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Und vielleicht noch nicht einmal diese.

Graukeil stürmte mit gesenktem Schädel heran und rechnete möglicherweise damit, dass sie noch einmal denselben Trick versuchen würde, denn er hatte die Arme halb erhoben und die Hände ausgestreckt, wie um nach etwas zu greifen, das sich über ihm befand.

Pia griff stattdessen nach seinen Handgelenken, ließ sich nach hinten fallen und zog blitzschnell die Knie an den Körper, um den Zwerg in hohem Bogen über sich hinwegzukatapultieren. Graukeil kreischte vor Überraschung und Wut, flog mit wirbelnden Armen und Beinen quer durch den Schankraum und prallte gegen zwei bewaffnete Männer, die in diesem Moment durch die Tür hereinkamen. In einem einzigen Wust aus Körpern und ineinander verstrickten Gliedmaßen gingen sie zu Boden.

Pia registrierte eine Bewegung aus den Augenwinkeln, fuhr herum und sah einen zweiten Zwerg auf sich zustürmen, doch ihre Reaktion kam zu spät. Der Zwerg prallte mit der Gewalt einer durchgehenden Planierraupe gegen sie, warf sie zu Boden und versuchte ihr die Faust ins Gesicht zu schlagen. Pia riss im letzten Moment den Kopf zur Seite, registrierte mit einer Mischung aus kaltem Entsetzen und schierer Panik, wie die Faust eines der massiven Fußbodenbretter neben ihr zertrümmerte, und schlug dem Angreifer die Handkante gegen den Kehlkopf. Der Zwerg japste nach Luft, kippte von ihr herunter und fasste sich mit beiden Händen an den Hals. Noch während sie sich herumrollte, sah sie den dritten Zwerg auf sich zukommen. Er hatte eine Waffe gezogen, einen kurzstieligen Hammer, dessen reich verzierter Kopf schwerer sein musste als ihr eigener.

Pia empfing ihn mit einem schräg nach oben geführten Tritt, der bei den meisten anderen Angreifern das Knie getroffen hätte. Da der Knirps aber kaum größer als ein Kind war, erwischte sie ihn ein gutes Stück höher und an einer sehr viel empfindlicheren Stelle. Pia konnte sich gerade noch zur Seite rollen, als er stocksteif nach vorn kippte und wie ein gefällter Baum neben ihr niederkrachte. Sofort sprang sie auf die Füße, wirbelte herum und ging mit halb ausgebreiteten Armen und leicht gespreizten Beinen in eine stabile Verteidigungsposition.

Keinen Moment zu früh, wie es aussah. Graukeil hatte seine diversen Gliedmaßen wieder eingesammelt und eingerenkt. Im ersten Moment glaubte Pia, dass er noch immer auf den Knien hockte, dann wurde ihr klar, dass sie nur auf seine vermeintliche Kleinwüchsigkeit hereingefallen war. Er stand bereits wieder aufrecht und zog etwas unter seinem Mantel hervor, das er vermutlich für ein Schwert hielt, das in Pias Augen aber allerhöchstens ein langes Messer war. Trotzdem sah es verdammt scharf aus.

»Das ist genug«, sagte eine scharfe Stimme von der Tür aus.

Pia erwartete, einen der beiden Männer zu erblicken, auf die sie den Zwerg geworfen hatte, aber die lagen noch immer benommen am Boden. Es war Istvan, der zusammen mit zwei weiteren Soldaten der Stadtgarde unter der Tür aufgetaucht war und etwas in der Hand hielt, das wirklich wie ein Schwert aussah.

»Es ist genug«, sagte er noch einmal. »Ich dulde nicht, dass hier Blut vergossen wird. Auch nicht von Euch, Gamma Graukeil!«

Einen Moment lang hatte es den Anschein, als würde der Zwerg seine Worte einfach ignorieren und sich auf Pia stürzen, aber dann ließ er seine Waffe ein wenig sinken und drehte sich zu Istvan, um ihn wütend anzufunkeln. »Diese kleine Dirne hat …«

»Ich habe gesehen, was sie getan hat, edler Graukeil«, unterbrach ihn Istvan. »Und auch, wie es dazu gekommen ist. Mir ist es jedenfalls so vorgekommen, als hätte sie sich nur verteidigt.«

»Misch dich nicht ein«, grollte der Zwerg. »Niemand schlägt mich ungestraft. Und schon gar keine Frau!«

»Ich verstehe«, sagte Istvan kühl. »Nun, wenn das so ist, dann will ich Euch natürlich nicht im Weg stehen. Weder Euch noch Euren Kameraden. Seid Ihr sicher, dass Ihr keine Hilfe braucht? Ich meine: Immerhin seid Ihr nur zu dritt, und sie ist unbewaffnet.«

Jemand lachte und hörte sofort wieder damit auf, als der Zwerg einen eisigen Blick in seine Richtung abschoss. Graukeil zögerte noch einen halben Atemzug lang, dann ließ er sein Messer unter dem Mantel verschwinden und funkelte Pia und den Kommandanten der Stadtwache nacheinander und gleichermaßen wütend an. »Damit ist die Sache nicht erledigt«, grollte er. »Verlasst euch darauf.«

Er gab seinen beiden Begleitern einen Wink, woraufhin sie sich an seine Seite schleppten und zu dritt hinaus humpelten. Istvan schloss die Tür hinter ihnen und warf einen sehr langen, aufmerksamen Blick durch das schmale Fenster daneben, bevor endlich auch er seine Waffe einsteckte und sich wieder herumdrehte. Er wirkte erleichterter, als er sich den Anschein zu geben versuchte.

»So, genug jetzt!« Brack klatschte lautstark in die Hände. »Setzt euch und trinkt weiter!« Er nutzte die Gelegenheit gleich, um Lasar anzufahren und gleichzeitig mit beiden Händen auf die umgeworfene Theke zu gestikulieren. »Was stehst du da rum und hältst Maulaffen feil, du elender Nichtsnutz? Räum das auf und hol ein frisches Fass Bier! Unsere Gäste sind durstig!«

Lasar wollte sich unverzüglich an die Arbeit machen, aber Istvan hielt ihn mit einer knappen Geste zurück. »Das wird nicht nötig sein«, sagte er.

Brack schluckte trocken. »Herr?«

»Es ist spät geworden«, sagte Istvan. »Geht nach Hause! Ihr alle habt doch Weib und Kinder, die zu Hause auf euch warten. Und morgen früh wartet die Arbeit. Also lasst es genug für heute sein und geht. Jetzt.«

»Aber die meisten haben noch nicht bezahlt, und …«, begann Brack kläglich und verstummte sofort wieder, als Istvan ihm einen eisigen Blick zuwarf.

Etliche Gäste murrten zwar, doch keiner wagte es, laut zu protestieren oder sich Istvans Anordnung gar zu widersetzen. Rasch und schon fast diszipliniert verließen sie den Weißen Eber … allerdings nicht, ohne dass jeder Einzelne Pia im Vorbeigehen einen zugleich verwirrten wie faszinierten (oder auch gierigen) Blick zugeworfen hätte.

Erst als der letzte Gast den Schankraum verlassen und Istvan persönlich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wurde ihr klar, warum das so war. Istvan bückte sich und hob etwas auf, was sie erst in diesem Moment als ihr improvisiertes Kopftuch erkannte. Es musste ihr beim Kampf mit den Zwergen heruntergefallen sein, sodass ihr Haar jetzt offen über ihre Schultern und den Rücken fiel.

Rasch nahm sie es entgegen, knotete es ungeschickt um ihren Kopf und versuchte mit wenig Erfolg, ihre Haare komplett darunter zu verbergen. Istvan ließ sie eine Weile gewähren, dann machte er eine unwillige Geste und deutete aus der gleichen Bewegung heraus auf den am nächsten stehenden Tisch. »Setz dich.«

Pia gehorchte. Istvan setzte sich zu ihr, und Alica nahm unaufgefordert bei ihnen Platz, was der Stadtkommandant zwar mit einem missbilligenden Stirnrunzeln kommentierte, ansonsten aber gar nicht.

»Das war eine beeindruckende Vorstellung«, begann Istvan. »Hast du dazu irgendetwas zu sagen?«

»Dass er Glück hat, noch am Leben zu sein?«, fragte Pia.

Istvan lächelte das humorloseste Lächeln, das sie jemals gesehen hatte. »Ja, auf diesen Gedanken könnte man beinahe kommen. Du weißt, welcher Ruf den Zwergen aus Ostengaard vorauseilt?«

»Dass sie ungehobelte Klötze sind, die es an guter Kinderstube mangeln lassen?«, vermutete Pia.

Diesmal wirkte Istvans Lächeln beinahe echt, aber der Ausdruck von Sorge in seinem Blick nahm eher noch zu. »Das auch, ja«, räumte er ein. »Aber man sagt auch, dass Leute, die in Streit mit ihnen geraten, die unangenehme Gemeinsamkeit entwickeln, spurlos zu verschwinden … wenn sie Glück haben.«

Pia zog es vor, den letzten Teil seiner Antwort zu ignorieren. »Dann ist es ja gut, dass ich nicht in Streit mit ihnen geraten bin«, sagte sie. »Sie haben mit dem Ärger angefangen.«

»Das ist die Wahrheit, Istvan!«, versicherte Brack. Er kam mit einem Krug Bier an den Tisch, stellte ihn vor Istvan ab und machte eine wedelnde Handbewegung auf die Tür, durch die die drei Zwerge verschwunden waren. »Ich habe es genau gesehen! Gamma Graukeil hat sie …«