habt ihr jetzt vor?«, fragte Brack.

Von hier verschwinden, so schnell es geht, dachte Pia. Bevor der Kerl draußen noch die Idee hatte, hereinzukommen. Laut sagte sie: »Uns erst einmal ein wenig umsehen. Und dann vielleicht einen Weg nach Hause finden.«

»Und wo genau ist dieses Zuhause?«, fragte Brack.

Pia zögerte nur unmerklich. »Rio de Janeiro«, sagte sie. »Schon mal gehört?«

»Riodejanero?«, wiederholte Brack. »Ein eigenartiger Name. Nein. Ich würde mich daran erinnern, wenn ich ihn schon einmal gehört hätte. Es ist nicht in WeißWald, nehme ich an?«

»WeißWald?«

»Unser Land.« Brack machte eine ausholende Geste.

»WeißWald?«, fragte Pia noch einmal. Nun, das war für ihren Geschmack ein eigenartiger Name. »Und wie heißt diese Stadt?«

»WeißWald«, antwortete Brack. »Wie denn sonst?«

Pia seufzte. »Sollte ich überrascht sein, zu erfahren, dass dein Gasthaus auch WeißWald heißt?«

»So vermessen wäre ich nie«, antwortete Brack lächelnd. »Das hier ist der Weiße Eber. Du stellst eine Menge Fragen, Mädchen.«

»Gaylen«, verbesserte ihn Pia und starrte ihn gleich darauf verdutzt an. Sie hatte sich auf diese Antwort konzentriert und sich fest vorgenommen, Pia zu sagen, nicht Gaylen. Aber sie hatte Gaylen gesagt. »Nicht Mädchen.«

»Und ich dachte, du bist hier fremd«, antwortete Brack amüsiert. »Ein wenig scheinst du unsere Bräuche ja doch zu kennen.«

Pia versuchte erst gar nicht, diese Bemerkung zu verstehen, und Alica fragte: »Wer ist diese Gaylen, von der du immerzu sprichst?«

»Ich«, antwortete Pia. »Aber das ist eine lange Geschichte.«

»Also gut, Gaylen«, seufzte Brack. »Wenn du darauf bestehst … schade eigentlich. Ihr wollt also fort?«

Nein, eigentlich wollte sie das nicht. Wenn sie ehrlich war, hatte sie immer noch nicht die geringste Ahnung, wohin sie gehen sollten … und wie auch? Sie hatte ja ebenso wenig Ahnung, wo sie waren. Aber der Verfolger war da. Er hatte nicht zufällig in ihre Richtung geblickt. Er wusste, wo sie waren. »Wenn du uns lässt.«

»Wenn ich euch lasse? Warum sollte ich euch hindern wollen? Das hier ist ein freies Land. Hier kann jeder tun und lassen, was er will, und hingehen oder bleiben, wo er will.«

»Das klang vergangene Nacht etwas anders«, erwiderte Pia, aber Brack machte nur eine abfällige Geste.

»Das war gestern Nacht. Wenn die Wache euch aufgegriffen hätte, dann würdet ihr jetzt im Karzer liegen.« Er grinste anzüglich. »Oder auch nicht. Aber liegen würdet ihr.«

Pia überging die Bemerkung ganz bewusst. »Das heißt, jetzt können wir gehen?«

»Gehen?«, fragte Alica erschrocken. »Wohin?«

»So?« Brack deutete auf sie, dann auf Alica und ihre praktisch nicht vorhandenen Kleider. »Ihr würdet binnen einer Stunde erfrieren.«

Alica schob ihren geleerten Teller zurück, kramte Zigaretten und Feuerzeug hervor und steckte sich eines der weißen Stäbchen zwischen die Lippen. Brack folgte ihren Bewegungen mit gerunzelter Stirn und wachsendem Staunen, und was dann geschah, hatte Pia beinahe erwartet. Alica ließ das Zippo aufflammen, und Brack riss mit einem erstaunten Ächzen die Augen auf. Einer der beiden Männer am Nebentisch sprang so erschrocken hoch, dass sein Schemel umfiel, und der zweite verschluckte sich an seinem Essen und begann zu husten.

»Was?«, fragte Alica, während sie einen ersten, tiefen Zug nahm und dann genießerisch die Augen schloss.

»Was … tut deine Freundin da?«, fragte Brack fassungslos.

»Nichts«, antwortete Pia.

»Nichts? Nimm mich nicht auf den Arm, Mädchen!«

»Also gut, sie raucht«, sagte Pia. »Eine schlechte Angewohnheit, ich weiß. Tut mir leid, wenn der Gestank dich belästigt.«

»Wie bitte?«, fragte Alica.

Brack starrte sie und Pia abwechselnd an, schien etwas sagen zu wollen und schüttelte stattdessen nur den Kopf. Sein Blick irrte immer wieder zu dem mit Strasssteinchen besetzten Feuerzeug, das Alica vor sich auf die Tischplatte gelegt hatte, und schließlich streckte Pia die Hand aus, klappte den Deckel zurück und drehte das Zündrad. Bracks Augen wurden noch größer, als er die winzige gelbe Flamme auflodern sah.

»Bei Kronn!«, keuchte er. »Was ist das für ein Zauber?«

»Kein Zauber«, antwortete Pia. »Ein Feuerzeug.«

»Ein Feuer…zeug?«, wiederholte Brack gedehnt. So wie er das Wort aussprach, tat er es ganz bestimmt zum ersten Mal im Leben.

»He, das habe ich verstanden!«, sagte Alica. »Sag bloß, er hat noch nie ein Zippo gesehen!«

»Das hat nichts mit Zauberei zu tun«, fuhr Pia fort. »Da, wo wir herkommen, hat beinahe jeder so etwas. Es ist nichts Besonderes.« Sie blies die Flamme aus, klappte den Deckel zu und legte das Feuerzeug zurück. Bracks Blick ließ es keinen Sekundenbruchteil los.

»Jeder besitzt so etwas?«, vergewisserte er sich ungläubig. »Dann müsst ihr wirklich aus einem sehr reichen Land kommen.«

»Wegen eines Feuerzeugs?«

»Aber es ist mit Edelsteinen besetzt!«, beharrte Brack. »Nur ein König könnte sich so etwas leisten!«

»Das sind keine Edelsteine«, antwortete Pia lächelnd. »Nur wertloser Strass.«

»He!«, protestierte Alica.

»Sie sind nicht echt?« Brack klang eher noch zweifelnder.

»Nur billiger Krempel«, bestätigte Pia.

Brack streckte die Hand nach dem Feuerzeug aus, zögerte aber und wartete Pias aufmunternden Blick ab, bevor er die Bewegung zu Ende führte und es ergriff, um es eindeutig bewundernd, fast schon ehrfürchtig hin und her zu drehen. »Wenn es eine Fälschung ist, dann ist sie hervorragend«, sagte er. »Ich glaube, selbst der Hofjuwelier würde darauf hereinfallen.« Sein Blick war ein bisschen gierig, fand Pia. »Und so etwas besitzt jeder bei euch?«