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»Schläfst du schon?«

»Tief und fest«, antwortete Pia. »Und es wäre nett, wenn du mich nicht wecken würdest.«

»Tu ich nicht«, versprach Alica. »Aber ich bin einfach noch viel zu aufgeregt, um jetzt so einfach schlafen zu können.«

»Ich nicht«, murmelte Pia.

»Also, ich bin immer noch ganz platt, wie du die drei Burschen abgefertigt hast«, fuhr Alica ungerührt fort. »Ich meine: Ich wusste ja, dass du dich wehren kannst, aber das?«

»Eigentlich waren es ja nur anderthalb«, nuschelte Pia. »Und ich bin jetzt wirklich müde, weißt du?«

»Ja, sicher«, sagte Alica. »Entschuldige, ich wollte dich wirklich nicht wecken. Ich bin eben nur …«

Pia hörte, wie sie sich neben ihr bewegte, dann berührte Alicas Hand sie sanft und warm zwischen den Schulterblättern. Im ersten Moment war sie einfach nur überrascht, und ihr erster Impuls war, sie abzuschütteln. Aber sie tat es nicht, denn die Berührung war zwar ungewohnt, aber auch auf eine seltsame Art angenehm. Sie war nicht nur warm, sondern ließ auch einen prickelnden Schauer über ihren Rücken rieseln. Pia war noch nicht ganz sicher, was sie davon halten sollte.

»Ich habe starke Frauen schon immer bewundert, weißt du?«, fuhr Alica in ihrem Bemühen fort, sie nicht zu wecken. »Und wenn ich ehrlich sein soll, dann habe ich dich immer ein bisschen beneidet, weißt du das?«

»Nein«, antwortete Pia. »Erzähl mir doch davon – morgen früh.«

Alica lachte leise. Ihre Fingerspitzen begannen kleine kreisende Bewegungen zwischen ihren Schulterblättern zu vollführen, und aus dem Prickeln wurde … etwas anderes.

»Lass das«, murmelte sie.

»He, ich mach dir nichts vor«, sagte Alica, »ich fand es immer schon toll, wie du so ganz allein zurechtkommst, ohne auf irgendjemanden angewiesen zu sein oder vor irgendwem Angst zu haben.« Ihre Hand begann langsam an Pias Rücken hinabzuwandern, und sie rückte näher, sodass Pia die Wärme ihres Körpers fühlen konnte.

»Was glaubst du, was du da tust?«, fragte sie.

»He, komm schon«, antwortete Alica und drängte sich noch ein wenig dichter an sie. Pia konnte hören, wie ihr Atem schneller ging. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass du jetzt schlafen willst?«

»Und was sollte ich stattdessen tun, deiner Meinung nach?«, fragte Pia.

Anstelle einer Antwort verschwand Alicas Hand zwar von ihrem Rücken, war aber dafür plötzlich an einer Stelle, an der sie ganz und gar nichts zu suchen hatte … auch wenn einem Teil von ihr die Berührung ganz und gar nicht so unangenehm war, wie sie es eigentlich sein sollte.

»Komm schon«, flüsterte Alicas Stimme an ihrem Ohr. Ihr Atem strich warm über ihren Nacken und ihr Gesicht, und etwas in ihr reagierte auf diese Berührung. »Ich meine: Wir sitzen hier vielleicht für eine ziemlich lange Zeit fest, und es gibt niemanden, den wir kennen, oder dem wir vertrauen könnten. Und du bist doch nicht prüde, oder? Ich meine, du bist wirklich hübsch, und ich bin eine gesunde junge Frau, und …«

»Nicht mehr lange, wenn du die Hand da nicht wegtust«, sagte Pia.

Alica zog beleidigt die Hand zurück. Aber sie hielt wenigstens die Klappe.

XIX

Nein, sie war nicht überrascht, am nächsten Morgen allein aufzuwachen. Gegen alle Erwartungen war sie praktisch sofort eingedämmert und hatte wie ein Stein geschlafen, und als sie die Augen aufschlug, war Alica fort. Pia dachte mit einem sachten schlechten Gewissen an gestern Abend zurück; wobei ihr sonderbarerweise am meisten die rüde Art zu schaffen machte, auf die sie Alica zurückgewiesen hatte. Nicht dass sie irgendetwas in dieser Art ernsthaft in Betracht gezogen hätte (auch wenn sie zugeben musste, dass Alica ganz niedlich aussah, vor allem im Vergleich mit allen anderen weiblichen Wesen, denen sie bisher hier begegnet war; von den männlichen Einwohnern Liliputs gar nicht zu reden), aber es tat ihr dennoch ein wenig leid, sie so grob zurückgewiesen zu haben.

Verschlafen setzte sie sich auf und reckte sich ausgiebig. Sie gönnte sich noch ein paar Sekunden, in denen sie einfach dasaß, den undeutlichen Stimmen aus dem Erdgeschoss lauschte, ohne auch nur ein einziges Wort zu verstehen, und darauf wartete, dass sie endlich aus diesem Albtraum erwachte oder dass wenigstens das Gefühl bleierner Schwere aus ihren Gliedern wich. Schließlich sah sie ein, dass keines von beidem geschehen würde, und stand widerwillig auf, um sich nach unten zu schleppen und sich der allmorgendlichen Herausforderung des Toilettengangs zu stellen.

Pia vergaß sowohl ihre Angst vor dem kalten Wasser als auch ihre Müdigkeit, als sie die Gaststube betrat und sah, wem die aufgebrachten Stimmen gehörten. Da waren Brack und Lasar auf der einen und Istvan und eine kleinwüchsige Frau mit rosigem Gesicht und stechenden Augen auf der anderen Seite. Es dauerte einen Moment, bis Pia sie erkannte, aber dann verschwand schlagartig auch der allerletzte Rest von Müdigkeit.

Es war Malu.

»Ah, Gaylen«, begrüßte sie Brack. Er versuchte erfreut auszusehen, wirkte aber schrecklich verunsichert und nervös. »Gut, dass du kommst! Gerade wollte ich Lasar schicken, um dich zu wecken. Es tut mir leid, dass es noch so früh ist, aber …«

»Was ist hier los?«, fragte Pia alarmiert.

Brack sah nur noch verstörter aus und begann zusätzlich mit den Händen zu ringen, und Alica sagte: »Sieht so aus, als wäre dein kleiner Stunt von gestern Abend nicht besonders gut angekommen.« Pia hatte sie bis zu diesem Moment noch nicht einmal bemerkt, was nicht nur daran lag, dass Brack, Istvan und die anderen vor der Theke am anderen Ende des Schankraumes standen, während sie selbst wieder an ihrem Lieblingsplatz vor dem Kamin saß (in dem im Übrigen kein Feuer brannte), sondern auch daran, dass Alica sich in ihrem Schemel zusammengekauert hatte und ganz gegen ihre sonstige Art intensiv versuchte, so zu tun, als wäre sie gar nicht da.

»Wie meinst du das?«, fragte Pia.

»Anscheinend hat unseren Freunden dein Rekord im Zwergenweitwurf doch nicht so gut gefallen«, antwortete Alica, ohne sie dabei direkt anzusehen.

»Hat sie recht?«, wandte sie sich an Istvan. Der Kommandant der Stadtwache runzelte fragend die Stirn, und Pia erinnerte sich wieder daran, dass er Alicas Worte ja nicht verstehen konnte. »Seid Ihr wegen gestern Abend hier?«, fügte sie erklärend hinzu, während sie zugleich Malu mit einem fragenden, ein ganz kleines bisschen auch feindselig-misstrauischen Blick maß. »Wegen Gamma Graukeil und den anderen?«

»Bitte, Gaylen, setz dich«, sagte Istvan. Er unterstrich seine Bitte mit einer Handbewegung, die eindeutig einen Befehl daraus machte. Das allein wäre schon beinahe Grund genug für Pia gewesen, der Aufforderung eben nicht nachzukommen, doch in diesem Moment registrierte sie noch etwas, was ihr bis jetzt völlig entgangen war. Ihre beiden Leibwächter waren wieder da (es waren immer noch dieselben, die anscheinend tatsächlich keinen Schlaf brauchten), und diesmal warteten sie nicht draußen vor dem Haus, sondern standen vor der halb geöffneten Tür; zwar beide in einer Haltung, die deutlich machte, wie wenig wohl sie sich in diesem Moment in ihre Haut fühlten, zugleich aber auch bedrohlich. Hätte sie noch irgendeinen Zweifel daran gehabt, spätestens dieser Anblick hätte sie überzeugt, dass Istvan nicht zu einem Freundschaftsbesuch gekommen war. Lautlos und mit einem trotzigen Schulterzucken, für das sie sich beinahe selbst hasste, setzte sie sich. Istvan nahm ihr gegenüber Platz, während Malu mit raschen Schritten um den Tisch herumging und sich hinter ihr aufstellte. Pia konnte nur mit Mühe den Impuls unterdrücken, den Kopf zu drehen und sie ärgerlich anzufunkeln.

»Ich nehme nicht an, dass Ihr aus reiner Freundschaft gekommen seid«, begann sie übergangslos. »Was ist passiert?«

»Das kannst du dir nicht denken?«, gab Istvan zurück. Pia fiel es immer schwerer, seinem Blick standzuhalten. Etwas war darin, das sie erschreckte.