»Vielleicht nicht jeder«, schränkte Pia ein. »Aber jeder könnte eins haben, wenn er wirklich wollte. Sie sind nicht teuer.«
»Davon träumst du, Süße«, sagte Alica. »Das ist ein Geschenk von Esteban. Er lässt sich nicht lumpen.«
Pia sagte nichts dazu. Sie wusste, dass Esteban schon vor etlichen Jahren eine ganze LKW-Ladung der Dinger gefunden und einem talentierten jungen Goldschmied ein paar Euros gegeben hatte, damit er den Stempel Made in China entfernte. Seitdem verscherbelten seine Leute sie mit einem hübschen Gewinn an Touristen, die dämlich genug waren, die Fälschung nicht zu erkennen, und auch noch glaubten, ein gutes Geschäft zu machen – abzüglich der zwei Dutzend, die er für sich selbst zurückbehalten hatte.
Aber Alica hatte ja schließlich selbst gesagt, dass sie nicht alles wissen musste.
»Allmählich werde ich wirklich neugierig auf das Land, aus dem ihr kommt«, sagte Brack. Er drehte das Feuerzeug weiter zwischen den Fingern. Schließlich klappte er den Deckel auf und betrachtete interessiert den simplen Mechanismus. Pia ließ ihn noch einen Moment gewähren, dann nahm sie es ihm aus der Hand, drehte das Zündrad und ließ die Flamme zwei oder drei Sekunden lang brennen, bevor sie das Zippo zuklappte und demonstrativ an Alica zurückgab.
»Ein Wunder«, sagte Brack.
»Ein technisches Wunder«, sagte Pia. »Wenn auch nur ein ganz kleines.«
»Ich könnte ein reicher Mann werden, wenn ich genug von diesen kleinen Wundern hätte, um sie zu verkaufen«, sagte Brack, aber schon im nächsten Moment schüttelte er auch enttäuscht den Kopf. »Aber wenn eure Heimat so weit weg ist …«
»Ziemlich weit, fürchte ich«, sagte Pia. »Womit wir beim Thema wären. Ich fürchte, wir müssen uns allmählich auf den Weg machen.« Sie wandte sich zu Alica um und versuchte ihr mit Blicken etwas zu signalisieren, das Brack besser nicht mitbekam. »Bist du reisefertig?«
Alica riss die Augen auf. »So, wie ich bin?«
»So, wie ihr seid, kommt ihr nicht weit«, sagte Brack, als hätte er jedes Wort verstanden. »Ihr braucht warme Sachen. Wartet hier. Ich will sehen, ob ich etwas Passendes für euch finde.«
Er wollte aufstehen, aber Alica machte eine hastige Geste und wandte sich direkt an Pia. »Was soll das?«
»Vertrau mir einfach«, sagte Pia. »Bitte!«
Alica setzte zu einer scharfen Antwort an, dann aber schien sie etwas in Pias Augen zu erkennen, sah plötzlich ein bisschen verunsichert aus und schüttelte den Kopf. »Frag ihn, wo ich mich fertig machen kann.«
»Fertig machen?«
»Waschen, ein bisschen herausputzen, stadtfein machen …mein Gott, du weißt doch, was ich meine!« Sie schnippte ihre Zigarettenasche zu Boden. »Was Frauen eben so tun, bevor sie das Haus verlassen.«
»Alica möchte sich waschen«, sagte Pia. »Gibt es hier irgendwo Wasser?« Sie fragte erst gar nicht nach einem Bad oder etwas Vergleichbarem.
»Draußen im Hof ist ein Brunnen«, antwortete Brack.
Pia übersetzte, und Alica schauspielerte ein hoffnungslos übertriebenes Schaudern, das Pia nur zu gut nachvollziehen konnte. Draußen vor den Fenstern hatte es leicht zu schneien begonnen. Sie fror schon allein bei der bloßen Vorstellung, sich unter freiem Himmel und mit eisigem Brunnenwasser waschen zu sollen.
Dennoch stand Alica auf und verschwand hinter der Theke, und auch Brack erhob sich.
»Deine Freundin ist wirklich sonderbar«, sagte er und drehte sich ebenfalls um, um die Treppe hinaufzugehen. Pia blieb allein zurück. Sie sah in die Richtung, in der er verschwunden war, dann zur Theke und schließlich zu den beiden Gästen am Nachbartisch. Ganz wie sie erwartet hatte, starrten die beiden Männer sie an, unverhohlen neugierig, aber auch auf die gleiche, fast schon anzügliche Art, auf die Brack sie am vergangenen Abend gemustert hatte. Teroc wich ihrem Blick hastig aus, aber der andere grinste plötzlich breit und fuhr sich dann auf eine Art und Weise mit der Zungenspitze über die Lippen, die er vermutlich nicht überlebt hätte, wäre Jesus jetzt hier gewesen.
Der Gedanke stimmte sie traurig. Und er schürte ihr schlechtes Gewissen. Sie hatte seit Stunden nicht mehr an Jesus gedacht, und nach allem, was geschehen war, kam ihr das ein bisschen wie ein Verrat an ihm vor … was natürlich Unsinn war. Aber seit wann scherten sich Gefühle um Logik?
Sie spürte, dass sie immer noch angestarrt wurde, stand auf und drehte sich dann mit einem Ruck herum. Teroc tat sein Möglichstes, um in den Teller hineinzukriechen, aber sein Kumpel grinste nur noch breiter.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte Pia, während sie gemächlich auf ihn zuschlenderte.
»Ganz bestimmt sogar, Gaylen«, antwortete der Bursche. Sein Name war Brasil, wenn sie sich richtig erinnerte. So ungefähr, jedenfalls. »Falls wir uns über den Preis einig werden, heißt das.«
Gut, das konnte sie nun beim besten Willen nicht mehr nicht verstehen. Sie spürte, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht schoss, aber der Bursche deutete das offensichtlich falsch. In seinen Augen glitzerte es gierig.
»Du hast doch nichts dagegen, wenn ich die Ware erst einmal prüfe?«, fragte er, streckte die Hand aus und griff nach Pias Hüfte, und Pia griff ihrerseits nach seinem Handgelenk, verdrehte es mit einem Ruck und bog dann seine Finger so weit zurück, wie sie es gerade noch konnte, ohne sie zu brechen.
»Mit dieser Hand?«, fragte sie lächelnd.
Der Bursche ächzte vor Schmerz, sank von seinem Hocker direkt auf die Knie und schien etwas sagen zu wollen, aber Pia hatte gar keine Lust, ihm zuzuhören. Sie verstärkte den Druck auf seine Hand noch einmal um eine Winzigkeit, und aus der geplanten Beschimpfung wurde ein noch lauteres Ächzen, dann ein Wimmern.
Pia bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Teroc aufspringen wollte, und warf ihm einen so eisigen Blick zu, dass er mitten in der Bewegung erstarrte und sich wieder zurücksinken ließ. Kluger Kerl.
»Es tut mir wirklich leid, Brasil«, fuhr sie in zuckersüßem Ton fort. »Aber ich fürchte, dass du meinen Preis nicht bezahlen kannst.«
»Hmpf!«, machte Brasil.
»Dann ist es jetzt wohl das Beste, wenn wir uns alle wieder setzen und dieses Gespräch einfach vergessen«, schlug Pia vor.
»Hrmmpfff!«, keuchte Brasil, und Pia beschloss, Gnade vor (Faust-)Recht walten zu lassen, ließ seine Hand los und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Sie erkannte einen Feigling, wenn sie ihn sah, und Brasil war einer. Aber auch Feiglinge konnten gefährlich werden, wenn man den falschen Knopf drückte. Gerade Feiglinge.
Tatsächlich sprang der Bursche wütend auf die Füße … und zog sich dann seinerseits einen halben Schritt vor ihr zurück. Möglicherweise lag es daran, dass er nahezu einen Kopf kleiner war als Pia. Sie war keine Riesin, aber immerhin beinahe eins achtzig, und der Bursche allerhöchstens anderthalb Meter.
»Genieß dein Frühstück«, sagte Pia lächelnd, drehte sich um und ging zu ihrem Tisch. Sie sah nicht zu ihm zurück, lauschte dafür umso konzentrierter. Sie konnte hören, wie er sich schwer auf den Hocker fallen ließ, und wagte es, sich etwas zu entspannen. Gleichzeitig belegte sie sich in Gedanken mit einer ganzen Anzahl sehr wenig damenhafter Bezeichnungen. Ihre Reaktion war ziemlich dumm gewesen; verständlich vielleicht, aber trotzdem dumm. Einmal ganz davon abgesehen, dass die Sache auch hätte ins Auge gehen können, wäre es im Moment wirklich besser, wenn sie so wenig Aufsehen erregten wie möglich.
Sie setzte sich wieder und hatte es kaum getan, als Brack die Treppe herunterkam. Er trug einen Mantel über dem linken Arm, einen zweiten über der Schulter und zwei Paar kurze Stiefel in der Hand. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln steuerte er den Tisch an, schob mit dem Fuß einen Hocker zurück und zögerte dann plötzlich.