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Emerelle war gewiss nicht mehr an dem Ort, von dem das Amulett gekommen war.

Der lag in der Wüste. Was sollte sie dort!

Alyselle ahnte, wohin sie gehen würde. Und sie würde die Königin vor Elovyn und Valderun erreichen! Selbst die Bestie hielt still. Die Elfe wusste nicht, ob dieses Schattengeschöpf ihren logischen Gedanken folgen konnte. Aber es schien begriffen zu haben, dass sie als Erste bei der Königin sein konnten. Sie würden das Licht Emerelles trinken. Und das Licht Ollowains! Was für ein Festmahl würde das werden!

Alyselle spürte die Präsenz eines mächtigen, magischen Ortes in den Schwingungen des Albenpfades. Das musste Emerelles Ziel sein. Jenes verbotene Tal. Als sie die Jagd nach der Lutin Ganda vorbereitet hatte, hatte sie versucht, mehr über diesen Ort herauszufinden. Er wurde von mächtigen Zaubern geschützt. Und es schien, als habe ihn seit Jahrhunderten kein Elf mehr betreten. Nur seinen Namen hatte sie finden können. Jadegarten.

Alyselle glitt durch den goldenen Pfad. Finsternis umschloss sie. Es war eine stoffliche Finsternis, nicht wie das Gefühl des freien Falls in der Dunkelheit des Nichts, jenes magischen Raums zwischen den Welten. Sie durchlebte dies nicht zum ersten Mal. Sie wusste, sie war inmitten festen Felsgesteins. Ihr konnte hier nichts geschehen. Und doch machte es ihr Angst. Sollte sie sich fallen lassen? Oder sollte sie nach oben?

Sie überließ sich dem Biest. Seine Instinkte waren schärfer. Es stieg auf. Sie glitten durch den Stein. Schnell. Dann waren sie im Wasser. Alyselle sah, wie sich Eis um sie bildete.

Es griff über das schwarze Wasser nach einer kleinen Insel. Dort brannten drei Feuer. Sie waren schmerzlich hell nach dem langen Weg durch die Dunkelheit.

Eine Gestalt kauerte auf der Insel. Es war nicht Emerelle!

»Willkommen, Tod!«, grüßte sie eine Frauenstimme. »Ich habe dich ein Leben lang gefürchtet.«

Was redete das Weib für einen Unsinn? Und was war sie? Alyselle hatte eine solche Kreatur noch nie gesehen. Diese langen, gebogenen Hörner. Die Tierbeine. Sie erinnerte an einen Faun und war doch ganz anders. Die Bemalung ihres Körpers … Das war ein Zauber! Sie wollte sich schützen.

Die Bestie stürmte vor. Alyselle versuchte sie zu zähmen. Ein Gedanke nur, und sie waren auf der Insel. Zu schnell. Ihre geisterhafte Schnauze glitt durch die Brust des Weibes. Ihr Licht! Es war köstlich! Der Zauber hatte versagt. Er hatte sie nicht aufhalten können. Wie hätte sie auch wissen sollen, in welcher Form der Tod sie ereilen würde?

Sie sah sie ohne Schrecken an, als sie ihr das Lebenslicht aus dem Leib zerrten. Es war wie ein Darmwurm voller Borsten. Es leistete Widerstand. Aber sie triumphierten. Die Bestie ließ nicht los, wenn sie ein Leben gepackt hatte.

Alyselle sah, wie die Augen des Weibes glasig wurden. Bei ihrem letzten Herzschlag lächelte sie. Warum?

Die Bestie war nicht satt. Sie war es nie. Sie hatte Witterung aufgenommen. Emerelle war hier gewesen. Die Spur war einen Tag alt. Und da war noch ein anderer Elf. Das musste Ollowain sein. Seine Spur war nur ein paar Stunden alt. Sie waren also nah.

Die Bestie stürmte los.

Das Zittern der Sterne

»Ich habe ihm den Befehl gegeben, in der Schlacht den Tod zu suchen.« Es endlich auszusprechen, erleichterte Emerelles Herz nicht im Geringsten. Sie nahm sich zusammen. Ihre Stimme war vollkommen sachlich. Sie durfte ihr Herz nicht öffnen. Sie wollte es nicht! »Ich habe ihn getötet, auch wenn nicht ich es war, die diesen Zauberbann sprach, der all seine Erinnerung löschte.«

Falrach saß ihr gegenüber. Den Kopf leicht geneigt, hatte er ihr zugehört. Viele Stunden lang. Zuerst war sie misstrauisch gewesen, als er sie aufforderte, ihm von Ollowain zu erzählen. Sie hatte die Befürchtung gehabt, er wolle sich mit dem Schwertmeister messen. Sie überzeugen, dass er der bessere Mann sei. Aber nichts von alldem war geschehen. Er hatte einfach nur zugehört. Manchmal hatte er Fragen gestellt. Aber nicht aufdringlich. Es war um Einzelheiten gegangen. Was der Schwertmeister gern gegessen hatte, wie er sich kleidete, wer seine Freunde gewesen waren. Er bemühte sich aufrichtig, den Mann kennenzulernen, in dessen Leib er steckte.

Die Elfe sah Falrach an und versuchte in dessen Gesicht zu lesen. Nichts deutete darauf hin, dass er sie für das, was sie getan hatte, verurteilte. Aber warum sollte er das auch tun! Durch ihren Mord an Ollowain war er schließlich wieder zum Leben erwacht. Er hatte keinen Grund, sich zu beschweren.

»Er kann in der Schlacht nicht getötet worden sein. Weißt du, was genau passiert ist?«

Emerelle atmete schwer aus. Tausendmal hatte sie sich diese Frage gestellt und keine Antwort gefunden. »Er kehrte nicht aus der Schlacht am Mordstein zurück. Und man hat ihn auch nicht unter den Toten gefunden. Für lange Monde dachte ich, die Trolle hätten ihn gleich auf dem Schlachtfeld gefressen. Das tun sie mit Gegnern, deren Mut sie bewundern. Erst viel später erfuhr ich von der Lutin Ganda, dass sie ihn schwer verletzt auf dem Schlachtfeld gefunden hatte. Sie holte ihn in ihre Hütte und pflegte ihn. Anfangs kam es ihr so vor, als habe er keinen Lebenswillen mehr.« Emerelle musste kurz innehalten und um Fassung ringen. »Sie wusste nicht, dass er auf meinen Befehl den Tod suchte. Und dass ich um ihretwillen diesen Befehl erteilt hatte. Er hatte sie vor mir und den Gesetzen der Bibliothek von Iskendria beschützt. Sie hatte dort ein Buch gestohlen. Und er sagte mir, er sei es gewesen. Weil er darauf hoffte, dass ich ihn nicht verurteilen würde ... Er war ja schließlich der Schwertmeister! Und er wusste, dass ich ihn liebte. Er hatte diese Liebe nicht erwidert. Aber er fühlte sich sicher vor meinem Zorn. So dachte ich damals. Und tatsächlich brachte ich es nicht über mich, ihn für den Diebstahl hinrichten zu lassen. Aber dem Gesetz musste Genüge getan werden. Niemand steht über dem Gesetz! Ich konnte ihn nicht ...« Sie hielt inne. Das waren die Lügen, mit denen sie versuchte, ihr Gewissen zu beruhigen, seit sie Ollowain in die Schlacht geschickt hatte. Lügen! Sie wusste es besser. Sie war die Königin. Sie hätte ihn beschützen können. Aber ihre Eitelkeit war verletzt gewesen, weil Ollowain ihre Liebe als Schutzschild für die Lutin Ganda hatte benutzen wollen.

In unzähligen Nächten hatte sie seitdem keinen Schlaf gefunden. Sie hatte ihr unseliges Erbe verflucht. Ihr heißes Blut, das sich hinter der Maske der kühlen, selbstbe-herrschten Herrscherin verbarg. Es schimmerte durch, wenn sie - äußerlich völlig ruhig - unbarmherzige Urteile fällte.

»Wie hast du erfahren, dass Ollowain doch noch lebte?«, beendete Falrach ihr langes Schweigen.

»Gar nicht. Du ... Er stand plötzlich vor mir. Als Gegner im Duell auf der Shalyn Falah.

Ich konnte nicht gegen ihn kämpfen ... « Sie hob in stummer Verzweiflung die Hände.

»Ich habe meine Krone für ihn aufgegeben.«

»Und dann hast du statt seiner mich bekommen.«

»Ich habe nie aufgehört, nach dir zu suchen, Falrach. Jeder deiner Inkarnationen war ich nahe. Nicht nur Ollowain. Unter allen, die nach dir kamen, war keiner wie du.

Wenn ich dich jetzt ansehe, dann blicke ich in das Gesicht eines anderen. Es ist nicht leicht, Falrach. Ich habe gelernt, mich mit deinem Tod abzufinden. Um selbst leben zu können, musste ich dich in meinem Herzen begraben. Und nun bist du wieder da.

Nach so unendlich langer Zeit. Lass mich meine Liebe zu dir wiederfinden. Sie ist nie verlorengegangen. Doch sie ruht sehr tief in mir. Verborgen unter der Erinnerung an viele Leben, durch die ich dich begleitet habe. Du musst...« Verwundert blickte sie zur Tür.

Es war plötzlich kälter geworden. Viel zu kalt für eine Nacht in einer Oase inmitten der Wüste. Sein Atem stand Falrach vor dem Mund.

»Geh!«

»Was ist das?«

»Nichts, wogegen du bestehen könntest. Bitte, Falrach, lass mich dich nicht ein zweites Mal verlieren.«