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Der Junge dachte an das Blumenmädchen. Bestimmt hatte sie sich längst einen Mann erwählt. Wahrscheinlich hatte sie sogar schon Kinder. Hoffentlich nicht von dem widerlichen Fleischhauer. Das würde er nicht ertragen.

»He, du machst ein Gesicht wie einer, der dem alten König die Hand küssen soll. Was denkst du?«

»Dass ich in diesem Tal alt und grau werde.«

Der Priester lächelte warmherzig. »Das mit dem Lügen hast du immer noch nicht gelernt. Behalte deine Gedanken für dich, ich werde nicht weiter in dich dringen.

Komm einmal mit mir.«

Jules brachte ihn zu einem Loch, das er vor Jahren gegraben hatte. Der ganze Hang war übersät von Gruben, und Adrien war sich sicher, wenn er jemals zum Ritter werden sollte, dann wäre er gewiss der Ritter, der am meisten Dreck geschaufelt hatte.

Spaten und Hacke wären ein passendes Wappen für ihn.

»Hier, Junge. Ich habe in der letzten Nacht von dieser Grube geträumt. Du musst dort unten noch ein wenig graben. Nicht mehr weit. Ich bin sicher, es war diese Grube, die ich im Traum gesehen habe. Hier wirst du es finden.«

Jules hatte ihm in all den Jahren nicht gesagt, was er eigentlich finden sollte. Und er war schon unzählige Male mit Traumvisionen gekommen. Adrien sagte gar nichts dazu. Unten in der Grube hatte sich Wasser gesammelt. Die Ränder waren ausgewaschen. Jede Menge Geröll und Schlamm hatten das Loch halb gefüllt. Längst hatte Adrien aufgehört, mit seinem Meister über dessen Träume zu reden. Er würde graben. Sieben Jahre schon hatte er das getan. Fragen stel en half nichts. Er war eben der Maulwurfsritter.

Die Kunst der Täuschung

Elodia erhob sich vom Bett. Sehr vorsichtig, um den Priesterfürsten mit ihren Bewegungen nicht im Schlaf zu stören. Das tote Kätzchen rollte aus seiner geöffneten Hand. Zusammengerollt lag es auf dem Seidenlaken. Die weiße Schnauze war rotbraun von verkrustetem Blut. Die anderen beiden Kätzchen kletterten über Laken und Kissen, um ihrer Schwester zu helfen. Sie leckten das Blut von der Schnauze, bis das Fell wieder ganz weiß war. Leise maunzten sie. Stießen ihre tote Schwester immer wieder vorsichtig mit den Pfötchen an, unfähig, zu begreifen, warum sie nicht aus dem vermeintlichen Schlaf erwachte.

Seit sie vor zwei Jahren nach Iskendria gekommen war, nannte sich Elodia Danae. Sie war auf dem Goldenen Markt in einer aufsehenerregenden Versteigerung als aegilische Liebessklavin vorgestellt worden. Wegen ihrer hellen Haut und der fantastischen Geschichten, die der Sklavenhändler bei der Versteigerung über sie erzählte, war sie für eine wahrhaft exorbitante Summe an einen Seidenhändler verkauft worden.

Ihr Sklavenhändler war in Wahrheit ein Mittelsmann Cabezans gewesen, und Elodia würde darauf wetten, dass er kurz nachdem sein König das Geld aus der Versteigerung erhalten hatte, einen plötzlichen Tod gestorben war. Genauso sicher war sie sich, dass es inzwischen reichlich Gerüchte über die Verbindungen des Händlers zu den aegilischen Piratenfürsten gab.

Cabezan war wie eine große Spinne, die mitten in ihrem Netz saß. Er hatte ein Netz aus Lügen um sie gesponnen. Niemand würde mehr herausfinden können, wer Danae in Wahrheit gewesen war. Alle hier in der Stadt kannten nur die Liebessklavin.

Wirklich alle! Seit einigen Wochen nun nahm Promachos sie mit zu den öffentli chen Opferritualen für den Stadtgott Baibar. Eine widerliche Zeremonie, bei der ein gefesseltes Kind im Feuerschlund des Götzenbildes von Baibar verbrannt wurde. Sie war immer noch eine Sklavin, aber mit Sicherheit war sie die mächtigste Sklavin der Stadt. Promachos war ihr verfallen. Ihrer Liebeskunst, mit der sie ihm ein Jahr lang immer neue Genüsse beschert hatte. Ihrer Ruchlosigkeit, mit der sie all seine perversen Wünsche nicht nur erfüllte, sondern ihn durch ihre Vorschläge zu neuen, geheimen Ekstasen führte. Promachos, der mächtigste unter den Priesterfürsten. Promachos, der Flottenbauer, der seiner Stadt neue Visionen schenkte und sie zu nie gekannter Macht führte. Dieser Promachos war ein Sklave seiner Lust. Immer mehr Zeit verbrachte er mit ihr. Heute war er darauf verfallen, Kätzchen mit ins Bett zu nehmen und eines von ihnen langsam zu erwürgen, während sie seine Lust zum Höhepunkt trieb.

Gestern hatte er sie genötigt, in der Mittagshitze mit Eis gekühlten Wein zu trinken, bevor sie ihn mit dem Kuss der Schlange verwöhnte. Bald würde er ihrer überdrüssig werden, da war sich Elodia sicher. Wie lange ließen sich seine Gelüste noch steigern?

Vor zwei Wochen hatte er darauf bestanden, sie tätowieren zu lassen. An einer Stelle, an der es nur ein Liebhaber würde sehen können, loderte nun eine gelbrote Flamme.

Würde er bald auch ihr Gesicht mit einem tief unter die Haut gestochenen Bild schmücken wollen? Oder würde er sie weiterreichen an verdiente Würdenträger, einen der Baumeister der neuen Flotte, oder sie vielleicht einfach töten lassen, so wie ein Kind ein Spielzug zerbricht, dessen es überdrüssig wurde? All diese Schicksale hatte sie bei Frauen erlebt, die ihr vorausgegangen waren. Sie würde nicht so enden!

Promachos stöhnte im Schlaf. Er war ein massiger Mann. Als Priester war jedes Haar von seinem Körper entfernt worden, obgleich ein leichter, blauschwarzer Bartschatten auf seinen Wangen schimmerte. Seine Augenlider waren dunkelblau geschminkt. Kleine Perlchen waren mit Harz in die Augenwinkel geklebt.

Elodia hatten sie stets an gefrorene Tränen erinnert, denn das Herz des Priesters war so kalt, dass seine Tränen gewiss gefrieren würden, wenn es etwas gäbe, das ihn dazu bringen könnte, Tränen zu vergießen.

Sie hatte nie erfahren, wie alt er war. Darüber wurde im ganzen Palast nicht gesprochen. Ganz jung war er sicherlich nicht mehr. Sie schätzte ihn auf fünfundvierzig bis fünfzig Jahre. Näher bei den fünfzig! Er hatte einen stattlichen Bauch, doch war das Fleisch noch fest. Er war erstaunlich stark. Als er das kleine Kätzchen mit der Linken erdrosselt hatte, hatte Elodia gehört, wie auch die dünnen Rippen des Tiers gesplittert hatten. Sie wusste, wenn sie ihren letzten Befehl ausführte, dann hatte sie nur einen einzigen Versuch. Er war ihr körperlich überlegen. Ging sie zögerlich vor, dann wäre das ihr Tod.

Der Seidenhändler, der sie vor zwei Jahren auf dem Goldenen Markt gekauft hatte, war ein freundlicher, junger Mann gewesen. Er würde immer einen Platz in ihrem Herzen behalten. Er hatte das Vermögen seiner Eltern geerbt. Sein Geschäft blühte, bis er sie kaufte. Sie verführte ihn dazu, sie bei öffentlichen Anlässen mitzunehmen und mit ihrer Liebeskunst und den wunderbaren Nächten zu prahlen, die sie miteinander verbrachten. Jedes Mal, wenn sie ihn geliebt hatte, lag am Morgen danach ein Geschenk auf ihrem Kopfkissen oder in einem ihrer zierlichen, mit Perlen bestickten Pantoffeln. Er achtete darauf, dass in ihren Gemächern stets frische Blumen standen, obwohl diese in Iskendria sündhaft teuer waren. Er ging mit ihr Stoffe einkaufen, mit denen sie die Wände ihres Schlafgemachs schmückte.

Gerne scherzte er mit ihr über ihren aegilischen Akzent. Gemeinsam ließen sie sich in einer verhangenen Sänfte über die Märkte tragen, und manches Mal entlockte sie ihm mit ihren Liebkosungen dabei in aller Öffentlichkeit Laute, die nicht für Kinderohren bestimmt waren. Er vergötterte sie. Er vermochte keinen Abend mehr ohne sie zu verbringen. Er hatte ja keine Ahnung, wen er sich in sein Haus geholt hatte! Er glaubte, sie sei die Tochter eines Fischers aus Zeola.

Verschleppt von Piraten und von ihnen in die Sklaverei verkauft.

Tatsächlich war sie im Refugium von Möns Gabino vier Jahre lang in allen Künsten der Liebe unterrichtet worden. Tief in den Bergen verborgen, war dies ein Ort, an den sich kaum einmal ein Wanderer verirrte. Und kam doch ein Besucher, so wurde er nur ins Torhaus eingelassen, wo man ihm sagte, dies sei ein Refugium frommer Schwestern, die gelobt hatten, in ihrem Leben nie wieder einen Mann zu sehen. Diese Lüge war so unglaublich dreist, dass Elodia selbst heute darüber lächeln musste. Sie war in diesen Jahren darin unterwiesen worden, Männern wie Frauen auf jede erdenkliche Art Lust zu bereiten. Sie lernte Konversation. Und als man eine Aufgabe für sie ersann, wurde sie im fünften Jahr im Refugium für ihre Reise nach Iskendria vorbereitet. Sie lernte das Aegilische und ein wenig Valethisch, die Sprache Iskendrias. Sehr großen Wert legten ihre Lehrer auf ihren Akzent im Aegilischen. Jeder, der ihn einmal gehört hatte, vermochte die breite, getragene Art, wie sie die Worte aussprach, sofort der Insel Zeola zuzuordnen. Elodia erfuhr genug über die Fischerei in dem Inselstaat, über das Netzeflicken und Kochen mit Meeresfrüchten, um glaubwürdig eine Fischerstochter spielen zu können. Zugleich schärfte man ihr ein, ihr Wissen um Dichtung und gehobene Konversation, das sie in den ersten Jahren im Refugium erworben hatte, zu verbergen.