»Das mag sein«, sagte Malu schneidend. »Nur dass wir hier nicht da sind, wo sie und ihre Freundin herkommen.«
Istvan brachte sie mit einer unwilligen Geste zum Schweigen, die er gleichzeitig benutzte, um ihre Hand wie zufällig von seiner Schulter zu schütteln. Malu dankte es ihm mit einem zornigen Blick, der noch um einiges wütender wurde, als sie dem schadenfrohen Funkeln in Pias Augen begegnete.
»Worauf willst du hinaus?«, wandte er sich an Brack.
»Ich verbürge mich dafür, dass so etwas nicht wieder vorkommt«, sagte Brack. Er versuchte ruhig zu klingen, erreichte damit aber eher das genaue Gegenteil. »Ich werde den Weißen Eber um Mitternacht schließen, und ich werde ein paar Leute einstellen, die darauf achten, dass hier niemand mehr Schwierigkeiten macht.«
»Das können meine Männer übernehmen«, sagte Istvan; vielleicht eine Spur zu schnell, um in Pia nicht den bösen Verdacht aufkommen zu lassen, dass er nur auf dieses Stichwort gewartet hatte. Seine Männer würden diesen Job gerne übernehmen, vermutete sie. Gegen angemessene Bezahlung.
»Das … wäre sehr freundlich von Euch«, antwortete Brack nervös.
»Und ich werde zwei weitere Männer abstellen, die euch auf Schritt und Tritt bewachen«, fuhr Istvan fort, direkt an Pia gewandt. »Jedenfalls, solange sich Graukeil und die anderen noch in der Stadt befinden.« Er deutete auf Brack, ohne dass sein Blick Pias Gesicht dabei losließ. »Brack wird auch die Kosten dafür übernehmen müssen, die nicht unbeträchtlich sind. Also solltest du dich ein wenig dankbar ihm gegenüber erweisen.«
Ihm oder dir?, dachte Pia. Die Frage, wie genau er sich diese Dankbarkeit vorstellte, konnte sie sich gerade noch verkneifen, aber Istvan musste sie wohl irgendwie auf ihrem Gesicht gelesen haben, denn sein Blick kühlte um mehrere Grade ab.
»Und nur, damit dir der Ernst der Situation bewusst wird: Was immer auch geschieht, solange ihr weiter unter Bracks Obhut steht, ich werde ihndafür verantwortlich machen und keine Ausreden gelten lassen.«
»Ich verstehe Euren plötzlichen Sinneswandel nicht ganz«, sagte Pia. »Wir haben nur getan, was Ihr selbst von uns verlangt habt. Wir wollten niemandem Ärger bereiten. Brack nicht, und Euch schon gar nicht.«
»Niemand macht euch einen Vorwurf«, antwortete Istvan. »Im Gegenteil. WeißWald ist stolz auf seine Gastfreundschaft und darauf, dass sich Fremde in seinen Mauern sicher fühlen können. Aber das kann und wird nicht dazu führen, dass die Sicherheit seiner Bewohner oder die öffentliche Ordnung darunter leiden.«
»Und was sollen wir Eurer Meinung nach tun?«, fragte Pia vorsichtig.
»Nichts, solange keine weiteren Vorfälle geschehen«, antwortete Istvan. Er stand auf. »Ich bin nicht hierhergekommen, um dir und deiner Sklavin zu drohen, Gaylen. Sieh es als Warnung an. Ich gestehe es ungern ein, aber Malu hat recht. Seit ihr hier seid, breitet sich Unruhe in der Stadt aus. Das muss aufhören.«
»Und wenn nicht?«, fragte Pia. Sie deutete ein Achselzucken an. »Natürlich werden Alica und ich alles tun, was Ihr von uns verlangt, schon um Brack keinen Ärger zu bereiten – und uns auch nicht. Aber es wäre ja immerhin möglich, dass jemand es darauf anlegt, uns Ärger zu machen.«
»Das ist durchaus denkbar«, gab Istvan unumwunden zu. »Ihr müsst eben vorsichtig sein.«
»Oder du überdenkst noch einmal das Angebot, das ich dir und deiner Freundin gemacht habe«, fügte Malu hinzu. »Mein Haus steht dir jederzeit offen.«
»Ich bin keine …«, begehrte Pia auf, doch Malu hob rasch die Hand und unterbrach sie mit einer entsprechenden Bewegung und einem fast überzeugenden Lächeln.
»Aber das weiß ich doch, mein Kind«, sagte sie. »Mir wäre nie auch nur der Gedanke gekommen, mich mit einem solchen Ansinnen an dich zu wenden. Natürlich sollst du nicht unseren Gästen zu Diensten sein … jedenfalls nicht so, wie du zu glauben scheinst.«
»Und wie dann?«, erkundigte sich Pia misstrauisch.
»Es würde vollkommen reichen, wenn du da bist«, antwortete Malu ruhig. »Ich will dir nichts vormachen. Dazu mag ich dich zu sehr, und du bist viel zu klug, als dass es Sinn hätte, es auch nur zu versuchen.«
»Das stimmt«, antwortete Pia kühl.
»Natürlich bin ich daran interessiert, dass du für mich arbeitest«, gestand Malu lächelnd. »So, wie ich es Brack schon mehrmals gesagt habe. Deine Anwesenheit allein würde schon reichen, um mehr Kunden anzulocken. Reiche Kunden, nicht die armen Schlucker, die hier verkehren und ihre letzten Heller zusammenkratzen, um einen Krug verdünntes Bier bezahlen zu können. Ich würde euch besser bezahlen, ihr hättet ein eigenes Zimmer mit einem eigenen Kamin und so viel Brennholz, wie ihr nur wollt – und ich könnte besser für eure Sicherheit garantieren.«
»Besser als Brack und Istvans Soldaten?«
»Ein Haus, in dem nur wenige Besucher ein und aus gehen«, antwortete Malu, »ist leichter zu bewachen als eines mit vielen Gästen.«
Brack wollte auffahren, doch Istvan brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Verstummen. »So weit ist es noch nicht«, sagte er. »Wir werden jetzt gehen, und ich verlasse mich darauf, dass ich nur als Gast zurückkommen muss.«
»Darauf habt Ihr mein Wort«, versicherte Brack hastig.
Istvans Antwort bestand nur in einem verächtlichen Verziehen der Lippen. Einen halben Atemzug lang durchbohrte er Pia noch regelrecht mit Blicken, dann drehte er sich um und verließ zusammen mit Malu den Schankraum. Zu Pias leiser Überraschung gingen auch die beiden Soldaten, wenn auch zweifellos nur bis zur anderen Straßenseite, um dort wieder ihre Posten zu beziehen.
»Und jetzt, wo wir sozusagen unter uns sind«, sagte Alica, »würde es dir etwas ausmachen, deiner unwürdigen Sklavin zu erklären, was das alles gerade zu bedeuten hatte?«
Pia erklärte es ihr mit knappen Worten, und Alicas Miene verdüsterte sich noch einmal um mehrere Zehnerpotenzen. Mit funkelnden Augen wandte sie sich an Brack.
»Ist das wahr?«
Brack schauspielerte einen fast perfekten verständnislosen Blick, und Pia übersetzte, vollkommen überflüssigerweise: »Ist es wahr, was Malu gesagt hat? Dass sie schon ein paarmal hier gewesen ist?«
Brack nickte widerwillig.
»Und warum hast du uns nichts davon gesagt?«, fragte Pia.
»Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihr ihren Vorschlag annehmen würdet«, antwortete er lahm.
»Oder hattest du eher Angst, wir könnten es tun?«, fragte sie.
»Hättet ihr es?«, fragte Brack ruhig.
»Nein«, antwortete Pia. »Aber vielleicht hätten Alica und ich diese Entscheidung gern selbst getroffen.«
»Es … tut mir leid«, sagte Brack. »Ich war egoistisch, aber es ging mir nicht nur um mich. Malu ist nicht zu trauen.«
»Du meinst, sie hat gelogen, als sie behauptet hat, uns besser beschützen zu können als Istvan und du?«
Brack schüttelte den Kopf und lächelte das humorloseste Lächeln, das man sich nur vorstellen konnte. »Nein. Wenn es in dieser Stadt jemanden gibt, der euch beschützen kann, dann ist es Malu. Ich hätte es wissen müssen.«
»Was hättest du wissen müssen?«, fragte Pia.
»Dass es keinen Sinn hat, sich gegen sie zu stellen«, antwortete Brack. Er klang ein bisschen bitter. »Sie bekommt immer, was sie will.«
»Von Istvan jedenfalls, wie es aussieht«, sagte Pia, doch Brack schüttelte nur den Kopf.
»Nicht nur von Istvan. Es gibt niemanden in der Stadt, der sie nicht fürchten würde.«
Es dauerte noch einen kurzen Moment, aber dann begriff Pia. »Du meinst, der Elfenturm ist nicht das Einzige, worüber sie herrscht?«
Brack lachte noch einmal und noch humorloser. »Es gibt manche hier in der Stadt, die behaupten, sie wäre die wahre Herrscherin über WeißWald«, sagte er.