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»Wie gut, dass du es nicht bist«, sagte Pia spitz. Sie deutete auf den Eingang des Elfenturms. »Gehen wir?«

Sie machten nur einen einzigen Schritt, dann prallte Alica erschrocken zurück und zog sie hastig mit sich in den Schatten eines überhängenden Stockwerkes. Kaum einen Atemzug später drangen gedämpfte Stimmen an ihr Ohr, die sich halblaut unterhielten. Mattes Licht brach sich auf silberfarbenem Metall.

»Was bei Kronn … ?«, mummelte Pia. »Ich denke, du hast die Wachen abgelenkt?«

»Habe ich auch«, behauptete Alica. »Das müssen andere sein. Vielleicht die normale Patrouille … und wenn du noch ein ganz klein bisschen lauter sprichst, dann können wir auch gleich eine Leuchtrakete abschießen!« Sie funkelte sie wütend an, aber auch ein bisschen irritiert, und es dauerte nur einen winzigen Moment, bis Pia der Grund dafür klar wurde. Was hatte sie gerade gesagt? Was bei Kronn?

Sie warteten, bis die Wachen vorübergegangen und in einer Seitenstraße verschwunden waren, nicht wirklich mit angehaltenem Atem, aber beinahe, und Pia gab auch dann noch beinahe eine Minute zu, bevor sie es wagte, auch nur erleichtert aufzuatmen, einen zögernden Schritt aus den Schatten herauszutun und sich umzusehen. Alles war wieder still.

»Das war knapp«, sagte Alica. »Wenn sie uns gesehen hätten …«

»Dann wüssten wir jetzt, ob unser Geld gut angelegt war«, bestätigte Pia. »Schutzgeld zu bezahlen, bedeutet nicht unbedingt, dass man auch Schutz bekommt.« Pia bedauerte ihre Worte schon, bevor sie sie auch nur ganz zu Ende ausgesprochen hatte. In diesem Punkt war Alica ein wenig empfindlich, und um die Geschichte auch noch richtig lustig zu machen: vollkommen zu Recht.

Sie deutete auf den Elfenturm. »Bist du ganz sicher?«, fragte sie.

»Wenn du ganz sicher bist.«

Gut, dieses Gespräch brachte nichts. Sie war von Alicas Idee (die sie immer noch nicht genau kannte) genauso wenig begeistert wie umgekehrt Alica von ihrer (von der sie eigentlich ebenso wenig wusste), aber darüber hatten sie sich so ziemlich den ganzen Nachmittag und auch noch auf dem Weg hierher gestritten. Sie hatten entschieden, beides zu tun oder gar nichts. Und das eine war im Grunde so schlecht wie das andere.

Sie näherten sich zum zweiten Mal dem Eingang des Elfenturms, und Pia versuchte ein letztes Mal, an Alicas Vernunft zu appellieren. »War es nicht eigentlich deine Idee, mir nicht mehr von der Seite zu weichen, solange wir hier sind?«

»Du kannst gerne bei mir bleiben«, antwortete Alica, ohne langsamer zu werden. »Wäre mir sowieso lieber.«

»Und was ist, wenn es passiert, während du dort drinnen bist?«, fragte sie. »Ich meine: Stell dir nur vor, du bist da drinnen, und ausgerechnet in diesem Moment beame ich mich zurück.«

»Glaub ich nicht«, antwortete Alica. »Außerdem kenne ich dich. Du würdest sofort irgendwo ein fliegendes Einhorn oder einen Drachen organisieren und mich nachholen.«

Pia setzte zu einer ärgerlichen Antwort an, doch Alica kam ihr zuvor, indem sie die Hand hob und wuchtig gegen die Tür klopfte. Die vergitterte Klappe darin flog so schnell auf, als hätte jemand auf der anderen Seite nur darauf gewartet. Ein dunkles Augenpaar starrte zu ihnen hoch. »Was ist denn … Gaylen!«

Die Klappe wurde mit einem Knall zugeworfen, der im Geräusch des Riegels unterging, und Pia begriff erst jetzt, dass Alica zwar angeklopft, aber ganz gezielt so neben der Tür Aufstellung genommen hatte, dass Malu sie sehen musste, wenn sie ihr Fensterchen aufmachte.

»Gaylen! Wie schön! Ich wusste, dass du kommst! Was für eine Freude! Komm rein! Rasch!«

Malu verzichtete immerhin darauf, sie vor lauter überschwänglicher Freude einfach niederzuwalzen, was ihr bei ihrer Leibesfülle ohne Weiteres möglich gewesen wäre, doch sie zerrte sie so ungestüm mit sich ins Haus, dass Pia alle Mühe hatte, nicht von den Füßen gerissen zu werden; und noch mehr Mühe, ihrerseits Alicas Arm zu ergreifen und sie hinter sich herzuziehen.

»Das ist wirklich eine Überraschung!«, sprudelte Malu los. »Ich habe gehofft, dass du kommst, aber so schnell und …« Sie blieb nicht nur stehen, sondern brach auch mitten im Wort ab. »Was soll das?«, fragte sie. Ihr Blick wurde anklagend, während er sich auf Alica richtete. »Ich dachte, ich hätte deutlich gesagt, dass …«

»Ich gehe nirgendwo ohne Alica hin«, unterbrach sie Pia. »Hat Brack dir das nicht gesagt? Aber wir können wieder umkehren, wenn du es wünschst.«

Malu rang einen Moment mit sich, nickte dann widerwillig und hob den Arm, um den Samtvorhang hinter der Tür zurückzuschlagen, doch Pia hielt sie noch einmal zurück.

»Ich bin nicht aus dem Grund hier, den du anzunehmen scheinst«, sagte sie.

Jetzt war zum ersten Mal ein deutlicher Ausdruck von Misstrauen auf Malus rundem Gesicht zu sehen. »Weshalb dann?«

Pia deutete auf Alica. »Meine Freundin möchte dir einen Vorschlag machen.«

»Deine Freundin?« Malu wirkte nicht mehr misstrauisch, sondern eindeutig fassungslos. »Sie …«

»Nicht so, wie du denkst«, sagte Pia rasch.

»Sondern?«

»Warum lässt du uns nicht ein, und wir reden in aller Ruhe darüber?«

Malu zögerte. »Sagtest du nicht, sie spricht unsere Sprache nicht?«, erkundigte sie sich, während sie Alica unübersehbar misstrauisch und ablehnend von Kopf bis Fuß maß.

»Deshalb begleite ich sie ja auch«, antwortete Pia. »Für den Fall, dass ihr eine Übersetzerin braucht.«

Malu schwieg, aber Pia konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Was immer Alica von ihr wollte, interessierte sie nicht im Mindesten. Aber sie wollte sie nicht gehen lassen. Vermutlich hoffte sie noch immer, sie irgendwie überreden zu können, in ihrem Etablissement zu arbeiten.

Nach dem, was Pia am ersten Tag von ihrem lebenden Inventar gesehen hatte, konnte sie es auch gut verstehen.

»Also gut«, seufzte Malu schließlich. »Ich werde Ärger bekommen, vor allem mit meinen Gästen, aber ich dulde es deinetwegen. Also kommt.«

Sie schlug den Vorhang beiseite. Stimmen und Gelächter wurden lauter, und das Quaken entpuppte sich tatsächlich als grässliche Musik. Passend zu den roten Papierfenstern brannte ein gutes Dutzend roter Kerzen, und ein schwerer, fast schon betäubender Geruch hing in der Luft; irgendein aufdringliches Parfüm, das Malu überreichlich verwendet hatte, um den Grundgestank dieser Räumlichkeiten zu überdecken. Neben dem Kamin, in dem trotz der grausamen Kälte draußen nur ein bescheidenes Feuer brannte, saßen zwei Musiker, die fremdartig anmutenden Instrumenten noch fremdartiger klingende Töne entlockten. Alle drei Mädchen waren da, zusammen mit ebenso vielen Kunden. Als Malu und Pia eintraten, erstarben sämtliche Aktivitäten im Raum für einen Moment – zu ihrer Erleichterung auch die der Musikanten – und ein halbes Dutzend neugieriger Gesichter wandte sich in ihre Richtung. Dann trat Alica hinter ihnen ein.

Eine der Gaylens stieß einen erschrockenen, spitzen Schrei aus und fand sich eine halbe Sekunde später ziemlich unsanft auf dem Fußboden wieder, als sich der Gast, auf dessen Schoß sie gerade noch gesessen hatte, in einen wirbelnden Schatten verwandelte und dann so schnell davon stürzte, dass er beinahe über seine eigenen Füße gestolpert wäre. Pia hatte einen flüchtigen Eindruck von angstvoll aufgerissenen Augen und einer dick bandagierten Schulter, dann war die Gestalt irgendwo am oberen Ende der Treppe verschwunden, und sie hörten nur noch ein gewaltiges Scheppern und Poltern.

Malu legte ärgerlich die Stirn in Falten, griff nach dem Mädchen und riss es reichlich unsanft in die Höhe. »Hat er bezahlt?«, fauchte sie.

»Nein, Herrin«, antwortete die pummelige Gaylen. Ihre Perücke war verrutscht und drohte ihr vom Kopf zu fallen. »Wir sind ja noch gar nicht …«

Weiter kam sie nicht. Malu ohrfeigte sie, blitzschnell und so hart, dass sie zurückstolperte und haltlos in den Sessel plumpste, in dem Brasil zuvor gesessen hatte. Malu holte aus und hätte sie womöglich noch fester geschlagen, wäre Pia ihr nicht blitzschnell gefolgt, um ihre Hand zurückzureißen.